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Wer bin ich online? Wer bin ich offline? Ein Spagat zwischen I-Dentität(en)

Keiner sagt uns, wir müssten uns bei Facebook und Co. anmelden. Alles freiwillig – möchte man meinen. Doch ausgeschlossen werden, wenn Geburtstage geplant werden oder die neuesten Beziehungsgeflechte unserer Freunde verpassen?

 

„Das Netz ist ein guter Ort“

Kürzlich las ich „Das Netz ist ein guter Ort“ von Johannes Korten. Er schreibt in dem Artikel über die drei, seiner Meinung nach wesentlichen Erfolgsfaktoren von #EinBuchfürKai, eine Aktion für seinen schwer erkrankten Freund und Autor Kai-Eric Fitzner. Weil die Ehefrau von Kai Fitzner gerade mitten im Zweitstudium steckt und mit dem krankheitsbedingten Ausfall kein Einkommen gesichert ist, rief Johannes Korten im Netz dazu auf, sein Buch zu kaufen. Für sein Engagement wurde er mit dem Virenschleuderpreis ausgezeichnet.

Soziale Netzwerke bzw. Menschen in den sozialen Netzwerken machen dem „sozial“ bisweilen alle Ehre und bewegen etwas. 

„Es braucht Identität, individuell wie kollektiv, es braucht Ideen und es braucht Initiative, damit das Gute initiativ wird.“

Johannes Korten nennt es, das 3i Prinzip“. Vor allem über das erste darin enthaltene „I“ musste ich nachdenken: Identität. 

Wer bin ich in der Online-Welt?

Warum fällt es so schwer, die eigene Identität zu digitalisieren? Wenn ich über das Internet allgemein und soziale Netzwerke im
Speziellen nachdenke, kommen mir viele Fragen in den Sinn, die vor allem
meine eigene Mediennutzung betreffen. 

Welche digitalen Spuren hinterlasse ich im Internet und wem ermögliche ich dadurch welche Rückschlüsse auf mein Leben? Was wäre, wenn mein Arbeitgeber, Geschäftspartner, Freunde oder meine Familie meinen Account bei Facebook, Twitter, Snapchat oder mein Blog entdecken? Welchen Eindruck haben andere von mir? Mache ich mich irgendwie „angreifbar“, könnten soziale Netzwerke
Einfluss auf mein analoges Leben haben und wenn ja, wie – weshalb –
warum?

Dass soziale Netzwerke beunruhigende Risiken und Nebenwirkungen haben können, ist hinlänglich bekannt. Wie #EinBuchfuerKai eindrucksvoll beweist, können sie aber eben auch positiven Einfluss auf das analoge Leben haben. 

Analog, digital – dazwischen liegt die Wahrheit

Irgendwo dazwischen liegt wohl die „Wahrheit“.
Die analoge und digitale Welt unterscheiden sich im Prinzip gar nicht so sehr. Online ist alles nur irgendwie „sichtbarer“ und gleichzeitig weniger fassbar. Und ob es uns gefällt oder nicht, die Übergänge von analoger und digitaler Welt sind fließend. 

Der Artikel animierte mich dazu, über meine eigene Online-Identität nachzudenken. Auf Twitter schrieb ich dazu: 

Für mich ist es bisweilen eine Herausforderung, meine Online- und Offline-Identität unter einen Hut zu bekommen. Soziale Netzwerke sind fakultativ, es besteht keine Teilnahmepflicht und doch finde ich es sinnvoll – aber
eben auch kompliziert. 

Anfangs nahm ich an, nur ich habe Schwierigkeiten, mich selbst zu digitalisieren. „Ich mache mir vermutlich einfach nur zu viele Gedanken“, dachte ich bis ich anhand der Reaktion auf den Tweet bemerkt habe, dass sich auch andere darüber offensichtlich Gedanken machen.

Johannes Korten beschäftigt sich berufsbedingt mit sozialen Netzwerken, aber vermutlich denken auch sonst viele Menschen über ihre Identität in Zeiten der Digitalisierung nach. Oder? 

Die Perspektive verändern

„Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ oder anders gefragt:
„Wie digitalisiere ich mich selbst?“

Im analogen Leben passen wir uns in Anwesenheit von Familie, Freunden, Kollegen, Arbeitgeber oder Geschäftspartnern immer der jeweiligen Situation, Umgebung an.

Tochter oder Sohn sind wir vor allem in Anwesenheit unserer Eltern,
Freund oder Freundin unter Freunden, Frau und Mama im Kindergarten oder
der Schule – Zuhause und sonst natürlich sowieso – und Frau Meier-Müller-Schulze,
sobald wir einkaufen gehen, zum Arzt oder zur Arbeit. Die Übergänge
sind fließend und manchmal wechseln wir auch nur die Perspektive, je
nachdem wo und mit wem wir gerade zusammen sind, natürlich unter Berücksichtigung des aktuellen Gemütszustandes.

Das passiert völlig automatisch, ohne dass wir darüber nachdenken. Natürlich sind wir immer ein und dieselbe Person, aber unsere
Perspektive verändert sich, wir übernehmen eine andere Rolle und unsere
Prioritäten verschieben sich dadurch bisweilen ein bisschen.

Immer und überall auffindbar – im Internet

Dir geht das nicht so? Stell Dir folgende Situation vor:
Du sitzt im Restaurant mit Freunden. Wer bist Du bzw. wie verhältst
Du dich und über welche Themen unterhältst Du dich in dieser Situation?
Jetzt denk Dir andere Personen mit an diesen Tisch, beispielsweise deinen Arbeitgeber oder auch Kollegen. Was verändert sich, über welche Themen
wird gesprochen und wie verhältst Du dich?

Mit den Beteiligten am Tisch verändern sich gleichzeitig die Gespräche. 

Die Herausforderung ergibt sich meines Erachtens aus der fehlenden Möglichkeit, uns online einer bestimmten Situation bzw. Umgebung anzupassen. Wir können uns online nicht in derselben Art und Weise angemessen
verhalten, wie uns dies offline möglich ist. Das Internet vergisst
nichts. Das heißt: Wir sitzen mit allen möglichen uns bekannten und
wildfremden Menschen am selben Tisch. Zeitgleich, immer sichtbar oder
zumindest „suchbar“.

Dass wir im Internet unser wahres Ich zeigen, bewusst oder unbewusst, ist gut. Doch können sich dadurch aber auch Fallstricke ergeben: Familie, Freunde, Verwandte, Arbeitgeber, Geschäftspartner – alle könnten sehen, was wir teilen, kommentieren und wie, mit wem, worüber wir uns austauschen. 

Es ist kompliziert!

Vermutlich nutzen deswegen viele soziale Netzwerke nur unter einem Pseudonym. Ist man jedoch öffentlich, unter dem richtigen Namen, in sozialen Netzwerken aktiv, hat bessere Chancen etwas zu bewegen

Der Artikel über Elternpubertät zeigt, wie wir in unsere Rolle als Mama
hineinwachsen und uns dabei selbst verändern. Das hat mich an das Thema der „digitalen Identität“ erinnert: Diese kann man sich auch nicht einfach zulegen, sondern man wächst irgendwie hinein und muss dabei auch ein Stück weit zulassen, dass eigene Unzulänglichkeiten sichtbar(er) werden.

Auf der Suche nach der eigenen Identität sind soziale Netzwerke bisweilen auch hinderlich. Das Leben der anderen scheint oft schöner, bunter und aufregender zu sein, als das eigene. Schein und Sein
vermischt sich und manch einer spielt in sozialen Netzwerken auch mit
seinen unterschiedlichen Identitäten. Das muss gar nicht immer schlecht
sein, auf Twitter finde ich das beispielsweise durchaus
unterhaltsam. Humor ist, wenn man trotzdem lacht!

Die Kunst des Weglassens

Auf der Suche nach bzw. beim Hineinwachsen in meine eigene Online-Identität übe ich mich jedenfalls derweil in der Kunst des Weglassens. Bestimmte Informationen über mich lasse ich weg, wenn ich diese auch gegenüber der Anwesenden im Restaurant am Tisch weglassen würde.

Allen kann man es nicht recht machen – das gilt online wie
offline und ob bzw. wie weit man sich auch mal mit seiner Meinung aus
dem Fenster lehnt, muss jeder selbst entscheiden. Das Verhalten anderer
kann man nicht beeinflussen, man muss mit möglichen Risiken und Nebenwirkungen umgehen lernen. Es liegt nicht an uns, wie intelligent, denkbereit oder sozial unser Gegenüber in sozialen Netzwerken ist. Das Sprichwort besagt: 

„Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist.“

Was wir jedoch sehr wohl in der Hand haben ist unser eigenes Verhalten. Die Kunst des Weglassens gilt es auch mit Blick auf andere zu üben. Niemand zwingt uns beispielsweise, einen anderen Menschen an den Onlinepranger zu stellen.

Wer der Galgen-Träger ist, interessiert mich persönlich im Übrigen nicht. Ich frage mich eher, was
solche Onlinepranger bringen, warum wir mit dem Finger auf Menschen
zeigen sollten? Meine Antwort: Kann man auch weglassen!

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