Foto: Wikimedia/Tom Lennon Collection/Powerhouse Museum

Drittes Kind: Und der ganze Mist fängt schon wieder von vorne an

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Sind drei Kinder mindestens eins zu viel?

Ein Hoch auf die Ein-Kind-Politik!

Das ist jetzt einige Monate her: Ich befand mich auf einer Hochzeit, ohnehin übellaunig, weil ich mir eimerweise Rhabarberschorle in meinen sich dauerverdorben anfühlenden Magen kübelte, während alle anderen den Riesling wegliterten; am Tisch wurde ich eingekesselt in das Gespräch zweier Frauen Mitte, Ende dreißig, die eine ein Kind, die andere (noch) keins: Beide waren sich sehr einig, dass ein Kind die ideale Anzahl sei – nicht zu viel und nicht zu wenig. Weil, wollen würde man das ja schon, also Mutter sein und so, aber bitteschön so, dass man selbst noch was vom Leben habe. Die Frau mit dem einen Kind schwärmte geradezu von ihrer Ein-Kind-Politik, sie wäre gar nicht in der Lage, ihre ambitionierten Karrrierepläne mit gerade gegründetem eigenen Unternehmen umzusetzen mit noch mehr Organisationsstress in Sachen Kinderbetreuung et cetera. Ein weiteres Kind würde dieses gerade perfekt errichtete und bestens funktionierende Modell zerstören.

„Und du, wie siehts bei dir mit Kindern aus?“, wandte sich die Ein-Kind-Frau irgendwann an mich, und als ich das fast schon epische Ausmaß unserer Familienplanung offenlegte (drittes Kind im Bauch), lächelte sie ein Zitronenlächeln, ein bisschen jovial und ein bisschen mitleidig. Naja, das wisse ja jede Frau am besten für sich, was sie vom Leben wolle.

Familie Flodder to be?

Ich holte die tausendste Rhabarberschorle des Abends und versuchte, mich durch eine spontane Visualisierung aufzumuntern: Ich und mein Mann, umgeben von drei rotbackigen Bullerbü-Kindern, im Sommerurlaub in Schweden vor einem roten Holzhaus, mein Mann und ich prosten uns mit eiskaltem Weißwein zu, während die Kinder mit ihren wehenden blonden Mähnen ums Haus tollen, Vögel zwitschern, Kinder lachen…und Schnitt: Wir zu fünft in einer viel zu kleinen Wohnung im Plattenbau, prekarisiert und an den Stadtrand gedrängt, die wenigen Zimmer teilweise behaust und verwohnt von zwei Teenagern, die dort ihre müffelnden Turnschuhe lagern und das Zimmer in einen Raubtierkäfig verwandeln; Urlaub, wenn überhaupt, nur noch auf verwahrlosten Campingplätzen in Brandenburg; wir als White-Trash-Familie, in einem Trailer-Park hausend und riesige Einkaufswägen aus dem Discounter schiebend…

Diese Entscheidung für ein drittes Kind – es wollte mir plötzlich einfach nicht mehr in den Sinn, warum wir uns freiwillig auf diesen Wahnsinn eingelassen hatten. Ich konnte nur noch an das negative „Mehr“ denken, das wir bald zu ertragen hätten: Mehr Geschrei, mehr Streit, mehr Nervenzusammenbrüche, mehr Wutanfälle, mehr Termine, mehr Organisationwahnsinn, mehr Gereiztheit, mehr Kosten…und dafür: weniger Platz, weniger Zeit für sich, weniger Möglichkeiten.

Warum kein Beuteverzicht?

Also, warum machen Leute so was freiwillig? Ich musste an mein Interview mit dem Autor Malte Welding denken, das ich vor längerer Zeit geführt hatte. Es ging damals um die Frage, warum Deutschland so massive Probleme mit der Geburtenrate hat. Malte erwähnte den österreichischen Philosophen Robert Pfaller, der den Begriff des „Beuteverzichts“ gebraucht: Weil ich merke, ich werde die von mir gewünschte Zahl Kinder eh nicht schaffen, schraube ich meine Wünsche von vornherein zurück. „Die Zahl der Kinder, die sich jemand wünscht, ist ja nicht von äußeren Umständen losgelöst in dir festgelegt. Wenn ich wirklich nur auf mich selbst zurückgeworfen wäre, dann fände ich fünf Kinder schön – ich weiß aber, das krieg ich nicht verwirklicht, also reduziere ich die Zahl der gewünschten Kinder auf eine Zahl, die ich mir angesichts der Umstände zutraue“, so erklärte Malte das.

Das finde ich sehr interessant. Und es stimmt schon, aus irgendeinem Grund fand ich drei Kinder schon eine ganz wunderbare Vorstellung, das war also definitiv meine gewünschte Zahl; und ohne zu wissen warum, habe ich diese Zahl nicht zurückgeschraubt. Aber erst jetzt, wo dieses Szenario bald droht, Wirklichkeit zu werden, werde ich mir der Dimension dieses Projekts bewusst. Dass ich keinen Beuteverzicht geübt habe, sondern die gewünschte Zahl durchgezogen habe, erscheint mir momentan aber nicht besonders mutig oder erfüllend, sondern eher fahrlässig.

Mein Mann erzählte mir übrigens, einige seiner Freunde würden sich ein drittes Kind wünschen, bloß: Die Frauen würden da nicht mitspielen. Dieses Fass mach ich jetzt nicht auf, aber die Frage muss erlaubt sein: Komisch, Männer, habt ihr euch womöglich schon mal gefragt, woran das liegen könnte?

Es fängt wieder bei Null an

Jedenfalls ist mir ist aufgefallen, dass schon einige Leute uns mit dem Satz zu trösten versucht haben: „Also ich hab das Gefühl, dass das heutzutage wieder mehr Leute machen“. „Das“, damit meinen sie den Irrsinn, ein drittes Kind zu bekommen. Die vereinzelten Leute in unserem Freundeskreis, die selbst drei Kinder haben, sind natürlich euphorisch – man freut sich, wenn man nicht allein in der Tinte sitzt. Aber so richtig Mut machen konnten sie nicht.

Ein Freund von uns, selbst Vater von drei Kindern, erklärte uns das im gemeinsamen Urlaub so (nachdem wir abends im Restaurant gewesen waren, wo seine beiden älteren Kinder, endlich aus dem Allergröbsten raus, zumindest während des Vorgangs der Nahrungsaufnahme am Tisch sitzen blieben, während er, seinen Teller auf den Händen balancierend, dem jüngsten auf der Strandpromenade hinterhergelaufen war): „Ihr müsst euch das so vorstellen: Du bist schiffbrüchig und drohst zu ertrinken, du schwimmst um dein Leben; du hast endlich das rettende Ufer erreicht; und plötzlich kommt jemand und wirft dich einfach wieder mitten im Meer ins Wasser. Und du musst nochmal von vorn anfangen, obwohl du mit deinen Kräften am Ende bist.“

Also, wir können am Ende festhalten: Es gibt keinen vernünftigen Grund, drei (oder noch mehr!) Kinder zu bekommen.

Das Schönste hat meine Freundin Anna gesagt, als ich sie in einem deprimierten Moment volljammerte, von wegen noch mehr Stress, noch mehr Ängste, noch mehr Kosten, noch mehr Geschrei, noch mehr Wickeln, noch mehr Zombie-Augenringe, noch mehr Babykacke…sie sagte: „Und noch mehr Liebe.“ Das muss es wohl irgendwie sein.

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