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„Das Alter ist die Hölle der Frauen“ – wann ändern wir das?

Dieser Satz ist von François VI. de La Rochefoucauld, einem Literaten aus dem 17. Jahrhundert überliefert. Es hat sich nicht viel geändert seither. Denn Frauen erleben im Alter, dass der Druck auf sie steigt oder sie unsichtbar werden.

 

Männer und Frauen altern anders

Generell gilt: Niemand wird gern alt. Die Angst vor körperlichen Beschwerden und dem Verfall des Körpers teilen die meisten Menschen. Und doch gibt es einen großen Unterschied. Das Älterwerden von Männern und Frauen wird auch im 21. Jahrhundert gesellschaftlich völlig unterschiedlich  bewertet. Auch wenn sich der Zeitpunkt an dem eine Frau als ‚alt‘ gilt nach hinten verschoben hat, fürchten sich die meisten Frauen vor dem Älterwerden in ganz anderer Weise als die Männer. Neben der Sorge vor Krankheiten und den Einschränkungen die das Alter mit sich bringen kann, geht es dabei um die kollektive Abwertung und Kränkung, die ältere Frauen gesellschaftlich erfahren.  So sind Attraktivität, Wahrnehmung in  der Öffentlichkeit, erotische Anziehungskraft, Erfolg in der Arbeitswelt und die Zuschreibung von Kompetenzen bei Frauen viel enger mit dem  Alter verbunden, als bei Männern. Männer gelten auch – sogar gerade! – in fortgeschrittenem Alter als erfahren, weise, souverän und attraktiv. Ihnen wird ganz selbstverständlich in fortgeschrittenem Alter noch Verantwortung übertragen und Tatkraft zugeschrieben.

Oder wie George Clooney einmal sagte:

„Männer haben einen erheblichen Vorteil: Wir kriegen Falten, werden fett und glatzköpfig und keinen kümmert’s.“

Frauen dagegen werden irgendwann quasi unsichtbar – meist auch in beruflicher Hinsicht. Die Journalistin Liz Byrski schreibt: „Für älter werdende Frauen ist die Unsichtbarkeit gleichzeitig ein Gefühl und eine Realität.“Wer stellt sich eine Siebzigjährige vor, die noch Verantwortung für einen Weltkonzern übernimmt?  Auch ein paar Ebenen tiefer – im mittleren Management stoßen Frauen ab Anfang oder Mitte 50 gerne an gläserne Decken. 

Die Ausnahmen, die immer wieder als Beweis dafür herhalten müssen, dass es an jeder Einzelnen liegt, sind eben leider Ausnahmen. Und die Behauptung, dass es eine persönliche Entscheidung ist wie man altert, ist kollektive Augenwischerei. Denn die Forderung den Fehler bei uns persönlich zu suchen, verhindert dass wir das System in Frage stellen.

Die Ungleichheit die wir als Frau beim Älterwerden gegenüber den Männern wahrnehmen, erleben wir zwar persönlich, aber eben nicht privat, sondern weil wir Teil einer gesellschaftlichen Gruppe sind. Genauso wie das Geschlecht gesellschaftlich gemacht wird – „Doing Gender“ – hängt auch der Stellenwert des Alters von der Bedeutung ab, den die Gesellschaft ihm zuschreibt: „Doing Aging“. Und das fällt je nach Geschlecht sehr unterschiedlich aus.

Dürfen Frauen im Alter das gleiche wie Männer?

Wie selbstverständlich steckt dieses Bild in unseren Köpfen und wird von den Medien und Künsten(!) seit Jahrhunderten immer wieder ‚bedient‘. Die  Darstellung alter Frauen in der Bildenden Kunst, in Liedtexten und den Überlieferungen der Märchen zeigen böse, geizige, neidische, ränkeschmiedende und verderbte Charakterzüge. Man denke nur an die  vielen Hexendarstellungen. Während die alten Männer oft gütig, weise,  würdevoll, voller Kraft und Verantwortung beschrieben und gezeichnet werden.

Und die Gegenwart? Bascha Mika beschreibt in ihrem Buch „Mutprobe: Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden“  sehr eindrücklich den unterschiedlichen Umgang von Männern und Frauen mit dem Altern und stellt die provokanten Fragen:

„Wäre ein Bond Girl im Alter des jeweiligen James Bond Darstellers denkbar?“

„Wie verlässlich und kompetent würde Angela Merkel scheinen, wenn sie sich trennen würde und einen Freund hätte, der 40 oder 26 Jahre jünger ist als sie?“

So wie zum Beispiel Franz Müntefering, der mit 69 seine 29 Jahre junge Freundin heiratete, oder wie Oskar Lafontaine (Altersunterschied 26 Jahre) und Joschka Fischer (Altersunterschied 27 Jahre)?

Völlig selbstverständlich sind ältere Männer an jüngeren Frauen interessiert und Akademiker mit Mitte 50 suchen gerne in Kontaktanzeigen eine attraktive Partnerin zur Familiengründung. Diese Männer haben keine Zweifel daran für jüngere Frauen ein attraktiver Partner zu sein – während nahezu alle Frauen in umgedrehten Kontext von Selbstzweifeln geplagt würden.

Wie diese Ungleichheit schon in der Kindheit beginnt

Von klein auf wird Mädchen das Gefallenwollen anerzogen und sie werden für ihr Aussehen, ihre Kleidchen, die hübsche Frisur und das angepasste Benehmen gelobt. Die Jungen bekommen in der Mehrzahl gute Rückmeldungen für das, was sie geleistet haben oder wie erfolgreich sie  sich durchgesetzt haben – was sicherlich ebenso eine Form von Druck aufbaut.

Diesen Druck, dem die Mädchen ausgesetzt sind, geben sie in ihren Peergroups meist weiter. Schon früh wird spürbar: Wer sich nicht einreiht, wird schnell zur Außenseiterin. Mit sich unzufrieden zu sein, an der eigenen Perfektion zu arbeiten, gehört unabdingbar dazu. Als ich kürzlich eine Rückmelderunde unter 9-jährigen Mädchen machte, unter dem Motto „Das habe ich gut gemacht. Da bin ich stolz auf mich.“, gab es nur ein Mädchen, das sich traute zu benennen was sie gut kann. Die anderen drucksten herum bis schließlich eine meinte: „Wer das von sich sagt, ist eine Angeberin und die anderen mögen einen dann nicht mehr.“

Das Gegenteil ist bei Mädchen und Frauen immer möglich. Ich kann mich an Situationen in meiner Jugend erinnern – „Freundinnen unter sich“ – jede zählt die eigenen äußerlichen Unzulänglichkeiten auf. Endlos lange Listen der Unzufriedenheit mit sich selbst. Ob Jungs das auch machen?

Frauen kritisieren sich gegenseitig ebenso erbarmungslos

Der Vergleich den die Mädchen so früh ‚erlernen‘, dem sie gesellschaftliche
ausgesetzt sind und den sie als Frauen für sich selbst in vielfältiger
Form weiterführen, schlägt beim Älterwerden eine tiefe Kerbe. Denn
Jugend wird als hochrangiges Kriterium für weibliche Attraktivität und
Leistungsfähigkeit angesehen und ist nicht mehr erreichbar.

Die Bewertung von Frauen, die innerhalb der Gesellschaft durch die Medien pausenlos stattfindet, prägt uns alle. Die Anstrengungen und die Mühen die ich und viele Frauen unternehmen um ‚gut‘ auszusehen, der Verzicht, zu dem wir bereit sind changieren – bei klarem Verstand und mit etwas Distanz betrachtet – zwischen lächerlich und absurd. Sie machen uns in der Folge manchmal hart und erbarmungslos gegen uns selbst und andere Frauen. Wir selbst sind unsere schärfsten Kritikerinnen.

Ja, klar – uns Frauen ist weitgehend bewusst, dass uns das Bild prägt, welches wir seit frühester Kindheit gezeichnet bekommen und das durch offensichtliche und subtile Kanäle unsere Vorstellungen von Attraktivität beeinflusst. Dazu kommen die Werte die wir in der Erziehung vermittelt bekommen haben, Erfahrungen und Erlebnisse von Blicken und Bemerkungen unserer Umwelt, die wir einordnen und zu unserer inneren ‚Landkarte‘ zusammenfügen. Niemand von uns ist frei von den gesellschaftlichen Zuschreibungen bezüglich Alter und Geschlecht und kann sich den Auswirkungen entziehen. Die jahrhundertelange Tradition und Stellung der Frau, die Sicherheit, Wohlstand und Status nur über dieEhe erreichen konnte, zu der der Weg – zumindest zu einem Teil – über ihre Anziehungskraft, ihr Alter und ihre Attraktivität führte, wirkt auch heute noch nach.

Der Status Quo mit all diesen Erkenntnissen?

Wie die meisten Frauen finde auch ich mich immer wieder in der Unzufriedenheitsschleife, bin selbstkritisch, voller Zweifel, fühle mich unzulänglich, bin vergleichend und dann ohne jedes Wohlwollen für mich.

Obwohl mir völlig klar ist was hier passiert und wo die Wurzeln dafür liegen, obwohl ich es schwachsinnig finde, obwohl ich seit Jahrzehnten daran arbeite das zu ändern. Und ich bin tatsächlich immer wieder erschüttert,wenn mir Frauen – die ich wunderbar finde – erzählen, dass es ihnen ebenso geht.

Oder wenn eine 35-Jährige mir erzählt, dass sie bald „die besten Jahre hinter sich haben wird“.

Es lebe der Mut zur Unvollkommenheit und die Lust am Scheitern!

„Frauen werden Männern niemals ebenbürtig sein, solange sie nicht mit Glatze und Bierbauch die Straße runterlaufen können und immer noch denken, sie seien schön,“ sagt Nina Hagen.

Soweit bin ich noch nicht, aber im Lauf der Jahre sind die Tage an denen ich einen liebevollen Blick auf mich werfe, trotz mancher negativen Erfahrungen und den Ängsten, die das Älterwerden in mir auslöst, mehr geworden. Die Gelassenheit im Umgang mit meinen Schwächen ist größer, der Blick auf meine Stärken klarer, das Vertrauen in meine Fähigkeiten tiefer als noch vor zwanzig Jahren. Viel gelernt habe ich von meinem Mann und meinen Söhnen und ihrem entspannten Blick auf sich und die Welt: nicht perfekt sein zu müssen und unabhängiger von der Meinung der anderen. Die Erfahrung mit meinen Unvollkommenheiten und sogar gerade wegen dieser geliebt und gemocht zu werden, hat viel geholfen. Ich versuche mich nicht zu vergleichen, sondern bei mir zu sein und diese Haltung an die Mädchen mit denen ich arbeite weiterzugeben. Denn wir sind ein Teil dieses Systems und tragen es weiter. Nicht mehr und nicht weniger als die Männer.

Dieser Artikel wurde zuerst auf www.maennerheldinnen.com veröffentlicht

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