Foto: Edgaras Maselskis

Ein ganz normaler Fall von häuslicher Gewalt: es ist mein eigener

Am 25. November war der internationale Tag der Gewalt gegen Frauen. Ein Tabu-Thema, über das die Betroffenen oftmals nicht reden. Leider, findet Verena Schulemann. Denn wenn wir reden würden, würden wir sehen können, wie viele neben uns die selben Erfahrungen gemacht haben. Daher erzählt Sie von ihrem eigenen Fall. In der Hoffnung, dass es vielleicht so leichter fällt, das eigene Schweigen zu durchbrechen.

 

Häusliche Gewalt ist Alltag – leider

Am 25. November war der Tag des #schweigenbrechen. Häusliche Gewalt ist ein tabuisiertes Thema, und das obwohl es so viele betrifft: 40 Prozent der Frauen in Deutschland haben seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Doch viele schweigen: 37 Prozent der von körperlicher und 47 Prozent der von sexueller Gewalt Betroffenen haben mit niemandem darüber gesprochen

Viele denken, ihnen haftet ein Makel an. Sie haben Angst und sie schämen sich. Doch das ist falsch. Wir sprechen auch über Scheidung, über einen Autounfall, den Tod. Und es ist wichtig, das zu tun. Wir sollten uns nicht schämen müssen, für etwas, für das wir nichts können! 

Für diese Frauen breche ich das Schweigen und berichte von einem ganz alltäglichen Fall. Meinem eigenen. Und was jede von uns tun kann. 

Ich kannte den Mann seit Jahren. Wir alle kannten ihn.

Er schmiss mich aufs Bett und zog sich seine Hose runter. Ich sagte:

Lass das.” Dann drückte er mich runter und rief: „Dann kannst du dich wenigsten ficken lassen, du Schlampe.” Ich drückte ihn von mir. Er drückte mich zurück aufs Bett.

Ich kannte ihn seit Jahren. Wir alle kannten ihn. Er war ein wenig schräg, trank gern mal einen über den Durst, feierte auch gerne. Er betrieb einen Laden in Berlin-Mitte. Er wirkt ein wenig flirrig, aber das hier war neu.

Die letzten Wochen hatten wir eine lose Affäre gehabt, aber als ich merkte, dass er sein erstes Bier schon morgens nach dem Aufstehen trank und auch nicht damit aufhören wollte, sah ich keine Zukunft für mich mit diesem Mann. Das hatte ich ihm gerade gesagt. Ich wollte gehen, da packte er mich und schmiss mich auf sein Bett. 

Ich wehrte mich, konnte mich aufrichten. Er hielt mich fest. „Verpiss dich, du Schlampe.” Er schlug mir ins Gesicht. Ich wollte gehen und hatte Angst, dass er mir nachkommen würde. Ich war aufgewühlt, ich wollte noch einen Hocker umwerfen, verhindern, dass er mir nachkommt, da stürzte er auf mich, griff mich, schlang seinen Fuß um mein Bein und schleuderte mich mit einem Judowurf auf den Rücken. Es knackte, ich kam auf dem Rücken zum Liegen. 

Es waren Sekunden, ich hatte keine Chance. Meine Beine waren ausgestreckt nach oben, mein linker Fuß war komplett aus der Verankerung gerissen, er hing schlaff neben meinem Unterschenkel. „Ruf den Notarzt”, rief ich. Er weigerte sich: „Du kannst die Treppen selbst runtergehen.” Ich versuchte an meine Tasche zu kommen, die im Flur stand, doch es war unmöglich. Schließlich nahm er sein Handy und drückte es mir in die Hand. 

Häusliche Gewalt? Im Krankenhaus bekam ich keine Hilfe

Zehn Minuten später kam der Krankenwagen, er brachte mich in die Berliner Charité. Ich stand unter Schock. Erst in der Klink begannen die höllischen Schmerzen. Ich bekam Morphium. Mein Fuß war ein geschwollener Klumpen. Er, der Täter, war die ganze Zeit dabei. Ich sagte, dass er das gemacht hatte. Er gab es zu. Die Pfleger sagten zu ihm: „Was sind sie denn für ein Mann?” Das war alles. Nichts passierte, keine Polizei. Keine Seelsorge.

Später – lange später – nachdem ich mich erkundigt hatte, erfuhr ich, dass es eine Einrichtung in der Charité gibt, für die Fälle häuslicher Gewalt, dass die Ärzte angehalten, ja verpflichtet sind, genau das dann zu melden, Hilfe anzubieten. Das war nicht geschehen. Wieso? Ich fragte später beim Arzt nach. Er wurde ungehalten, sagte das sei undankbar, er hätte mich doch so gut operiert. Das stimmte, aber was hatte das eine mit dem anderen zu tun? 

Der Mann, der mir das angetan hatte, blieb im Krankenhaus. Als er verschwand, forderte ich einen Psychologen an. „Wieso? Was ist los?”, fragte der Stationsarzt. Ich hatte Angst. Ich druckste herum, benommen von Schmerzen, Medikamenten: „Hat mit dem Unfall zu tun…” Er verschwand kommentarlos.

Als ich aufwachte, saß der Täter an meinem Bett

Am Abend zuvor war ich operiert worden, es war ein dreifacher Sprunggelenksbruch festgestellt worden, dazu Nerven, Sehnen – alles durchtrennt. Man hatte mir einen Fixateur angebracht, dazu sechs Löcher in meinen Unterschenkel gebohrt und ein Eisengestell drumherum. Der Fuß war zu geschwollen, um operiert zu werden. Es sollten noch zwei weitere OPs folgen. Ich war ans Bett gefesselt. 

Am nächsten Morgen saß der Täter wieder an meinem Bett. Plötzlich kam der Stationsarzt wieder ins Zimmer: „Wer hat hier einen Psychologen angefordert?” Erst dann sagte er zu ihm gewandt: „Können sie bitte das Zimmer verlassen.” Es war ein Fehler in diesem Moment nicht die Wahrheit zu sagen. Ich kann nur sagen: Ich hatte Angst. Und das wusste der Mann, der inzwischen draußen vor der Tür stand und wieder reinkam, mein Handgelenk in seine beiden Hände nahm und sagte: „Wenn du was sagst, dann… Knacks.” Er drehte seine Hände gegensätzlich und deutete an, dass er mir das Gelenk brechen würde. Dabei lachte er.

Danach tat ich das, was Millionen Frauen machen. Ich arrangierte mich. Ich log und erzählte die absurdeste Geschichte, die man sich denken kann: Wir hätten zu heftig Tango getanzt, dabei sei es irgendwie passiert… Eigentlich war klar, dass das gelogen war. Aber keiner sagte etwas, nur ein Freund schaute mich an und sagte: „Ich glaube das nicht…” Trotzdem spielte ich weiter meine Rolle. 

Erst als ich mich sicher fühlte, konnte ich die Wahrheit sagen

Das änderte sich erst, als ich wieder einigermaßen mobil wurde –  sieben Tage später. Ich ließ mich in das Katholische Krankenhaus St. Hedwig verlegen – auf eigenen Faust und ich bekam ein Zimmer, das ich abschließen konnte. Ich bekam eine Seelsorgerin, der ich alles erzählen konnte. Und ich ließ dem Täter ausrichten, dass er jeden Kontakt mit mir unterlassen sollte. Erst dann konnte ich die Wahrheit sagen.

Ich zeigte ihn an. Ich hatte einen schlechten Anwalt, was daran lag, dass ich den genommen hatte, der am nächsten in meiner Umgebung lag, denn ich konnte die ersten drei Wochen nicht laufen. Ein befreundeter Anwalt beriet mich, er sagte, ich habe wenig Chancen, denn häusliche Gewalt verlaufe ohne Zeugen. Wenn er die Tat nicht gesteht, dann käme er aus der Sache raus.

Ich bekam wieder Angst. Ich fühlte mich verfolgt. Ich traf ihn später mal zufällig auf einer Veranstaltung, er kam auf mich zu, rempelte mich an. Ein Scheißkerl. Aber ich hatte coole Freunde dabei und sie taten etwas Großartiges. Als er an der Bar stand, stellten sie sich neben ihn: „Bist du nicht der Typ, von dem alle wissen, dass er so unglaublich, wie sollen wir sagen, zu Frauen so… so… GUT ist… Bist du das nicht?!” Es war keine Drohung. Es war ein Spiegel seiner kranken Seele. Er verließ die Party. 

Im Zuge meiner Anzeige stellte sich raus: Der Täter hatte bereits zwei Anzeigen wegen Körperverletzung. Einmal hatte er im Kino einen Mann geschlagen, doch es hatte ein Freund für ihn ausgesagt und die Sache war eingestellt worden. Das andere mal hatte er einer Frau, die mit ihrem Freund vor einem Club stand, an die Brust gegriffen, als der Freund meinte, er solle damit aufhören, schlug er ihm ins Gesicht. Gegen Schmerzensgeldzahlung war das Verfahren eingestellt worden.

Der Täter versuchte die Schuld auf mich zu schieben

Die Sache zog sich hin, ich nahm mir einen neuen Anwalt, einen viel besseren. Der Täter hatte angegeben, ich hätte in seiner Wohnung randaliert. Er hätte mich nur beruhigen wollen. Ich hätte mir den Bruch selbst zugefügt. Er hätte sich sofort gekümmert, natürlich unverzüglich den Notarzt gerufen, das würde seine Handyrechnung belegen.

Ich fragte, was denn kaputt gegangen wäre. Ich sagte, er soll doch beschreiben, wie dann ein so dermaßen schwerer Bruch zustanden kommen sollte. Er schwieg. Die Geschichte war nicht rund. Das ahnte auch der Richter. Er ermahnte ihn im Gerichtsaal.

Doch anordnen konnte er nur 350 Euro Schmerzensgeld, wegen einer Ohrfeige. Diesen Schlag hatte er sogar zugeben.

Meine Mutter begleitete mich zum Prozess. Der Täter kam viel zu spät und alkoholisiert.

Eine Polizistin saß mit uns im Vorraum, sie sprach mit meiner Mutter, sie erzählte, dass sie vor allem im Einsatz bei Kindesmissbrauch tätig sei. Diese Fälle, so die Beamtin, würden zu 90 Prozent nicht mit einer Verurteilung der Täter enden. Es sei ein rechtsloser Raum, unsere Gesetze griffen nicht. Es gebe fast nie Zeugen. Bis heute kommen mir die Tränen wegen so viel Ungerechtigkeit. 

Mein eigenen Fall wurde da fast nebensächlich. Es schmerzte viel mehr, sich die Kinderseelen vorzustellen, aber am meisten diese Ungerechtigkeit.

Warum wird Gewalt nicht stärker öffentlich angeprangert?

Wenn schon nicht über das Rechtssystem so müsste es gesellschaftlich mehr öffentlich angeprangert werden. All die Menschen, die, zu Recht, sich gegen Rechtsradikale wenden, wo sind sie, wenn es um die Gewalt an Kindern geht? Ich kann nur sagen: Prangert es an, wann immer ihr könnt

Was ich erreicht hatte, mit der Hilfe meiner Eltern, die mich bei den Anwaltskosten unterstützt hatten: Dieser, mein Fall wurde aktenkundig. Er wurde vor einem Gericht behandelt. Denn ich wusste: Es wird nicht die letzte Tat dieses Typen sein. Und ich behielt leider Recht. 

Der Frau nach mir hat er das Nasenbein gebrochen. Sie wand sich an mich, meinen Namen hatte sie aus den Akten. Auch sie zeigte ihn an. Mit Erfolg. Denn dieses Mal war er auf der Straße tätig geworden – vor Zeugen. Nun waren es schon mehrere, aktenkundige Fälle und es wurde immer deutlicher: Hier ist jemand gemeingefährlich!

Das ist viel wert. So viele Menschen vor mir haben genau dafür gekämpft, sich eingesetzt. Es ist unsere Pflicht, genau hier dafür zu sorgen, dass jeder Fall bekannt wird, aufgedeckt wird, behandelt wird. Es kann keinen Schutz geben, aber zumindest Gerechtigkeit. 

Das Gesetze bestehen, ist das eine. Sie zu etablieren, das andere. Dazu braucht es uns alle

Jeder einzelne Fall, der aufgeklärt werden kann, ist ein Fall hin zu einer besseren Gesellschaft! 

Der Fall Bill CosbyNew York Magazin-Cover zum Fall Bill Cosby

Und wir dürfen bei der Gewalt gegen Frauen nicht vergessen, dass es die Gewalt ist, die wir anprangern müssen, nicht allein die Gewalt gegen Frauen.

Aber vor allem mehr Schutz aber auch mehr bürgerliches Engagement fordern, bei denen, die es noch härter trifft: unsere Kinder. Sperrt die Augen auf. Seid Zeuge, wenn ihr Zeuge sein könnt – nur das kann ihnen helfen.

Klärt auf – auch Euch selbst und hinterfragt Euch, entschuldigt Euch, wenn ihr einen Fehler gemacht habt. Sucht Euch Hilfe, wenn ihr Böses tut. Denn: Die meisten Fälle von Gewalt finden innerhalb der Familie statt …

Hilfe bei häuslicher Gewalt u.a.:

Der Artikel wurde zuerst auf Verena Schulemanns Blog mamaberlin.com veröffentlicht.

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