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Es ist gut, durch die Tochter zum Feministen zu werden – aber es zeigt auch, dass noch viel zu tun ist

Der Moderator Nilz Bokelberg hat darüber geschrieben, wie ihm durch seine Tochter klar wurde, dass er sich zum Feminismus bekennen will – und hat dafür neben Applaus auch viel Kritik eingesteckt. Was ist das Problem?

 

Kann man Sexismus erst verstehen, wenn man eine Tochter bekommt?

Eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichberechtigung beginnt oft dann, wenn uns bewusst wird, wie sehr uns das persönlich betrifft. Bei Frauen geschieht das spätestens mit dem Eintritt ins Arbeitsleben und bei Männern nicht selten mit einer Tochter. So ging es auch dem Moderator Nilz Bokelberg, der für Zeit Online aufgeschrieb, wie er mit dem 16. Geburtstag seiner Tochter beschlossen hat, sich zum Feminismus zu bekennen – weil er durch ihr Älterwerden noch einmal reflektiert hat, dass Gleichberechtigung noch immer nicht in unserer Gesellschaft angekommen ist und er sie nicht in eine solche Welt schicken will. 

Erstmal ist das eine gute und wichtige Erkenntnis und es ist ebenso wichtig, diese öffentlich zu machen. Und dennoch gabt es viel Kritik am Text – weil es ja wohl nicht sein könne, als Mann vor allem wegen der eigenen Tochter Feminist zu werden und dafür auch noch Applaus zu bekommen. Ich muss sagen, ich finde es erstmal wichtig, dass sich ein Mensch mehr öffentlich für den Stellenwert dieses Themas ausspricht, anstatt dass sich gleich der Missmut über das Warum und das Wie in mir regt. Aber ja, natürlich ist an der Kritik was dran.

Denn erstmal bekommt ein Mann für einen solchen Text sehr viel mehr Aufmerksamkeit als ihn eine Frau bekommen würde. Weil, und das ist ja die traurige Wahrheit, es noch immer eine ungewöhnliche Position ist. Und er bekommt auch sehr viel mehr Wohlwollen dafür. Es ist doch meist so: Ein Mann sagt, er sei Feminist und alle klatschen. Ein Mann sagt, in unserer Gesellschaft geht es ungerecht zu – und auf einmal nicken viele von denen, die sich sonst dagegen wehren würden. Ein Mann bleibt zuhause beim kranken Kind und alle finden es toll, toll, toll. Wenn ein Mann ausspricht, was (mehrheitlich) Frauen schon lange anprangern und Gleichberechtigung nicht nur fordern, sondern auch leben, bekommen diese Themen gerne ein ganz neues Gewicht – als würde sich hier eine neue Wahrheit auftun, was natürlich Bullshit ist. Und genau das ist wahrscheinlich auch der Aufreger, abgesehen von dem Fakt, dass ein Mann durchaus ohne Tochter ein Bewusstsein für feministische Themen haben kann.

Fehlende Gleichberechtigung trifft uns alle

Denn ja, bei aller Freude über jeden Mann – ganz gleich ob Vater oder nicht – der sich nicht vor dem Label Feminist scheut, nervt es auch mich, dass es eine Tochter braucht, um zu erkennen, was für Frauen in dieser Gesellschaft schiefläuft. Mit einer Tochter, einer Mutter oder einer Schwester zu argumentierten, bringt das Thema auf eine rein persönliche Ebene und verwässert, dass wir es hier mit einem strukturellen Missstand, mit strukturellem Sexismus zu tun haben und unser System an vielen Stellen ganz einfach auf der Benachteiligung von Frauen basiert. Eigentlich sollte unser Wissen und der Sinn für eine gerechte Gesellschaft ausreichen, um hiergegen angehen zu wollen. Aber wie eingangs erwähnt, gehört es eben auch zur Wahrheit, dass man Unrecht oft erst (an-)erkennt, wenn es einen selbst betrifft. Ob man das schön findet, steht auf einem anderen Blatt. Und viele Männer realisieren eben immer noch nicht, dass Feminismus kein „Frauenthema“ ist, sondern uns alle freier macht. Und selbst wenn man an diesem Punkt nicht mitgeht, sollte es ein Bewusstsein dafür geben, dass wir als Gesellschaft nur dann weiterkommen, wenn wir auch mal für Themen kämpfen, die nicht direkt mit uns verlinkt sind. 

Ich freue mich also über jede und jeden, der oder die sich für Gleichberechtigung ausspricht und Zustände anprangert, denn wenn dadurch auch nur ein weiterer Mensch zum Nachdenken gebracht wird, haben wir etwas gewonnen. Und deshalb freue ich mich auch über den Text von Nilz Bokelberg! Vielleicht können wir aber irgendwann dahin kommen, dass wir Benachteiligung auch ohne die Familienargumentation oder die persönliche Ebene angehen können und Probleme außerhalb unserer eigenen kleinen Lebens verstehen. Es gibt genug Zahlen und Forschungsarbeiten, die ganz eindeutig belegen, wie schlecht es um die Gleichberechtigung in Deutschland bestellt ist. Das alles geschieht nicht im Verborgenen und es sind auch keine Infos, an die man schwer rankommen würde – es reichen übrigens auch einfach offene Augen im Alltag. Man muss es nur wollen und dann den Bezug zum Thema darüber finden, dass wir alle zu einer Gesellschaft gehören, in der es Chancengleichheit geben muss.

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