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Martina Liel: „Das Wissen vieler Gynäkologen über Endometriose ist erschreckend gering“

Mehrere Millionen Frauen sind an Endometriose erkrankt, aber was ist das eigentlich? Wir haben mit Martina Liel darüber gesprochen, die selbst davon betroffen ist und mit „Nicht ohne meine Wärmflasche“ ein ausführliches Buch zum Thema geschrieben hat.

Derzeit poppt das Thema Endometriose immer wieder auf – das auch Dank in der Öffentlichkeit stehenden Frauen wie Lena Dunham, Hillary Clinton oder Susan Sarandon, die über ihre eigenen Erkrankung sprechen, um aufzuklären. Und doch wissen viele Frauen nicht, was genau das Krankheitsbild ausmacht, wie man es erkennt und wie eine Behandlung aussehen könnte. Damit sind sie nicht alleine, denn da die Krankheit durch die Bandbreite an Symptomen häufig schwer zu erkennen ist, sind auch viele Gynäkologen unsicher, was das Thema angeht, wie Martina Liel aus ihrer eigenen Erfahrung erzählt. Sie war Ende 20, als die Erkrankung bei ihr festgestellt worden ist. Nun hat sie über ihren Weg und die Ängste, die die Krankheit in ihr auslösten, das Buch „Nicht ohne meine Wärmflasche geschrieben“, das sich sehr ausführlich mit dem Thema beschäftigt.

Du hast ein Buch über Endometriose geschrieben. In Deutschland sind etwa zwei bis sechs Millionen Frauen davon betroffen, und doch kennt man das Krankheitsbild kaum. Kannst du kurz erklären, worum es dabei geht?

„Streng genommen benutzt man das Wort Endometriose für zwei Sachverhalte: Endometriose nennt man es, wenn sich Zellen, die solchen Zellen ähneln, die man sonst nur in der Gebärmutter, im Gebärmutterhals oder in den Eileitern findet, bei Frauen und Mädchen außerhalb dieser Bereiche finden. Das muss gar nicht mit Symptomen einhergehen. Man hat diese Zellen auch schon in ganz seltenen Fällen bei Männern nach Östrogenbehandlung und auch schon bei Kleinkindern und Föten gefunden. Aber Endometriose nennt man auch die Frauenerkrankung, die entsteht, wenn diese ‚falsch platzierten’ Zellen Probleme bereiten. Warum sie das tun, weiß man bis heute nicht.“

Was bedeutet das?

„Die Probleme können gemeinsam oder einzeln auftreten: innere Entzündungen, innere Blutungen, Verwachsungen, Schmerzen, Verdrängen und/oder Einengen von Organen durch wucherndes Wachstum bis hin zu eindringendem Wachstum in anderes Gewebe beziehungsweise Organe und in der Folge eventuell Funktionsstörungen oder sogar komplettes Versagen des jeweiligen Organs. Ein weiteres häufiges Symptom der Endometriose ist Unfruchtbarkeit. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass Endometriose nie identisch mit Gebärmutterschleimhaut ist, wie es oft fälschlicher Weise dargestellt wird, und dass die Schmerzen auch nicht immer nur während der Menstruation auftreten müssen, sondern durchaus unabhängig von dieser auftreten können. Das wissen noch nicht mal alle Ärzte, wie ich letztens erst erfahren musste, als ein Arzt zu einer Betroffenen sagte: ‚Sie haben Schmerzen nach der Periode? Dann kann es keine Endometriose sein.’ Dass Ärzte solche falschen Aussagen treffen, halte ich für eine Katastrophe.“

Kommt es deshalb auch so selten zu einer (richtigen) Diagnose?

„Wie ich gerade schon angesprochen habe, ist das Wissen vieler niedergelassener Gynäkologen über die Endometriose, die immerhin die zweithäufigste ‚gutartige’ Frauenerkrankung ist, erschreckend gering. Das ist nicht nur meine Erfahrung, auch viele Experten wünschen sich da eine bessere Ausbildung der niedergelassenen Kollegen. Ein anderer Grund ist die unspezifische Symptomatik. Es gibt nicht das eine, typische Symptom der Endometriose. Die Symptomatik geht von starken Menstruationsschmerzen bis hin zu Verdauungsproblemen, Schmerzen wie bei Blinddarmentzündung, Schmerzen beim Stuhlgang und/oder beim Wasserlassen, Schmerzen in den Beinen oder Begleiterscheinungen wie Migräne, extreme Erschöpfung, Schwindel, Herzrasen und vieles mehr. Manche Frauen haben zyklisch Schmerzen in den Schultern und gehen damit zum Orthopäden, der einen anguckt, als hätte man sie nicht mehr alle, wenn man einen Zusammenhang zum Zyklus erwähnt. Die unspezifische Symptomatik lässt Ärzte sowieso schnell zu dem Satz hinreißen: ‚Das kommt von der Psyche.’ Eine gesicherte Diagnose kann nach wie vor nur im Rahmen einer Bauchspiegelung gestellt werden, also einem operativen Eingriff. Die Entscheidung zu solch einem Eingriff ist auch nicht schnell gefällt.“

„Die ersten Symptome hatte ich schon mit 15. Damals sagte der Arzt, die Schmerzen seien normal.“

Wann und wie hast du rausgefunden, dass du daran leidest? Ich habe gelesen, dass es dabei zu einer recht dramatischen Situation kam.

„Die ersten Symptome hatte ich schon mit 15. Damals sagte der Arzt, die Schmerzen seien normal. Diagnostiziert wurde die Endometriose bei mir im Alter von fast 29 Jahren bei einer Not-OP. Die Endometriose-Tumore waren so groß geworden, dass man insgesamt vier Kilogramm aus mir herausoperierte. Ich hatte Herde, die invasiv in den Darm hineinwuchsen, von dem man 30 cm entfernen musste. Hinzu kamen Herde an den Eierstöcken, an den Eileitern, die auf das Sechsfache angeschwollen waren, am Harnleiter bis hinauf zur rechten Niere, auf der Blase und am Bauchfell. Das war schon eine größere OP.“

Du wurdest operiert, aber damit nicht geheilt. Wie wirkt sich die Endometriose auf deinen Alltag aus?

„Endometriose wirkt sich auf verschiedene Weise in eigentlich allen Bereichen des Lebens aus. Man wird durch die Schmerzen und die Erschöpfung regelrecht lahmgelegt. Man funktioniert einfach nicht mehr, obwohl man noch jung ist und die Motivation vom Kopf her da ist. Es fühlt sich an, als sei man eine Gefangene im eigenen Körper. Ich konnte mich ganz oft nicht auf ihn verlassen und wurde ganz automatisch ‚unzuverlässig’, was eigentlich gar nicht meiner Natur entspricht. Ich konnte Verabredungen oft nicht einhalten, musste spontan absagen und konnte körperlich einfach auch nicht mehr mithalten. Dinge wie sich nach der Arbeit treffen, was für andere ganz normal ist, ging nach der OP über Jahre nicht mehr. Nach der Arbeit hieß für mich erst mal, völlig erschöpft, zittrig und mit Herzrasen auf dem Bett zusammenzubrechen, auch wenn ich erst 29 war.“

„Freundschaften sind daran kaputtgegangen. Auch für eine Beziehung stellt die Endometriose eine enorme Herausforderung dar.“

Hat das deine Freundschaften verändert, oder konnten das die Menschen in deinem Umfeld tragen?

Freundschaften sind daran kaputtgegangen. Auch für eine Beziehung stellt die Endometriose eine enorme Herausforderung dar. Es ist halt eine unsichtbare Erkrankung, denn von außen sieht man fit und gesund aus. Selbst für nahestehende Menschen bleibt die Krankheit abstrakt. Wenn es einem schlecht geht, wird es einem gerne mal als schlechte Laune ausgelegt. Mit Endometriose befindet man sich im ständigen Rechtfertigungsmodus. Auf der Plus-Seite muss ich sagen, dass ich Alltägliches wesentlich intensiver lebe als vor der Erkrankung, denn ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist. Und die Freundschaften, die ich mittlerweile zu anderen Betroffenen pflege, haben eine ganz andere Qualität. Sie sind inniger und intensiver, auch wenn man sich vielleicht noch gar nicht so lange kennt. Ich kann sagen, dass Endometriose-Frauen mein Leben bereichern!“

Wie sieht es mit der grundsätzlichen gesellschaftlichen Akzeptanz zum Thema aus? Etwa damals im Studium, hat man deine Schmerzen ernstgenommen?

„So richtig ausgebrochen ist die Erkrankung erst nach dem Studium. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit extremen Menstruationsschmerzen zu kämpfen gehabt, die nie ernst genommen wurden – weder vom Arzt noch von meinen Freunden, da es für sie selbst nie Thema war. Also hatte ich sehr früh aufgehört, darüber zu reden und hatte alles mit mir selbst ausgemacht. Nachdem die Krankheit dann mit 29 richtig ausgebrochen war, wollte niemand so recht wahrhaben, dass ich chronisch krank bin, mich selbst eingeschlossen. Und als dann klar wurde, dass es eine chronische Erkrankung ist, die mich weiterhin einschränken wird, habe ich oft zu hören bekommen, ich solle mich nicht hinter der Krankheit verstecken, ich solle doch mal nicht daran denken usw. Menschen werden generell nicht gerne mit Krankheit konfrontiert. Wenn man jung ist und gerade ins Leben starten möchte, noch weniger. Dann möchte man lieber von anderen positiven Lebensplänen hören, von startenden Karrieren, Hochzeiten, Schwangerschaften … Das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe.“

Sind Krankheiten also häufig noch immer ein Tabu-Thema?

„Mein Umfeld, besonders Freunde, wollten es lieber ausblenden. Ich kam mir teilweise vor, wie eine Aussätzige. Ich glaube, das fehlende Wissen um die Erkrankung hat auch zu einer gewissen Unsicherheit mir gegenüber geführt. Als ich ein weiteres Mal ins Krankenhaus musste, fragte mich eine Freundin: ‚Was hast du nur immer?’ Mangelnde Akzeptanz gegenüber gynäkologischen Erkrankungen herrschen generell in dieser Gesellschaft. Über ‚Frauenkram’ möchte man nichts hören. Über Menstruation spricht man nicht, obwohl es das Natürlichste der Welt ist. Die Menstruation spielt im Zusammenhang mit der Endometriose eigentlich auch nur insofern eine Rolle, als dass die Schmerzen oftmals einfach nur parallel zu dieser Zeit auftreten, da manche Endometrioseherde in hormoneller Abhängigkeit aktiv sind. Endometrioseschmerz ist kein Menstruationsschmerz. Muss man auch mal deutlich sagen.“

Du schreibst, du bist heute schmerz- aber nicht symptomfrei. Was bedeutet das?

„Es ist nicht nur ein lokales Geschehen, bei dem es zu Schmerzen kommt. Der ganze Körper, ist in Mitleidenschaft gezogen, das Immunsystem ist in Schieflage. Auch wenn ich keine Schmerzen mehr habe, so spüre ich doch, dass ich nicht hundertprozentig gesund bin. Ich habe viele Allergien und Unverträglichkeiten sowie eine hormonabhängige Migräne. Mein Körper ist generell nicht sehr belastbar. Ich leide immer noch an extremer Erschöpfung, an plötzlichen Schwächeanfällen, bei denen man sich extrem unterzuckert fühlt. Zudem spürt man gewisse Veränderungen nach drei Darm-OPs. Ich muss auf meine Ernährung achten. Wenn ich nicht genügend trinke, spüre ich die Briden, also Engstellen in meinem Bauch, die in Folge der OPs entstanden sind. Das kann auch höllisch wehtun. Die Endometriosezyste am Eierstock macht sich manchmal bemerkbar und drückt in den Lendenbereich. Sie muss weiter beobachtet werden wegen des Entartungsrisikos. Das sind alles Dinge, die einen weiter begleiten.“

Viele körperliche Leiden gehen auch mit einem psychischen einher. Ist das bei dir auch so?

„Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass viele Betroffene Depressionen und Angsterkrankungen entwickeln. Die Zusammenhänge sind dabei noch unklar. Man kann sich vorstellen, dass Schmerzen, körperliches Unvermögen und auch das Nichtverstandenwerden auf die Psyche schlagen. Durch Entzündungen im Körper kann es zu Depressionen kommen, wie man heute weiß. Das alleine reicht ja schon. Und dann können die Hormone, die man zur Symptombekämpfung einsetzt, Depressionen verursachen. Das war bei mir der Fall. Ich hatte fast sechs Jahre lang ein Gestagenpräparat genommen, unter dem ich nicht mehr ich war. Ich stand total neben mir, hatte nur noch eine Stimmung, und die war schlecht. Unter den Hormonen konnte ich meine Ressourcen nicht freilegen, negative Gedanken zu bekämpfen. Ich habe es bei den Ärzten angesprochen, niemand hat mich ernst genommen. Da kamen nur Sprüche wie: ‚Dann müssen sie halt so sehen, wie sie positiv auf diese Welt kucken.’“

„Viele Frauen denken, es läge an ihnen, sie würden sich nur nicht genug anstrengen oder müssten halt nur positiv denken.“

Wie ging das weiter?

„Ich habe die Hormone schließlich auf eigene Faust abgesetzt und die Depressionen lichteten sich langsam wieder. Danach sagte mir ein Arzt, dass ihn das nicht wunderte, denn Östrogen sei ein Stimmungsaufheller. Und alle Hormontherapien zielen darauf ab, das Östrogen zu unterdrücken. Man tauscht somit oftmals Pest gegen Cholera. Viele Frauen denken, es läge an ihnen, sie würden sich nur nicht genug anstrengen oder müssten halt nur positiv denken. So einfach ist das nicht. Ich habe Betroffene gesprochen, die mir sagten, sie hätten unter den Hormonen Selbstmordgedanken entwickelt. Darüber wird kaum gesprochen. Es gibt natürlich auch Frauen, die vertragen die Hormone gut. Aber sollten sich unter der Therapie düstere Gedanken einschleichen, sollten die Ärzte das ernst nehmen.“

Du erwähnst in deinem Buch, dass Endometriose häufig mit der Ablehnung von Weiblichkeit verknüpft wird. Wie ist das gemeint?

„Es gibt kleinere Abhandlungen zu dem Bereich Endometriose und Psyche, keine groß angelegten Studien. Daher muss man mit diesen Aussagen vorsichtig umgehen. Man versucht immer mal wieder, eine Art ‚Endometriose-Persönlichkeit’ auszumachen. Eine Untersuchung will dabei herausgefunden haben, dass Betroffene aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Weiblichkeit ablehnten und die Schmerzen daher rührten. Ich habe es im Buch aufgeführt, um die verschiedenen Theorien vorzustellen, denke aber persönlich, dass diese Dinge gerade bezüglich der Psyche nur schwer belegbar sind.

Ich finde es in dieser Gesellschaft generell recht schwierig, zu seiner Weiblichkeit zu stehen, da sie als Schwäche ausgelegt wird. Das würde ich nicht zu sehr im Zusammenhang mit der Endometriose sehen. Das könnte einfach nur eine zufällige Korrelation sein. Ich denke eher umgekehrt, dass die schmerzhafte Erfahrung der Menstruation zur Ablehnung des Zyklus und der weiblichen Körperlichkeit führt. Ich hatte früher einen regelrechten Ekel vor mir selbst entwickelt, da die Blutungen mit den Schmerzen und einer heftigen Übelkeit einhergingen. Klingt vielleicht jetzt komisch, aber ich denke, das ist so ein ähnlicher Effekt wie bei dem letzten Essen, das man vor dem Ausbruch einer Magen-Darm-Grippe zu sich genommen hat. Der Grundekel vor diesem Lebensmittel prägt sich durch die Übelkeit tief ein. Tja, und wenn einem immer übel ist bei der Periode …“

Du bist keine Ärztin und kannst keine allgemeinen Aussagen treffen, aber was hat dir denn geholfen, damit sich eine Besserung einstellt?

„So komplex und individuell diese Krankheit ist, so komplex und individuell ist auch der Weg, mit ihr umzugehen. Was der einen Frau hilft, muss einer anderen nicht unbedingt helfen. Bei mir kamen ganz viele Dinge zusammen: In der schlimmsten Phase der Krankheit, als ich über ein Jahr lang täglich die heftigsten Schmerzen hatte, half mir die Ernährungsumstellung tatsächlich ganz gut. Vor allem der Verzicht auf Weizen und Zucker. Gleichzeitig begannen auch die Wechseljahre. Mit der natürlichen Hormonumstellung trat langsam Ruhe ein. Zur selben Zeit habe ich eine Psychotherapie gemacht und ein Trauma aufgedeckt. In der Folge habe ich in meinem Leben ‚aufgeräumt’, habe Beziehungen beendet, die mir nicht gut getan haben, was ich vor Aufdeckung des Traumas aber nie bewusst wahrgenommen hatte. In den Interviews zum Buch mit Frauen, die mittlerweile gut mit Endometriose leben können, kam auch immer wieder heraus: Es sind die radikalen Veränderungen, die am Ende Selbstheilung bewirken. Das geht weit über Ernährungsumstellung und Sport hinaus. Der Selbstheilungsweg erfordert viel Ehrlichkeit zu sich selbst und vor allem Mut.“

„Das Umfeld sollte aufhören, von uns zu verlangen, uns zu verleugnen.  Krankheit gehört nun mal zum Leben dazu wie Geburtstagsfeiern und Black
Fridays.“

Wann würdest du einer Frau raten, sich auf Endometriose testen zu lassen?

„Das ist eine schwierige Frage. Es gibt verschiedene Szenarien, in denen ich es vorschlagen würde. Das fängt natürlich bei heftigen Menstruationsschmerzen an, auch regelmäßigen Schmerzen vor oder nach der Periode, wegen denen man immer wieder Schmerztabletten nehmen muss. Bei allen Schmerzen, Entzündungen und Blutungen, egal wo im Körper, die zyklisch auftreten. Es gibt Frauen, die husten Blut während der Periode, weil sie Endometriose in der Lunge haben. Bei zyklischer Reizblase beziehungsweise zyklischem Reizdarm. Bei ungelösten Problemen wie wiederholte und ungelöste Einlieferungen wegen Verdacht auf Blinddarm. Bei Blut in Urin oder aus dem Darm, wenn alles andere schon ausgeschlossen wurde. Bei Unfruchtbarkeit, wenn man alles andere schon ausgeschlossen hat. Wichtig ist, dass man dann in ein Endometriose-Zentrum geht. Sonst läuft man schnell Gefahr, nicht ernst genommen zu werden.“

Welche drei Dinge sollte man sich zu Herzen nehmen, um Betroffenen nicht zu nahe zu treten oder sich selbst das Leben leichter zu machen, wenn man betroffen ist?

„Etwas, was Nicht-Betroffene nicht verstehen: Dass man viel über die Erkrankung redet. Sie ist nun mal täglich da. Man könnte meinen, dass man sich dann an sie gewöhnen müsse, nach dem Motto: Akzeptiere endlich, dass du Endometriose hast. Die Sache dabei ist allerdings, dass sich die Symptomatik ständig verändert. Hat man sich gerade an Schmerzen im rechten Unterbauch gewöhnt, ist es auf einmal der Ischias, der Probleme bereitet, oder man hat plötzlich Blasenprobleme. Eine Gewöhnung in dem Sinne kann gar nicht stattfinden. Von außen sieht es so aus, als rede man immer wieder über dieselbe ‚alte’ Krankheit. Aus Sicht der Betroffenen kann ich sagen, dass wir jedes Mal über etwas Neues reden. Das Umfeld sollte aufhören, von uns zu verlangen, uns zu verleugnen. Krankheit gehört nun mal zum Leben dazu wie Geburtstagsfeiern und Black Fridays. Man muss darüber reden können.
Ansonsten würde ich Nicht-Betroffenen ans Herz legen, dass wir keine Simulantinnen sind und uns die Symptomatiken nicht einbilden.

Es ist nur in seltenen Fällen rein psychisch oder stressbedingt, wenn wir Herzstolpern, Kurzatmigkeit oder Schwindelgefühl haben. In unseren Körpern geht gerade die Post ab! Da wird mit Entzündungsstoffen herumgeschleudert, das Immunsystem arbeitet auf Hochtouren! Das sollte man wissen. Und Betroffenen rate ich, dringend zu lernen, sich abzugrenzen. Ich weiß, es ist nicht einfach und ein langer Prozess dahin. Aber am Ende lebt es sich mit Endometriose besser, wenn es einem egal ist, was andere von einem denken. Dann geht es einem halt gerade schlecht. Dann kann man halt nicht zur Party gehen. Dann hat man den Termin halt abgesagt. Weg mit den Schuldgefühlen! Auch wenn es keine bösartige Krankheit ist, so ist Endometriose doch eine schwere Erkrankung. Dafür sollte man sich niemals rechtfertigen müssen!“

Martina Liel: „Nicht ohne meine Wärmflasche: Leben mit Endometriose Diagnostik – Therapie – Ganzheitlicher Ansatz“, Komplett Media, März 2017, 18 Euro.

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  1. Mit Endo befindet man sich im permanenten Ausnahmezustand.
    Ich verfolge die Krankengeschichte von Frau Liel seit einiger Zeit und bin davon sehr betroffen.
    Auch bei mir wurde mit 28 Endo diagnostiziert.
    Auch als Notfall.
    Ich habe ausser mit meinen Aerzten mit keinem darueber gesprochen, weil ich glaube, dass es Zeitverschwendung ist, wenn jemand nicht davon betroffen ist. Meine Familie war bzw. ist zwar informiert,
    kann aber nur bedingt etwas damit anfangen, da der med. Hintergrund fehlt.
    Da muss man sich schon intensiv einlesen. Selbst durch Protonenstrahlung konnte bei Rhesusaffen Endometriose ausgeloest werden. Im U.S. Wikipedia sind bestimmte betroffene Gene aufgelistet. Deshalb bin ich auch nicht von einer reinen Oestrogenabhaengigkeit dieser Krankheit ueberzeugt.
    Ich erwarte nur von allen, wie gesagt, allen medizinischen Fachgebieten die vollen Kenntnisse ueber diese Krankheit, nicht nur von der Gynaekologie, da Endometriose offensichtlich eine systemische Erkrankung ist, fuer die m. E. bestimmte
    defekte Gene, ob vererbt oder erworben, grundursaechlich sind. Eine psychische Komponente schliesse ich aus.
    Eine gesunde Psyche ist natuerlich bei jeder Erkrankung enorm stabilisierend. Aber die Seele verursacht keine Endometriose.

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