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Die Online-Welt boomt – Brauchen wir überhaupt noch echte Läden?

Mit wenigen Klicks, benutzeroptimiert und bequem – es wird zunehmend online konsumiert. Gleichzeitig zentralisieren sich die „echten“ Geschäfte auf kleiner werdende Innenstädte, die Mieten steigen. Das Ende des Einzelhandels?

 

Klassischer Einzelhandel im Wandel

Lass uns wetten: Ich könnte dir jetzt die Augen verbinden, dich in eines der, laut Bericht von Handelsdaten.de, 463 Shopping-Center Deutschlands führen und dort die Augenbinde wieder abnehmen. Ich wette um 500 Euro und ein Kinder Pingui, dass du mir auf den ersten Blick nicht sagen kannst, in welcher Stadt wir uns befinden. Ob Berlin, Stuttgart oder München – du siehst die immer gleichen Marken, dessen Produkte dir von kreativ gewählten Testimonials à la Cara Delevingne verkauft werden.

Warum ist das so? Der klassische Einzelhandel erlebt einen Wandel, der von mehreren Seiten aus angeschoben wird. Da ist zunächst – surprise, surprise – das Online-Shopping, das sich als selbstverständlicher Vertriebskanal etablieren konnte. Im Internet wird gezielt eingekauft, weil uns dort eine Vergleichbarkeit geboten wird, größere Vielfalt herrscht und durch „curated“ Shopping-Modelle sowie clevere Algorithmen auch individuelle Beratung möglich ist.

Der Offline-Markt reagiert darauf mit starker Zentralisierung, während die übrigen Straßen nicht genutzt werden und sich die Ladengeschäfte nach und nach leeren. Gleichzeitig steigen die Mieten in den Ballungszentren an, sodass die Barriere für Kreativwirtschaft und aufstrebende Marken immer größer wird. Das Ergebnis: Das Einzelhandelszentrum jeder Stadt sieht aus wie alle anderen. 

Was ist mit der „User-Experience“?

Aber auch das Verhalten der Konsumenten ändert sich: Der Mensch kauft bewusst, Herkunft und Herstellung von Produkten sind entscheidend. Das gilt übrigens nicht nur für Mode, sondern auch für Essen: Erstmals seit 40 Jahren, so berichtete die FAZ, schließt McDonalds 2016 mehr Filialen als es eröffnet. 

Neben Nachhaltigkeit und Individualität zählt auch die „Experience“, das Erlebnis. Es geht nicht nur um das bloße Konsumieren – der Mensch will Begegnung, Inspiration und eine Story zum Produkt, eben das Unerwartete. Dazu darf es gerne etwas Gutes zu essen und trinken geben. Das Ganze nennt sich dann „Serendipity principle“. Was bedeutet, dass Konsumenten gerne wieder zufällig Neues entdecken wollen in ihrer Stadt, sich gerne überraschen lassen. An dieser Stelle kann auch der Online-Markt nicht mithalten: ein Produkt oder Service in der Hand zu halten und „live zu erleben“, ist durch nichts zu toppen.

Kleiner und teurer – dafür weniger anonym 

Darin liegen Chance und Herausforderung, den Einzelhandel zu revitalisieren. Kleinen Kreativen und Marken muss ermöglicht werden, ihre Ideen umzusetzen und ihre Zielgruppen auch offline wieder glücklich zu machen. Startups und kleinere Marken, die es längst verstehen, ihre Kunden online zu erreichen, wird der Zugang zum stationieren Einzelhandel bislang aufgrund alter bestehender Strukturen verwehrt.

Kreative Unternehmen und Entrepreneure sind es, die die Bedürfnisse des bewussten Konsumenten tatsächlich erfüllen: selber machen, face­-to-­face verkaufen. Zu einem höheren Preis für höhere Qualität und eine längere Lebensdauer, in einem Laden im Kiez außerhalb des Zentrums. Nur dort gibt es vermutlich die Ladenbetreiber, die dir deinen Cappuccino mit Mandelmilch zubereiten, weil sie wissen, dass du laktoseintolerant bist. Anonyme Shops, so wie in der offline-Welt, stellen unser Kauferlebnis auf die Dauer nicht zufrieden.

Daher meine Antwort auf die zu Anfang gestellte Frage: Natürlich brauchen wir noch Läden, nur eben die neuen.

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