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Der strengste Boss der Welt: Mein Baby

Von Muttermilch in Meetingräumen, einem Effizienz-Relaunch und dem Ende der Selbstständigkeit.

Mein neuer Chef

Ich habe jetzt also wieder einen Chef. Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich mir geschworen, dass das nie mehr der Fall sein wird. Tja. Mein neuer Big Boss ist 14 Wochen alt und mein Sohn. Diese paar Wochen haben alles verändert. Wie die Selbstständigkeit einst so war? Ich erinnere mich nur mehr dumpf. Vermutlich war alles super organisiert, vorhersehbar, entspannt und effizient. Ich war sicherlich auch meistens ausgeschlafen, voller Tatendrang und fleckenfrei angezogen. Ich glaube, die Selbstständigkeit war ziemlich fad. Gut, dass ich jetzt Mama bin.

Lasset den Wahnsinn beginnen!

Drei Wochen nach der Geburt saß ich bei meinem ersten Kundentermin. Drei Wochen. Ich habe gerade nachgesehen und kann es gar nicht glauben. Denn zu der Zeit löste selbst eine Unternehmung wie Spazierengehen mit Baby noch dezente Überforderung aus. Aber so war es: Drei Wochen nach der Geburt saß ich mit Baby in einem Termin und diskutierte während Stillen, Schnullersuchen, Im-Arm-Schaukeln und Hitzewallungen neue Textprojekte. Zugegeben: Entspannt war ich nicht. Konzentriert auch nicht. Aber
irgendwie klappte es. Denn: Elias nahm’s gelassen. Er war sogar so entspannt, dass er hemmungslos rülpste. Mit Material. Direkt auf die neuen Polstersessel im Meetingraum.

Ein bisschen bin ich meinem Sohn dafür dankbar. Denn der Kommentar meines
Kunden brach das Eis für jeden weiteren Termin seither: „Ageh, ist doch
eh alles bio. Das wisch ma einfach gach weg.”

Lektion 1:

Nehmen dein Kind und deine Kunden die Termine mit Baby gelassen, kannst du
es auch. Busen raus und Windelhose runter sind für mich mittlerweile zu
den Kundeneinstellungskriterien Nummer 1 geworden. Denn ich möchte mit
niemandem mehr arbeiten, der meinem Baby Boss und mir ein ungutes Gefühl
gibt. Dafür hab ich weder die Zeit noch die Nerven.

Tschüss, Babyblues!

Im Nachhinein nenne ich es Babyblues, wogegen ich in den ersten sechs Wochen
gekämpft habe. Babyblues klingt nach viel Emotion, aber grundsätzlich harmlos. War es aber nicht. An den meisten Tagen (und vor allem Nächten) traf es der nüchterne Begriff Postpartale Depression sehr viel besser. Ich kam noch nie mit Veränderungen klar, die ich nicht selber veranlasst hatte. Darum war Elias und meine Teambuildingphase eine mittlere Katastrophe. Dass ich so schnell wieder (kleine) Aufträge annahm, glich
anfangs dem verzweifelten Versuch, am Gewohnten festzuhalten. Manchmal machte es die Überforderung noch schlimmer. Doch jetzt bin ich froh, dass das gewohnheitsliebende Arbeitstier in mir sich durchgesetzt hat. Denn die Arbeit (und die Unterstützung meines Mannes, meiner Familie und Freunde) retteten mir die ersten Wochen. Schlief der Kleine, plante, telefonierte und textete ich, was das Zeug hielt. Da war dann wieder diese geliebte Routine — und ich hatte das Gefühl, wenigstens einen
kleinen Teil meines sonst komplett umgekrempelten Lebens im Griff zu haben.

Lektion 2:

Als Mama zu arbeiten, mag manchmal ein Kampf sein, aber er ist es wert. Ohne diese kleinen Inseln des Gewohnten hätte ich sicher noch länger den Babyblues aus dem letzten Loch gepfiffen. Vor allem an Tagen, an denen ich mich wie die Milchkuh vom Dienst fühle, hilft mir der Gedanke, dass ich zumindest meine Weide zum Grasen noch selbst aussuche.

Lerne lieber früher nein sagen.

Im Job konnte ich noch nie gut Nein sagen. Neues Projekt? Ja, hier, bitte. Egal, wie voll der Terminkalender schon war. Vor dem Baby ging das gut. Das hatte dann niemand sonst auszubaden als ich allein. Doch das ist vorbei. Bin ich jetzt im Stress, verdoppelt sich der Stress schon nach kurzer Zeit. Denn Kinder scheinen dafür sehr sensible Sensoren zu haben. Auf eine gestresste Mama reagieren sie — gestresst. Und ein gestresstes Kind? Stresst die Mama. Ergebnis: Stress-Overkill. Kaum verwunderlich
also, dass mein Kleiner immer dann einen schlechten Tag hat, wenn ich
dringend etwas fertig bekommen muss.

Lektion 3:

Schaffe den Stress ab — am besten schon vor der Geburt. Projekte die bis morgen erledigt sein müssen, nehme ich nicht mehr an. Sagt ein Kunde dringend, sage ich nein. Und zwar ohne schlechtes Gewissen. Dass es meinem Kind gut geht, hat Priorität. Auch deshalb, weil es garantiert, dass ich meine Arbeit in Ruhe und damit zur Zufriedenheit des Kunden erledigen kann. So viel Zeit muss sein.

Hallo, neue Effizienz!

200 Prozent gibt es bei mir nicht mehr. Spätestens in den letzten 14 Wochen habe
ich gelernt, mir selbst zu genügen. Ich bin keine Heldin der Arbeit, keine Supermom und keine Frau mit unendlich Power. Aktuell bin ich meist müde, emotional, mit den Gedanken ganz wo anders und immer noch damit beschäftigt, mich in meiner neuen Rolle zu finden. Aber ich bin auch motiviert und gebe mein Bestes, wann immer ich kann.

Das muss reichen.

Seit ich so denke, läuft alles entspannter. Es nervt mich nicht mehr, die Arbeit auf die Schlafetappen meines Sohnes aufzuteilen. Es nervt mich nicht mehr, manche E-Mails und Anrufe erst Tage später beantworten zu können. Es nervt mich nicht mehr, Termine kurzfristig absagen zu müssen, weil etwas Unvorhergesehenes (komplett angespiebenes, wie am Spieß schreiendes Kind oder ähnliches) dazwischen gekommen ist. Und es nervt mich nicht mehr, wenn Kunden (jene ohne Kinder) eingeschnappt reagieren. Ich nehme das alles mittlerweile recht locker. Warum? Weil ich gerne
Mama bin. Das ist im Moment mein Vollzeitjob. Gibt mein kleiner Chef mir
mal für eine Weile frei, juble ich und liefere Textarbeit in der bestmöglichen Qualität ab. Und braucht er mich, dann juble ich ebenfalls und genieße es, für mein Kind da sein zu dürfen.

Lektion 4:

Was andere effizient nennen, muss noch lange nicht meine Vorstellung von Effizienz sein. Ein perfekter Arbeitstag ist es für mich dann, wenn ich meinen Sohn zum Glucksen bringe, wenn ich die nächste spannende Premiere in sein Babytagebuch schreiben kann — und dazwischen vielleicht, vielleicht noch eine kleine Headline oder Yogastunde Form annimmt.

Ja, ich bin gerne Mama, und nein, das alleine reicht mir nicht.

Ich sehe meiner Oma an, dass sie nicht viel davon hält, dass ich arbeite. Manchmal arbeite ich sogar dann, wenn der Kleine zwar wach ist, aber ohnehin mit sich und seinen Spielsachen beschäftigt. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass mein Kind genau so Zeit für sich braucht, um sich gut zu entwickeln, wie auch ich meine Zeit brauche, um ausgeglichen zu sein. Darum rolle ich meine Yogamatte im Affenzahn zwischen Bett und Kasten aus, wann immer der Kleine gerade begeistert seine Faust in den Mund steckt oder gebannt sein Mobile anstarrt. Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche — und es ist mir egal, was andere (Elias natürlich ausgenommen) davon halten. Zugeben: Manchmal lässt es mich mehr, manchmal weniger kalt. Jede von uns Working Moms will doch nur eines: eine gute Mama sein — und das auch ab und an aus dem Mund einer anderen (nicht arbeitenden) Mama hören. Aber so wie jede Schwangerschaft, jede Geburt, jede Kindesentwicklung anders verläuft, so ist und bleibt auch jede Frau ein Individuum — selbst wenn sie Mama ist. Und als solches
Mama-Individuum ist es mein gutes Recht, den Weg zu gehen, den meine Intuition und meine Herzenswünsche mir weisen.

Lektion 5:

Es ist nicht schlimm, nicht bloß Milchkuh sein zu wollen. Ich werfe seither bei Kundenterminen gerne mal das Diktiergerät an. Denn dann kann ich beides: arbeiten und mein Kind in die Arme nehmen. Ich habe das Glück mit einem zufriedenen, menschenfreundlichen, neugierigen Kind gesegnet zu sein. Bei Kundenterminen redet er meist mehr als alle anderen — sofern er nicht tiefenentspannt im Maxicosi oder Kinderwagen schläft. Ich habe nicht das Gefühl, dass es ihm schlecht geht, wenn ich
arbeite. Und ich muss es doch am besten wissen. Immerhin bin ich seine Mama und wir ein eingespieltes Team.

Und vielleicht kann ich ihm ja sogar so mit auf den Weg geben, dass Arbeiten kein Muss ist, sondern eine Leidenschaft. Das würde mich in meinem Arbeiten als selbstständige Mama bestätigen.

Erstes Fazit der Selbstständigkeit 2.0

Ich habe gerne wieder einen Chef. Einen besseren kann man sich nämlich nicht wünschen. Seine Mitarbeiterführung basiert zwar derzeit noch auf der alten Innviertler Weisheit „Nichts gesagt ist gelobt genug“. Doch sagen muss er auch nichts. Es reicht, wenn er mich ansieht. Dann weiß ich, dass ich den schönsten unselbstständigen Job der Welt habe. Und dass ich ihn nicht so schlecht mache. Ich kann mit Stolz sagen: Mein
Sohn ist der größte Projekterfolg meiner Karriere namens Leben. Da reicht es, wenn vorerst alle anderen Jobs nur so nebenher laufen.

Ich muss jetzt erstmal die (Arbeits-)Welt mit Kinderaugen entdecken.

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