Foto: Grant Brenton | Unsplash

Liebe Eltern, warum nehmt ihr euren Kindern ihr unkompliziertes Glück?

Sieht so der richtige Umgang mit Kindern aus? Das fragt sich unsere Communityautorin Anja Poeschke, wenn sie sich in ihrer Umgebung umsieht. Denn wenn man Kinder durch unsere unterkühlte „Erwachsenen-Software“ laufen lässt, dann gehen dabei wertvolle Daten verloren.

 

Warum lassen wir Kinder einfach nur neben uns herlaufen?

Ich sitze draußen und verfolge die alltägliche Szenerie. Beobachte, lese die Blicke der Menschen, lese die Gesichter der Kinder. Ich könnte meinen, Gefühle kann man nicht so einfach löschen wie einen Virus am Rechner. Aber ich werde leider vom Gegenteil überzeugt. Da gibt es so Software, von Erwachsenen erfunden. Und die Reparatur wird uns teuer zu stehen kommen.

Der für den Erwachsenen strategisch ausgeklügelte Tag.  Kinder befinden sich lediglich anbei. Die Lage läuft aus dem Ruder, sobald die Geduld der erwachsenen Begleiter erreicht ist.

Samstagvormittag, Einkaufscenter. Ich möchte schnell nur eine Zeitschrift kaufen und wieder raus aus dem überfüllten Kasten. 11.00 Uhr, ich verspüre Müdigkeit. Um 11.00 Uhr habe ich oftmals mein erstes Mittagstief. Ich kann das nur schwer kompensieren, ich muss mal an die frische Luft, einen grünen Baum geniessen, einem Tagtraum nachgehen – nur fünf Minuten. Dann ist das Akku wieder geladen.

Bedürfnis nach Umarmung und Entspannung: gelöscht

Weinende, sich die Augen reibende Kinder werden durch die Schuhläden gezerrt. Am Arm wird gerissen, es wird geschimpft… Der Spielzeugladen wird von den gelangweilten Eltern auch nur mit rollenden Augen betreten. „Gut, du bekommst ja dein Spielzeug. Damit hörst du aber auf zu weinen. Beeile dich, wir müssen noch in die Drogerie.“ „Ich habe Hunger Mama.“ „ Das auch noch, dann esse doch zu Hause genug. Und kannst du eigentlich auch bitte sagen?“

Weinendes Kind, das Baby muss auch noch die Flasche haben. Kein Ort, der zum Beruhigen einladen würde. Das Baby weint, das ältere Geschwisterchen bekommt einen Klaps, weil es nicht aufhört zu quängeln, sich die Augen reibt. Die Eltern sind gereizt. Der Vater drängelt, er möchte auch noch zum Elektrobedarf.

Meine Kinder nehmen beeindruckt von dem Schauspiel ängstlich meine Hand. Sie wollen lieber raus und das nicht mit ansehen. Es sind zu viele Menschen.

Ich suche den nächsten Spielplatz, am besten im Schatten. Zum Aklimatisieren für uns. Erst einmal runter fahren. Das haben wir jetzt auch gebraucht. Festplatte wieder am Laufen. So ist nun mal das Leben, sage ich zu ihnen, noch immer verunsichert von so manchen Beobachtungen im Center. Es ist ja auch mal schwer zu verstehen.

Die freie Entfaltung: gelöscht

Spielplatz, Spaß beim Toben. Ein Kind fällt hin, die Mutter schreit es an, die schönen Kleider. „Nachher gehst du doch noch zum Geburtstag“. „Komm vom Baum herunter, deine Hose geht davon kaputt.“

Wasserspielplatz, die Zwillinge erfreuen sich an dem schönen Bach. Es wird ihnen verboten ins Wasser zu gehen. Sie sollen sich anders beschäftigen. Sie bekommen das Handy für den Ruhemodus. Papa will jetzt mal sitzen.

Geduld und Glück empfinden: gelöscht

„Komm, wir müssen los.“ Dabei ist das noch recht kleine Mädchen ganze 20 Minuten richtig glücklich und geduldig am Spielen – endlich mal so ein schöner Sandkasten, mehr braucht es doch nicht. Ihre Welt war bis eben in Ordnung, die Eltern hatten Ruhe. Das Kind will nicht los. „Noch zehn Minuten spielen.“  Sie bittet sogar darum. Aber keine Vorbereitung, keine lieben Worte. Kritik: „Es ist immer dasselbe mit dir…“

Ruhe geniessen, mal allein sein mit Mama: gelöscht

Bibliothek, ein Schulkind, mit seiner Mama und mit zwei jüngeren Geschwistern im Schlepptau. Die Lesung ist nur für Schulkinder gedacht. Die zwei Geschwister nörgeln und langweilen sich. Das ältere Geschwisterchen bekommt wenig von der Lesung mit und muss letztlich ohne Mama zuhören. Es bekommt Kritik von der gestressten Mutter: „Du hast gar keine Geduld, sitz’ doch mal still. Das nächste Mal gehst du allein“. Ich sitze mit meinem Sohn auf einem mir zu kleinen Sitzsack. Wir haben es beide, ohne Anhang, so richtig gemütlich.

Empathie für einander: gelöscht

Schulreise, ich drücke meinen siebenjährigen Jungen. Alles okay, er freut sich auf seine Reise. „Tschüss Mama, ich laufe am Nachmittag allein heim. „ Seinen Rucksack hat er allein gepackt und das Stockbrot mit Papa gezaubert.

So kann ich jetzt meinen Tag nur mit Tochter geniessen. Ich bekomme, nichtsahnend die volle Breitseite: „Anja, wie uncool, du drückst deinen großen Jungen vor allen anderen Kindern.“  Eine Mutter fällt mich an, vor anderen Müttern. Was habe ich getan? Ich bleibe ruhig. Wie schön das Wetter doch heute ist. Da können die Kinder mal richtig ihre Zeit zusammen genießen und Abenteuer erleben.

Nachmittags, ich komme mit Tochter gerade von einem Ausflug mit dem Zug an. Gegenüber. Bahnsteig. Dort drängen sich wartende Eltern. Die Schulkinder treffen ebenso ein. Ich sehe meinen Sohn, winke rüber. Er kommt glücklich angerannt, inklusive seiner Freunde. Die Mutter von heute früh: Stellt regelrecht ihrem ankommenden Sohn nach – mit Baby im Wagen und Tochter (Kindergartenkind) – wie uncool. Der Junge lächelt nicht. Seine Geschwister lassen ihm keinen Raum, seiner Mama zu berichten.

Die einfachen Dinge im Leben geniessen: gelöscht

Ich beobachte einige Kinder am Bahnhof, wie sie in den Fahrradanhänger
oder ins Auto gedrängt werden. „Schnell nach Hause, du bist ja so müde vom Tag. Und Mama muss noch schnell mit dir ins Einkaufscenter, den Wochenendeinkauf machen…“

Mein Kind rennt nochmals los und darf sich den Rest das Tages mit Freunden treffen und Fußballkarten tauschen. Später noch auf den Spielplatz. Ich bin müde, aber ich gehe selbstverständlich mit. Später noch im Brunnen abkühlen – das tut gut. Und so wenig Aufwand.

Ganz simple Zufriedenheit finden: gelöscht

21.00 Uhr. Zurück vom Einkauf. Die Eltern nörgeln, müde von dem anstrengenden Tag. „Warum willst du nicht endlich schlafen. Dann spiel doch am Tage und triff dich mit Freunden. Gelesen hast du heute auch nicht. Warum immer alles in den Abend gelegt werden muss von dir. Wir sind auch keine Computer.“ Die Eltern streiten, der Abend ist gelaufen. Der Einkauf muss auch noch ausgepackt werden. Die Kinder schlafen allein und traurig ein.

Defragmentierung erfolgreich

Wir Drei sind, abgekühlt vom Brunnenbad endlich zu Hause angekommen. Die Handtücher hängen wir gemeinsam mit jeder Menge Spaß auf. Jetzt bin ich aber auch müde. Ich bekomme ein ganz simples „Gute Nacht“ und ein glückliches: „Mama, es war ein schöner Tag, danke.“

20.00 Uhr, die Kinder schlafen zufrieden ein. Schön, ich habe Zeit, meine Bewerbungen zu schreiben. Die Finanzen muss ich auch noch durchgehen. Heute arbeitet mein Mann bis 22.00 Uhr. Ich bin allein, aber zufrieden
mit dem Tag. Ich nehme noch ein Fußbad.

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