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Was ist zermürbender: Arbeit oder Kleinkindbetreuung?

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: das schlechte Gewissen.

Bonus fürs Daheimbleiben

Wie wir ja nun alle wissen, hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld gekippt.

Argumente wurden zur Genüge gewälzt, kurz zusammengefasst also auch nochmal von mir, warum das Betreuungsgeld keinen Sinn ergab: Paare mit Kindern, bei denen ein Elternteil bei den Kindern zu Hause bleibt und die sich damit ein Einverdienermodell leisten können, brauchen keine 150 Euro zusätzlich (wobei: gut brauchen kann man zusätzliches Geld natürlich immer; sagen wir, sie brauchen es nicht wirklich händeringend).

Und zweitens kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendeine Mutter oder ein Vater sagt: ,Echt prima, jetzt gibt’s ja 150 Euro für umme, dann schmeiß ich meinen Job, ich hab eh viel mehr Bock, auf die Kinder aufzupassen’. Es gibt viele aufreibende, fade, zermürbende Jobs – und gerade solche Jobs macht man ja vielleicht gerade deshalb, weil man auf die Kohle angewiesen ist, und schmeißt ihn nicht hin, beziehungsweise kann nicht einfach hinschmeißen, nur weil Horst Seehofer 150 Euro spendiert. Nicht mal Jobs im sozialen Bereich sind so schlecht bezahlt, dass der Verdienst minus Kitagebühren (die bei Geringverdienern sehr niedrig sind) nicht das Betreuungsgeld übersteigen würde.

Vielmehr ist es so, dass das Geld an Leute gezahlt wird, bei denen ohnehin ein Elternteil mit den kleinen Kindern zu Hause bleibt, und in 95 Prozent der Fälle sind das Frauen.

Lieber Fließbandarbeit oder Kinderbetreuung?

Harald Martenstein schrieb zum Betreuungsgeld: „Soll ich ein Geheimnis verraten? Es macht mehr Spaß, sich um Kinder zu kümmern, als im Supermarkt an der Kasse zu sitzen, am Fließband zu stehen oder im Callcenter zu telefonieren. Darüber spricht man nicht! Es stimmt aber.“ Warum spricht man darüber nicht? Vielleicht, weil das eh klar ist? Ich nehme mal sehr stark an, viele Leute, die im Supermakt kassieren, an Fließbändern stehen oder im Callcenter telefonieren, tun das nicht, weil sie das lustiger finden, als bei ihren Kindern zu sein, sondern weil sie das Geld brauchen.

Ich muss zugeben, dass ich in dieser ganzen Diskussion manchmal etwas orientierungslos bin. Für mich persönlich würde so ein Betreuungsgeld eher einer Art Schmerzensgeld gleichkommen (und wäre damit ohnehin viel zu niedrig). Ich vergöttere meine Kinder, aber gegen einen ganzen Tag Kleinkindbetreuung fühlt sich für mich ein Tag im Büro an wie eine Wohlfühlmassage. Und da bin ich nicht die einzige.

Als ich noch in Elternzeit war und mein Mann und ich traditionell jeden Abend in Streit darüber gerieten, wer denn nun den anstrengenderen Tag und damit mehr Recht auf Jammern hatte, einigten wir uns irgendwann darauf, dass Arbeit „anders“ anstrengend ist als Kinderbetreuung. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass viele Kinder habende Paare, die sich Job und Kinderbetreuung nicht gleichberechtigt teilen, immer das, was der Partner macht, weniger anstrengend finden. Ein schönes Thema für die Paartherapie.

Weg mit den kleinen Quälgeistern

Jedenfalls war ich damals hin- und hergerissen: Ganz abgesehen davon, dass nach einem Jahr das Elterngeld auslief und irgendwie ja auch wieder Kohle reinkommen musste, hatte ich das Gefühl, wahnsinnig zu werden, wenn ich mich noch länger in der irrsinnigen und gleichzeitig quälend gleichförmigen Mühle der Kleindkindbetreuung aufhalten würde; rieb ich mir im Geiste also die Hände angesichts der Vorstellung, die kleinen Quälgeister bald nicht mehr den ganzen Tag um mich zu haben.

Ich weiß, ich weiß, jahrzehntelang haben andere Frauen das auch hingekriegt. Und heute kriegen es ja auch sehr viele hin, wie die Zahlen zu den Betreuungsgeldempfängerinnen zeigen. Haben die alle bessere Nerven?

Gerade las ich eine ältere Kolumne von Jan Fleischhauer, der sich damals auch so seine Gedanken zum Betreuungsgeld machte und eine interessante These aufstellte, warum Feministinnen und andere Sturm liefen gegen das Betreuungsgeld: Der Rückzug in die Mutterschaft sei eine verlockende Alternative, jedenfalls deutlich verlockender, als viele Frauen sich das eingestehen würden: „Müsste man den aktuellen Aufstand psychologisch deuten, würde man wohl zu dem Schluss kommen, dass hier bekämpft wird, was viele insgeheim begehren. Dieser Übertragungsvorgang ist in der einschlägigen Literatur gut dokumentiert, tatsächlich steht der Furor der Ablehnung oft in einem direktem Verhältnis zu der Anstrengung, die es braucht, das heimliche Verlangen zu unterdrücken.“

Weg von Babykacke und Brokkolischleim

Hm. Ich habe das Gefühl, so ganz allgemein im Leben, viele Sachen sind immer dann verlockend, wenn sie gerade nicht mach- oder erreichbar sind. Während meiner Elternzeit gab es für mich in vielen Momenten nichts Verlockerenderes, als gut gestylt, mit etwas anderem im Gesicht als Babykacke oder Brokkolischleim, in ein Büro mit Menschen zu gehen, die in ganzen Sätzen sprechen. Und seit ich das wieder tue, also mich berufsmäßig mit Menschen zu umgeben, die Interessantes in ganzen Sätzen von sich geben, zermartert mich immer wieder mal das schlechte Gewissen beim Gedanken, die armen Kinderchen acht Stunden am Tag abzuschieben und nicht oft genug hübsch aussehende Gerichte aus Mama Blogs nachkochen zu können (die allerdings am Ende kein Familienmitglied unter 18 zu würdigen weiß, undankbares Pack).

Besonders groß wird das schlechte Gewissen, wenn manche Freundinnen aus Westdeutschland entsetzt sind, sobald sie erfahren, dass die Kinder auch in die Kita müssen, wenn ich einen freien Tag habe, und ich den Kindern gegenüber dann so tue, als würde ich ins Büro fahren, um nicht aufzufliegen.

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