Foto: Moyan Brenn – Flickr – CC BY 2.0

Wie verschwundene Socken zur Beziehungsprobe werden

Wer ist in der Beziehung eigentlich Schuld daran, dass immer Socken verschwinden? Unsere Kolumnistin Nathalie Weidenfeld auf Spurensuche.

 

Das schwarze Loch für Strümpfe

Jede Gesellschaft hat ihre Sündenböcke. In einer Lebensgemeinschaft ist das nicht anders. Zumindest in meiner. Vor allem, was das Verschwinden von Gegenständen betrifft. Fehlt irgendwo ein Gegenstand wird automatisch davon ausgegangen, dass ich es bin, die für das Verschwinden verantwortlich ist. Dabei gibt es – wie man weiß – im Haushalt immer wieder Gegenstände, die einfach verschwinden. Und zwar ohne, dass es dafür eine Erklärungen gäbe. Strümpfe zum Beispiel.

Neben dem Phänomen des plötzlich vergrößerten Hirnvolumens in der Evolution des Menschheit oder der Frage nach der Expansion des Weltraums, gehört das Phänomen des Verschwinden von Strümpfen sicherlich zu den größten Mysterien der Menschheit. Aber für meinen Mann gibt es keine Mysterien. Er ist ein hartgesottener Realist, der an ein klares Kausalitätsprinzip glaubt.

„Wo ist der zweite Strumpf?“, fragte Henry heute morgen. Er tut es leise. Fast höflich. Doch ich  – die ausgebildete Literaturwissenschaftlerin – weiß ganz genau, wie diese Frage eigentlich gemeint ist. Im Grunde ist sie nämlich gar keine Frage. Sondern eine Feststellung. Eine Feststellung, die da lautet: „Du hast meinen Strumpf irgendwohin geräumt und ich will ihn wiederhaben.“

Subtexte von Fragen

Auch wenn es unter meiner Würde ist, so zu tun, also würde ich Subtexte nicht verstehen, sage ich „Ach so?“ und gehe in die Küche.

Daraufhin geht Henry zu Phase zwei über. Er folgt mir in die Küche und wiederholt seine anklagende Feststellung: „Der eine Strumpf ist weg!“ Um ein weiteres Spiel mit Subtexten zu vermeiden, sage ich: „Tut mir leid, ich weiß nicht, wo er ist“.

Wobei das mit dem Leid-tun gelogen ist. Es ist mir egal, ob ein Strumpf fehlt. Ja noch mehr, ich wünschte es gäbe überhaupt keine Strümpfe auf der Welt. Ich hasse, ich verabscheue Strümpfe. Sind sie doch nur deshalb erfunden worden, um Menschen zu quälen und in den Wahnsinn zu treiben.

„Du musst doch wissen, wo sie sind!“ sagt er jetzt in einem gereizten Tonfall. Wir befinden uns in Phase drei. Auch Konfrontation genannt. Ich stelle mich ihm gegenüber und sehe ihm direkt ins Gesicht.

„Und warum soll ausgerechnet  ich es wissen?“ frage ich. „Na, weil du es bist, die hier alles aufräumt“ antwortet er vorwurfsvoll.

Wer räumt hier auf?

„Natürlich räume ich hier auf!“ sage ich. „Oder soll ich die Jogurtbecher unsere Kinder unter dem Bett vielleicht vergammeln lassen?“

„Warum nicht?“ antwortet mein Mann. „Vielleicht lernen sie dann, ihre Sachen selbst wegzuräumen. Was ich im Übrigen auch gerne tun würde. Mir musst du nichts hinterhe rräumen. Ich habe meine eigene Ordnung“  sagt Henry.

„Ach,“ sage ich. „Interessant. Und was ist dann mit deinen Kleidern, die du jeden Abend zerknüllt auf dem Boden liegen lässt? Zeugen die etwa auch von einer Ordnung?“

Henry zuckt mit den Schultern. „Was für den anderen unordentlich aussieht, heißt noch lange nicht dass es wirklich unordentlich ist. Jeder Mensch hat eben seine ganze eigene Ordnung“.

Ich schüttle fassungslos den Kopf. Großartig“ denke ich. Jetzt ist Henry also jetzt nicht nur Realist, sondern auch noch aus Relativist.

Wenn der Streit philosophisch wird

„Du meinst der vergammelte Jogurtbecher unter dem Bett kann theoretisch auch ein Rosenbusch sein?“

„Werd doch nicht immer gleich so extrem!“ “ sagt Henry, woraufhin ich ihn verzweifelt ansehe und sage, dass das doch so kein Leben sei, ich meine, ein Leben, in dem der eine einen Rosenbusch sieht und ein anderer einen vergammelten Jogurtbecher und dass es im Leben doch etwas Absolutes geben muss. So wie das Schöne und Gute bei Platon. Und dass ein vergammelter Jogurtbecher unterm Bett definitiv weder schön noch gut sei, woraufhin Henry meint, dass wenn ich schon unbedingt philosophisch werden wolle, er mir dringend von absoluten Wahrheitsansprüchen abrate, er würde es da lieber mit den Pragmatisten halten, die sich stets darüber bewusst seien, dass jede These möglicherweise in der Zukunft durch eine Gegenthese aufgehoben werden kann.

„Es gibt keine Gegenthese!“ schreie ich jetzt. Der vergammelte Jogurtbecher unter dem Bett deiner Kinder ist vergammelt und ich werde nicht dulden, dass das Haus in eine relativistische Dreckshöhle verwandelt wird!“

In diesem Moment hebt Henry plötzlich einen Strumpf in die Höhe.

„Ah“, sagt er. „Da ist er ja. War bei meinen T-Shirts“ . Womit er natürlich meint „DU hast ihn zwischen meine T-Shirts gelegt,“ aber darauf kommt es jetzt nicht an. Worauf es ankommt, ist dass in diesem Haus Platons Idee des Schönen und Guten verteidigt wird.

„Das ist wunderbar!“, sage ich mit Tränen in den Augen, „Ganz wunderbar.“

Mein Mann sieht mich kurz an, zuckt dann mit den Schultern und zieht seinen Strumpf an. Ach, wie oberflächlich mein Mann im Gegensatz zu mir doch ist.


Titelbild: Moyan Brenn – Flickr – CC BY 2.0

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