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Ist der Wahlausgang in Frankreich wirklich ein Grund zum Aufatmen?

In ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?” schreibt Helen über alles, was sie als junge Wählerin beschäftigt. Und heute über den Wahlausgang in Frankreich.

Nach der Wahl in Frankreich: Europa atmet auf

Wenn man ganz leise war, konnte man am Sonntagabend halb Europa aufatmen hören, als der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron sich in der Stichwahl gegen Marine Le Pen durchsetzte. Das französische Volk hatte sich also für den Kandidaten entschieden, der sich offen zur Europäischen Union bekannte. Als er nach dem Wahlsieg auf die Bühne trat, wurde nicht die französische Nationalhymne gespielt, sondern die europäische. Nach Brexit und Trump hätte das progressive Europa noch einen Sieg der „Gestrigen” wohl nicht verkraftet. Ein Sieg Le Pens hätte tatsächlich den Anfang vom Ende der Europäischen Union bedeuten können. Puh, gerade noch mal gut gegangen. Die rechtsextreme Kandidatin erhielt nur 35 Prozent der Stimmen – moment, nur 35 Prozent? 

Das bedeutet mehr als jeder dritte Franzose, der am Sonntag zur Wahl gegangen ist, wollte eine rassistische, europafeindliche Präsidentin: Elf Millionen Franzosen gaben ihre Stimme einer Kandidatin, die Multikulturalismus als „die Waffe islamistischer Fundamentalisten, die von den nützlichen Idioten unter dem Deckmantel der Toleranz einfach hingenommen wird” bezeichnete. Die offen gegen Migranten, Geflüchtete und französische Muslime hetzt. Elf Millionen, nie hat eine rechtsextreme Partei oder Kandidatin in Frankreich mehr Stimmen erhalten. Über drei Millionen Franzosen haben das erste Mal für eine Neofaschistin gestimmt. Klingt das wirklich nach einem Sieg für Europa?

Hauptsache der Populismus wird nicht stärkste Kraft?

Ja, es wäre schön, wenn der Populismus tatsächlich der nun viel beschwörte „Abstiegskandidat” wäre. Wenn die Tatsache, dass in Österreich im Dezember 2016 denkbar knapp ein rassistischer und homophober Präsident verhindert werden konnte, dass Geert Wilders im März 2017 weniger Stimmen bekam als erwartet und dass nun Marine Le Pen die Stichwahl verloren hat, Signale dafür wären, dass Rassismus, Antisemitismus, Islamhass und Homophobie in Europa keinen Platz mehr haben. Aber so bequem können wir es uns leider nicht machen. Für Norbert Hofer haben 46,2 Prozent der Österreicher gestimmt, Geert Wilders bekam mehr Stimmen als noch 2012 und für Marine Le Pen haben, wie erwähnt, elf Millionen Franzosen gestimmt.

Klingt das nach einem Abstiegskandidaten? Jeder Bundesligaverein hätte sich mit so einer Bilanz den Klassenerhalt schon längst gesichert. Noch werden die Populisten vielleicht nicht Meister, aber auf den Championsleague Plätzen haben sie es sich schon längst bequem gemacht.

Die Mitte passt sich an

Vergangene Woche fanden auch in England Kommunalwahlen statt. Die konservative Partei der Premierministerin Theresa May hat diese klar gewonnen. Neben der Labour-Party musste auch die rechtspopulistische Partei UKIP starke Verluste verzeichnen. Die UKIP war mit Nigel Farage an ihrer Spitze die treibende Kraft der „Leave-Kampagne” vor dem Referendum zum Brexit. Alle 114 Mandate hat die UKIP bei diesen Wahlen nun verloren, nur ein neues dazu gewonnen. Sie haben den Brexit als realistisches Szenario auf die politische Agenda gebracht, nun werden sie tatsächlich nicht mehr gebraucht. Aber etwa wirklich, weil die englische Gesellschaft sich gegen rechten Populismus entschieden hat oder vielleicht schlicht, weil die Konservativen ihre Politik übernommen haben? Die Partei mag verlieren, ihre fremdenfeindliche, nationalistische Agenda aber bleibt.

Und auch Le Pen hat den politischen Diskurs in Frankreich längst weiter nach rechts gedrängt. Darüber hinaus ist sie schon dabei, den Front National umzustrukturieren. Sie selbst schaffte es, ihre Wahlniederlage am Sonntag anders darzustellen: „Mit diesem historischen, massiven Ergebnis haben die Franzosen die Allianz der Patrioten zur ersten Opposition gemacht.” Unrecht hat sie damit nicht, denn bei rechtsextremen Parteien darf das Ziel nicht erst die Verhinderung einer Regierungsbeteiligung sein. Marine Le Pen und die anderen rechtspopulistischen Politiker Europas sind gekommen, um zu bleiben. 

Le Pen verliert, die Gefahr bleibt 

Broadly hat zur Wahl am Wochenende mit jungen Musliminnen in Frankreich gesprochen, für die die Niederlage Le Pens nichts daran ändert, dass sie täglich rassistischen Angriffen ausgesetzt sind. Für sie ist Rassismus längst Teil der französischen Gesellschaft. 

Die Geschichten dieser jungen Musliminnen sind nur ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass wir uns nicht entspannt zurücklehnen. Vor allem nicht in einem Land, in dem ein deutscher Bundeswehrsoldat sich gerade erst als Flüchtling ausgeben hat, um eine Anschlag zu planen und damit Geflüchtete zu degradieren – und die darauf folgende Kritik der Verteidigungsministerin an der Bundeswehr, der größere Skandal zu sein scheint. In einem Land, in dem der NSU jahrelang morden konnte und die Öffentlichkeit sich mittlerweile kaum noch für die Aufklärung zu interessieren scheint. In einem Land, in dem 2017 die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zwar zurückgegangen sind, aber statistisch immer noch jeden Tag ein Angriff stattfindet. In einem Land, in dem die rechtspopulistische Partei am Wochenende in einen weiteren Landtag eingezogen ist. In einem Europa, das am Wochenende schon wieder 200 Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken ließ. Ja, der Wahlausgang in Frankreich kann uns einen Moment aufatmen lassen, das Schlimmste ist verhindert worden. Aber wir dürfen es uns mit diesem Wahlergebnis nicht bequem machen, denn für viel zu viele Menschen ist der Hass für den Marine Le Pen und der Front National stehen, bittere Realität. Und für uns alle, haben die rechtspopulistischen Kräfte auch nach der Wahl in Frankreich nicht an Kraft verloren.

 

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