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„Warum wir keine Elternzeit genommen haben” – wenn Väter die Verantwortung abschieben

In einem Artikel bei Zeit Online sprechen Väter ganz ehrlich darüber, warum sie keine Elternzeit genommen haben. Die Aussagen zeigen: das Problem ist immer noch größer als viele es wahrhaben wollen. Ein Kommentar unserer Community-Autorin.

Geteilte Elternzeit: Die Realität sieht anders aus

„Moderne Väter nehmen Auszeit und reduzieren den Job“, jubelte die ZEIT bereits vor knapp einem halben Jahrzehnt. Als Beispiel musste die kleine Marie herhalten, die einmal in der Woche das „Privileg“ besaß, von ihrem Vater, dem damaligen Vize-Kanzler, Sigmar Gabriel, aus der Kita abgeholt zu werden. Seitdem stimmen Medien regelmäßig in die Lobeshymne auf den modernen Vater ein. Auch die Werbung vermittelte mit hochglanzbebilderten Werbestrecken von trendbärtigen Papas samt Babytrage den Eindruck, das mit der Gleichberechtigung sei nun endlich vollbracht.

Der ZEIT-Artikel vom 30. März 2018 „Warum wir keine Elternzeit genommen haben”, verspricht erst einmal Klartext. Denn nach wie vor sind es die Mütter, die sich überwiegend um die gemeinsamen Kinder kümmern, während die Väter weiter arbeiten gehen. Und genau das scheint der Artikel aus Sicht der Männer zu thematisieren. Doch bei genauerem Lesen vermittelt der Artikel von Katja Lewina und Tina Epking dann doch wieder den Eindruck, als wären die interviewten Männer große Ausnahmen in einer Horde von Vätern, die sich ganz selbstverständlich für ihre Familien berufliche Auszeiten nehmen. Statistisch gesehen ist das Unsinn: Nur 17,4 Prozent der Väter beziehen Elterngeld – für rund drei Monate, meist gemeinsam mit der Partnerin. Warum das so ist, davon vermitteln die zu Wort kommenden Väter ein realistisches Bild.

Vorab: Natürlich ist in jeder Familie individuell auszuhandeln, wer sich auf die Kinderbetreuung fokussiert. Wer den finanziellen Bedürfnissen einer jungen Familie Rechnung trägt. In Zeiten, in denen Lebenserhaltungskosten hoch und Jobs unsicher sind, gehen Paare gerne auf Nummer sicher. Wie dies am besten gemacht wird, darüber kann man streiten. Mir sind Frauen begegnet, die meinen, da sie von beiden Partnern den besser bezahlten Job haben, müssten sie Elternzeit nehmen, denn nur so rechne es sich. Die Männer in meinem Umfeld sagen, es sei doch glasklar, dass der finanziell schwächere Part zu Hause bleibt, damit das Vollzeit-Einkommen weiterfließt, denn nur so rechne es sich.

Männer, die lieber arbeiten gehen

Da ist der „wunderbar ausgeglichene“ Softwareentwickler Hanno. „Wenn es mir gut geht, geht es der Familie gut“, ist sein erklärtes Leitmotto. Und gut geht es ihm überwiegend im Büro. Dafür widme er sich, entspannt durch den tollen Job, sogar Abends und am Wochenende „stundenlang“ den Kindern. Vielleicht gehört Hanno wirklich zu den tollen Männern, die nach Feierabend in den Supermarkt eilen, kochen und die Liebste danach zum Yoga schicken. Vielleicht zieht Hanno es auch vor, mit seiner Familie das entspannte Freizeitprogramm durchzuziehen, während Mama bei vollen Windeln und motzigen Kindern auf Abruf anwesend ist. Und wenn am Montag die Arbeitswoche wieder losgeht, darf die Familienmanagerin mit grippalem Infekt zwischen streitenden Kindern, vollen Windeln und versauter Küche rotieren.

Immerhin Geschäftsführer Philip hat einen Blick auf die Nöte und Herausforderungen seiner Frau: „Es wäre hilfreich gewesen, wenn ich ihr hätte zur Seite stehen können“. Personalleiter Thomas, Vater junger Zwillinge und eines Babys lobt sich dagegen dafür, „keine zeitraubenden Hobbys“ zu haben. Wobei unweigerlich die Frage aufgeworfen wird, welches Elternteil denn überhaupt Zeit für Hobbys hat. Geschweige denn für zeitintensive Zerstreuung.

Es sei dahingestellt, ob die porträtierten Männer tatsächlich unersetzlich sind oder ob hinter ihren berufliche Ambitionen Familienflucht, gar Geringschätzung, der von ihnen als weiblich empfundenen Arbeit steckt. Hinzu kommt ein Anreizsystem der Wirtschaft, das einen jungen Familienvater, verlässlich auf ein festes Einkommen angewiesen und örtlich gebunden, als attraktiven Angestellten erachtet und ihm allerlei Zugeständnisse macht. Zugeständnisse, die sich eine junge Frau unter Umständen erst hart erarbeiten muss.

Nach der Trennung wollen Väter plötzlich mehr

Bei der ehrenamtlichen Beratung von Müttern erlebe ich, dass sich traditionelle Konstellationen nach der Trennung oftmals schnell ändern. Männer, die früher ihren Fokus auf den Beruf gelegt haben, wollen nach der Trennung nicht selten einen radikalen familiären Systemwechsel. Bis hin zum Einfordern der mindestens halben Betreuung der Kinder. Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist. Zynische Anwaltskollegen sagen, spätestens, wenn Männer merken, wie viel Unterhalt für Kinder und Verflossene monatlich vom Konto abgeht, sinkt die Motivation für das Hochklettern der Karriereleiter gegen Null. In vielen Fällen kann die neue Freundin, die Kleinen aus der Perspektive des Vaters genauso gut betreuen wie die Mutter. Nur praktischerweise zum Nulltarif – denn je weniger Zeit die Kinder bei ihrer Mutter verbringen, desto weniger Kindesunterhalt erhält sie. Zumindest nach der Logik von Betreuungsmodellen wie dem „Wechselmodell“. Mangels finanzieller Einbußen kann man(n) dann mit neuer Frau wieder als Familie leben, quasi wie vorher. Nur frisch verliebter, und mit aufregenderem Sex. Ganz zu schweigen von den fast 50 Prozent aller Männer, die gar keinen Unterhalt zahlen und dabei durch Gesetzeslücken sowie laxe behördliche Verfolgung gedeckt werden.

Für den wirtschaftlich unterlegenen Part, in aller Regel die Frau, geht eine Trennung oft mit dem fast sofortigen Wegfall der Lebensgrundlage einher. Hinzu kommen eventuell kostspielige Anwaltsrechnungen. Verfahren über Sorgerecht und Betreuungsansprüche ziehen sich oft über Monate, wenn nicht Jahre hin. Nicht selten pochen Männer mit einem beruflichen Pensum wie Hanno dabei darauf, „nach Feierabend“ für die Kinder da gewesen zu sein.

Männer überschätzen ihren Anteil an der Kinderbetreuung

Dass Männer ihren Beitrag zur Kinderbetreuung radikal überschätzen, ist übrigens ein gängiges Phänomen in Sorgerechtsprozessen. Unter Umständen müssen in solchen Fällen Erzieher und Nachbarn als Zeuge vor Gericht oder per eidesstattlicher Versicherung klären, wer die tatsächliche Bezugsperson für das Kind war und nicht nur die „gefühlte“. Überhaupt tut das deutsche Familienrecht so, als wäre das schon seit gut 20 Jahren gar kein Problem mehr mit der partnerschaftlichen Aufgabenteilung zwischen Mama und Papa.

Unterhaltsansprüche wurden nach der Familienrechtsreform im Jahr 2009 unter dem hämischen Claim „kein Recht auf Zahnarztfrau für immer“ weitestgehend abgeschafft. An das, was während der Ehezeit einvernehmlich gelebt wurde, muss man(n) sich spätestens nach dem Scheidungsurteil nicht mehr halten. Ignoriert wird dabei, dass es auch in der Verantwortung der beruflich unersetzlichen Männer liegt, wenn Frauen nach der Trennung ohne Geld und Perspektive dastehen.

Die Existenzsicherung übernimmt im Notfall der Staat. Dann warten auf Frauen unangenehme Begegnungen mit dem Jobcenter. Denn so viele Vollzeitstellen wie es seit der Novellierungen im Familienrecht braucht, um Mütter in Not auf eigene Füße zu stellen, gibt der Arbeitsmarkt nicht her. Vermutlich auch nicht für Philips Frau, die engagierte Ex-Journalistin aus dem ZEIT-Artikel. Insofern bleibt zu hoffen, dass Hanno, Thomas und Philip sich nach einer möglichen Trennung noch an die im Artikel gelobte „Care“-Arbeit ihrer ehemaligen Partnerinnen erinnern. Und sich den Frauen gegenüber, die ihnen jahrelang verlässlich den Rücken freigehalten haben, verantwortungsbewusst erweisen.

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