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Alexandra Rojkov: „Ich habe einen Hamas-Führer interviewt und mit Siedlern zu Abend gegessen“

Smoothies und vegane Küche gibt es an jeder Ecke, dazu Sonne, Strand und Meer. Tel Aviv ist wie Kalifornien, meint die Journalistin Alexandra Rojkov, und Israel westlicher, als man es sich vorstellt. Was sie außerhalb der Tel Aviver Blase im Nahen Osten erlebt hat, erzählt sie uns im Interview.

 

Aus Liebe zum Schreiben

Die Reportagen, die wir in der ZEIT über den Nahost-Konflikt lesen, ziert meist der Name von Alexandra Rojkov. Mit 13 Jahren hatte sie ihren ersten Job als Autorin bei der Stuttgarter Zeitung, weitere folgten. Ihr BWL-Studium, das sie eigentlich nur aus Vernunft anfing, brach sie nach vier Semestern für ihre Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg ab – zum Glück. Seitdem arbeitet sie als freie Journalistin, unter anderem für die FAS, die NEON, den Tagesspiegel, das SZ-Magazin. Im Januar 2016 wurde sie für ihre journalistische Arbeit gar mit einem Platz in der Forbes 30 under 30 Liste belohnt.

Ihre feste Korrespondentenstelle bei der dpa, die sie zwischenzeitlich hatte, kündigte sie nach einem Jahr. Warum? Weil sie ihre Liebe zum Schreiben nicht genug ausleben konnte. 

Worüber die 27-Jährige denn am liebsten schreibt, was sie antreibt und woher ihre Affinität zum Nahost-Konflikt kommt, hat sie uns im Interview erzählt.

Liebe Alexandra, erst BWL-Studium und dann eine journalistische Ausbildung bei der Henri-Nannen-Schule in Hamburg: So ganz passt das aber nicht zusammen, oder?

„Meine Eltern sprachen Zuhause nicht richtig Deutsch, wir hatten auch nie eine Tageszeitung und ich dementsprechend überhaupt keine Berührungspunkte mit Medien. Trotzdem habe ich ganz früh angefangen zu schreiben und gemerkt, dass ich das gerne mache und vielleicht auch ganz gut kann. 

Dass ich mit 13 bei der Stuttgarter Zeitung angefragt habe, war ein wenig größenwahnsinnig, hat aber geklappt. Ins BWL-Studium habe ich mich dagegen ein bisschen verlaufen. Ich hatte eine Phase, in der ich mir Sorgen machte, dass ich als Journalistin bei einer schlechten Lokalzeitung landen und nur über Kaninchenzüchter schreiben könnte. Da hat sich kurz meine Vernunft eingeschaltet und gesagt: Studier was ganz Seriöses. Nach vier Semestern habe ich das Studium dann aber für die Journalistenschule geschmissen – zum Glück.“ 

Und dann ging’s für dich erstmal nach Israel. 

„Genau, nach der Nannen-Schule musste ich einfach mal raus aus Deutschland, raus aus dieser Blase. An der Schule habe ich zwar viel gelernt und es wurde richtig an meinen Texten gearbeitet, aber journalistisch gesehen, habe ich da nicht das Wertvollste produziert. 2012 habe ich das Herbert-Quandt-Stipendium bekommen, was es mittlerweile aber nicht mehr gibt. Dank des Geldes konnte ich sechs Monate im Nahen Osten verbringen. Vier davon habe ich in Jerusalem gelebt, zwei in Tel Aviv.“

Aber warum Israel? Woher kommt deine Affinität zum Nahen Osten?

„Ich habe an der Uni keine reine BWL studiert, sondern auch Arabisch. Mein Auslandssemester habe ich Kairo gemacht und fand den Nahen Osten seitdem spannend. Israel schien mir als Journalistin ein gutes ,Einstiegs-Nahost‘. Einerseits hat es arabische Einflüsse, andererseits ist es für eine Frau einfacher als etwa in Ägypten.“

Wie hast du dich dort zurecht gefunden? 

„Wenn man noch nie da war, kann man sich die Region wahrscheinlich schwer vorstellen. Tel Aviv ist eigentlich wie Kalifornien, es spricht jeder Englisch, du kriegst an jeder Ecke Smoothies und veganes Essen. Es ist wirklich simpel, da durchzukommen.“

Wie hast du diese sechs Monate genutzt?

„Diese Zeit war eine tolle Möglichkeit, um mich auszuprobieren. Ich hatte ein monatliches Budget, das gerade so zum Leben gereicht hat, aber ich habe dadurch Zeit geschenkt bekommen. Die habe ich genutzt, um mir Dinge anzusehen und auch mal Interviews zu führen, aus denen später kein Text wurde. Ich habe die Gegend erkundet und zum ersten Mal gelernt, richtig frei zu arbeiten und Texte zu verkaufen.“

Wie hast du denn die alltägliche Stimmung zwischen Israelis und Palästinensern wahrgenommen? Inwiefern hast du den Konflikt im Alltag gespürt?

„Es gibt wirklich nicht viele Überschneidungspunkte zwischen Israelis und Palästinensern. Ich kenne nur wenige jüdische Israelis, die palästinensische Freunde haben, und umgekehrt. Man lebt einfach nicht zusammen, wenn man es verhindern kann. Klar, es studieren zum Beispiel Palästinenser an israelischen Unis, aber die Berührungspunkte sind nicht riesig. Wenn man den Konflikt nicht sehen will, muss man es auch nicht. Man kann als Israeli auch super in seiner Blase leben.“

Und, das machen auch welche?

„Ja, ganz viele. Aus meiner Position ist es natürlich auch komfortabel, sie dafür zu verurteilen. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt, wenn du seit deiner Geburt mit diesem Wahnsinn lebst. Klar denkt man sich dann irgendwann: ,Okay, es hört nicht auf. Jetzt will ich auch mal meine Ruhe haben.‘ Auch wenn der Wahnsinn dadurch nicht weniger wird. 

Man kann den Konflikt aber auch suchen. Sobald du aus Jerusalem rausfährst, in Richtung der Palästinenser-Gebiete, verändert sich die Landschaft schnell, es wird ärmlicher, die Schlaglöcher werden mehr, es sieht auf einmal arabischer aus. Du bist plötzlich in einem anderen Land. Dann taucht auf einmal die Sperranlage auf, die an dieser Stelle tatsächlich eine Mauer ist. Der Wachturm des Checkpoints ist komplett verrußt, weil dort jeden Freitag Reifen in Flammen aufgehen. Man sieht den Konflikt also durchaus, wenn man will – aber man muss nicht.“

Bist du dann für deine Recherchen oft aus Jerusalem rausgefahren?

„Ja, natürlich. Während des sechsmonatigen Stipendiums primär aus Neugier, um zu schauen, was dort passiert, wie es aussieht. Später dann hauptsächlich zu Recherchezwecken.“

Gab es auch mal eine Situation, in der du Angst um dich hattest?

„Ich glaube, man stellt sich diesen Konflikt ein bisschen falsch vor. Viele Freunde fragen mich, ob Israel nicht zu gefährlich ist, um dort zu leben und zu arbeiten. Die Wahrheit ist: Vor 15 Jahren gab es eine Welle von Sprengstoffanschlägen. Und es gibt auch jetzt immer noch Attentate, Palästinenser gehen mit Messern auf Israelis los, es gibt Ausschreitungen mit der Armee. Aber es ist ,Krieg light‘.

Ich muss als Journalistin nicht um mein Leben fürchten, wie ich es in Syrien müsste. Selbst im Krieg, wenn beispielsweise Gaza bombardiert wird, ist das für die Zivilisten natürlich schrecklich, weil sie keinen Schutz haben. Aber wenn du als Journalist im Gaza unterwegs bist, weiß die Armee, du steigst in dem und dem Hotel ab, und das bombardieren sie dann netterweise nicht. Selbst wenn die Hamas aus der Nähe des Gebäudes Raketen abschießt

Der Nahost-Konflikt hat eine Infrastruktur für Reporter geschaffen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es eine Situation gab, in der ich wirklich Angst hatte.“

Merkt man einen Unterschied zwischen den Generationen im Umgang mit dem Konflikt?

„Ja, auf jeden Fall – leider. Der Sperrwall ist verhältnismäßig neu und vor der ersten Intifada, also vor dem ersten Palästinenser-Aufstand, haben sich Israelis und Palästinenser auch noch regelmäßig getroffen. Da gab es Tausende, die beispielsweise aus dem Westjordanland nach Israel gefahren sind, um dort zu arbeiten. Oder Israelis sind nach Gaza gefahren, um am Strand zu liegen. Das ist heute undenkbar. 

Die Generation der Israelis, die so alt sind wie ich, kennt teilweise keinen einzigen Palästinenser. Sie haben noch nie einen getroffen, der auf der anderen Seite der Mauer lebt. Dementsprechend ist es einfacher, sich zu radikalisieren. Es ist leichter, etwas zu hassen, das ich nicht kenne, als, sagen wir, einen Menschen, den ich jeden Morgen im Bus treffe. Deswegen ist die Jugend auf beiden Seiten politisch krasser, leider.“

Was ist denn dein journalistischer Anspruch, was treibt dich an?

„Ich finde es immer ein bisschen vermessen, wenn Journalisten sagen, ich will die Welt retten, oder ich will den Konflikt sichtbar machen, weil es sonst keiner tut. Es gibt Journalisten, die tatsächlich etwas ändern und Dinge zeigen, die man sonst nicht zu sehen bekommen würde. Aber Israel und die Palästinensergebiete sind journalistisch überlaufen – da kommt es auf mich nicht an. 

Meine Motivation ist eher persönlich. Ich sehe es als unglaubliches Privileg, dass ich als Journalistin Einblicke in eine Welt bekomme, die mir sonst verschlossen bleiben würde. Ich habe zum Beispiel sowohl einen Hamas-Führer interviewt als auch mit Siedlern zu Abend gegessen.“

Und sowohl der Hamas-Führer als auch die Siedler haben sich dir geöffnet? 

„Man muss eben Überzeugungsarbeit leisten und Vertrauen aufbauen. Natürlich ist das nicht einfach. Aber es lohnt sich.

Ich habe beispielsweise mal eine Gehörlose begleitet, da hat sich eine Welt für mich aufgetan, von der ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Ich empfinde es als großes Geschenk, dass mir Leute ihr Leben öffnen – für zehn Minuten, einen Tag, eine Woche. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Aber du bist die Recherchen immer offen angegangen – oder hast du auch verdeckt recherchiert?

„Es gibt Recherchen, die es rechtfertigen, dass man nicht sagt, wer man ist. Aber meine Gesprächspartner im Nahen Osten wussten meistens, dass ich Journalistin bin. Ich versuche aber, mich so zu geben, dass die Leute im besten Fall vergessen, dass ich Reporterin bin, oder dass sie zumindest nicht das Gefühl haben: Da horcht mich jetzt jemand aus. Und das tue ich ja auch nicht. Ich interessiere mich wirklich dafür, was die Leute denken, egal wie irre das ist.“

Du hast beide Seiten kennengelernt. Siehst du irgendwo Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens? 

„Das Ziel der internationalen Gemeinschaft ist ja, irgendwann zwei Staaten daraus zu machen. Ob es wirklich dazu kommt? Ich wage da keine Prognose. Im Moment reden die Politiker beider Seiten ja nicht mal miteinander. Bei den Israelis spielen Ängste eine große Rolle, auch nicht zu Unrecht. Doch je länger das stagniert, desto mehr Raum gewinnen die Hardliner.“ 

Welche Reportage hast du denn als nächstes in Planung?

„Ich war selbst Flüchtling, und obwohl ich schon lange in Deutschland lebe, hat die aktuelle Medienberichterstattung mich dazu bewogen, an meine eigene Geschichte zu denken. Dazu mache ich momentan eine aufwendige Recherche. Und sonst plane ich Nahost-Themen. Ich bin immer noch alle paar Monate in Israel und fliege demnächst auch wieder hin. 

Journalistisch gesehen habe ich Glück, dass das
Interesse an der Region nie wirklich abreißt. Ständig ist da Krieg und Terror.“ 

Der Nahe Osten ist ja ein Thema, das gerne Diskurs anregt. Merkst du das anhand von Leserbriefen? Kriegst du welche?

„Ich habe noch nie so viele Leserbriefe bekommen wie zu diesem Thema. Der Nahe Osten regt die Menschen unglaublich auf. Es gibt Leser, die haben Nachfragen oder finden meine Berichterstattung nicht objektiv. Wenn es freundlich formuliert ist, dann antworte ich solchen Lesern natürlich und nehme die Kritik auch an. Aber einige Briefe sind einfach krass. Da raten mir Leser, meinen Beruf an den Nagel zu hängen, oder vergleichen Israel mit Nazideutschland.

Gleichzeitig merkt man manchmal: Die Leute wissen gar nichts über die Thematik. Wenn ich sie jetzt fragen würde: Wer regiert gerade in Palästina, könnten sie mir keine Antwort geben. Sie haben einfach einen Unmut und Wut auf diesen Konflikt und Israel. Was kann ich darauf antworten?“

Könntest du dir vorstellen, längerfristig in Israel zu leben? 

„Ja, schon. Weil es total spannend ist – journalistisch und menschlich. Israel ist ein sehr diverses Land mit den unterschiedlichsten Wurzeln. Ich habe noch nie so interessante Menschen getroffen wie dort. Und bei den Palästinensern ist das genauso. Auch, weil bei ihnen die Geschichte sehr präsent ist. Also ja, ich spiele immer wieder mit dem Gedanken zurückzugehen. Es könnte jeden Tag so weit sein.“

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