Bild: Andrew Itaga/Unsplash

Kinderwunsch in Deutschland: Fortschritt gleich Null

An der gesellschaftlichen Realität vorbei

„Jeder, der Verantwortung für ein Kind übernehmen möchte, hat Unterstützung verdient“ – diesen Satz schreibt die junge FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr in einem Positionspapier, mit dem sie eine Reform des Embryonenschutzgesetzes und des Abstammungs- und Adoptionsrechts vorantreiben möchte und aus dem der „Tagesspiegel“ zitiert. Konkret geht es ihr um die Eizellspende, Embryonenspende und die nicht-kommerzielle Leihmutterschaft – alle drei sind in Deutschland bisher verboten. „Das Embryonenschutzgesetz ist von gestern und muss reformiert werden“, sagte die Politikerin dem Tagesspiegel. Sie fordert eine Reform, die „endlich die gesellschaftliche Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt.“

Das deutsche Embryonenschutzgesetz und andere deutsche Regelungen zur assistierten Reproduktion und generell zur Familiengründung werden schon längst von Expert*innen als veraltet angesehen. Das  Embryonenschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1990, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen seitdem mutet es deprimierend verstaubt an, dass es bis heute etwa für verheiratete lesbische Paare keine gesetzlich geregelte Möglichkeit gibt, in Deutschland gemeinsam Kinder zu bekommen – obwohl die Ehe für alle seit Oktober 2017 gesetzlich verankert ist. Manche Kinderwunschpraxen in Deutschland behandeln homosexuelle Paare trotzdem – manche Landesärztekammern verbieten die Behandlung lesbischer Paare oder Singles nicht ausdrücklich. „Die Realität sieht so aus, dass es für lesbische Paare in Deutschland Glückssache ist, in welchem Bundesland sie leben und ob sie eine Praxis finden, die sie unterstützt“, sagt Markus Ulrich, Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbands.

Zuschüsse nur für Mann und Frau

Zuschüsse von den Krankenkassen für künstliche Befruchtungen erhalten lesbische Paare ohnehin nicht – obwohl diese Zuschüsse verheirateten Paaren zur Verfügung stehen. „Die Krankenkassen bezuschussen lediglich die so genannte homologe Inseminationbeziehungsweise Befruchtung einer Eizelle – sprich, eine Befruchtung mit den Samenzellen des Ehepartners. Und damit sind lesbische Paare natürlich raus“, sagt Ulrich.

Anfang Juni hatten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien ihre Empfehlungen für ein Fortpflanzungsmedizingesetz vorgestellt. Die Autor*innen fordern ein Gesetz, das vom Grundgedanken getragen ist, die Familienbildung zu erleichtern . Zu den Forderungen gehört auch, die Eizellspende zu erlauben – Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit Frauen – heterosexuell, lesbisch oder alleinstehend – aus Deutschland für mehrere tausend Behandlungszyklen jährlich in Länder wie Spanien oder Tschechien reisen. Die Expert*innen der beiden Akademien halten es nicht mehr für akzeptabel, dass weiterhin ein Unterschied zwischen der Rolle eines Vaters – die Samenspende ist in Deutschland erlaubt – und einer Mutter gemacht wird: „Zu unterstellen, dass die Elternrolle einer Frau einen signifikant anderen Stellenwert für das Kind hat als die Elternrolle eines Mannes, ist heute angesichts neuer Leitbilder von verantwortlicher Elternschaft nicht mehr ohne Weiteres plausibel“, heißt es in einer Stellungnahme.

Ein fortpflanzungsrechtliches Leitmodell?

Eine weitere Forderung ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Kinderwunschbehandlungen komplett übernehmen – und zwar für alle Paare und nicht, wie bisher, teilweise, sofern das (heterosexuelle) Paar verheiratet ist: „Der Gesetzgeber darf nicht etwa deshalb ein Familienbild zum fortpflanzungsrechtlichen Leitmodell erklären, weil ihm der überwiegende Teil der Bevölkerung faktisch anhängt“.

Im „Tagesspiegel“ hieß es im Teaser des Textes zu Helling-Plahrs Vorstoß recht optimistisch, „die FDP“ wolle Embryonenspende und Leihmutterschaft legalisieren. Realistischer ist wohl die Feststellung, dass es auch in Parteien wie der FDP, die sich bisher nicht unbedingt als Partei für moderne Familienpolitik und Geschlechtergerechtigkeit hervorgetan hat, mittlerweile junge Stimmen gibt, die gesetzliche Anpassungen an längst veränderte Lebensrealitäten von Familien in Deutschland fordern.

Fest steht: Beim Thema Familiengründung und Kinderwunsch gibt in in Deutschland derart viele Baustellen, dass mit großen und schnellen Würfen nicht zu rechnen ist. Einigermaßen realistisch scheint, dass homosexuellen Paaren in nicht zu großer Ferne die Familiengründung durch Gesetzesänderungen endlich erleichtert werden könnte, zumal ihnen die Eheschließung seit fast zwei Jahren möglich ist. Embryonenspende, Leihmutterschaft, vier gesetzliche Elternteile statt zwei – angesichts der deutschen Fixierung auf ein traditionelles Familienbild klingt das beinahe noch wie eine Utopie.

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