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Alltag mit den lieben Kleinen: Die Kinder nennen dich nur noch „Arschbombe“? Alles ganz normal

Bastelhölle, Erledigungen, die mit Kind vier Stunden dauern statt kinderlos eine Stunde, Zornesanfälle im Baumarkt – das Leben mit Kindern ist eine Herausforderung. Patricia Cammarata hat darüber ein höchst amüsantes Buch geschrieben.

Patricia Cammarata ist laut Lohnsteuerkarte die Mutter von 2,5 Kindern. Sie ist 1975 geboren, lebt und arbeitet als IT-Projektleiterin in Berlin, was sehr gut zu ihrem Psychologie-Diplom passt. Seit 2004 führt sie ein Blog, wo sie über alles schreibt, was sie bewegt. Seit einigen Jahren ist ihre Familie ein großes Thema. Vor ihren Kindern hat sie sich oft gelangweilt. Das ist jetzt zum Glück vorbei. Vor kurzem ist ihr erstes Buch erschienen: „Sehr gerne, Mama, du Arschbombe“. Wir bringen einen Auszug aus dem Kapitel „Wenn man Kinder hat, fällt (fast) alle Peinlichkeit der Vergangenheit von einem ab“:

Mittagskind

Ist man Mutter oder Vater geworden, so wird die Zeit, die man für sich ganz alleine hat, sehr rar. Es trug sich dennoch zu, dass ich im Oktober drei freie Tage hatte. Nur für mich. Zumindest von morgens bis nachmittags, in der Zeit, in der das Kind im Kindergarten sein würde. Endlich Zeit, eine unendlich lange To-do-Liste abzuarbeiten. Als ich Kind 1 an meinem letzten Urlaubstag in den Kindergarten brachte, bat es kurz vor der Verabschiedung mit Tränen in den Augen: „Kann ich heute mal Mittagskind sein?“

Mittagskind klang verdächtig nach mittags abholen, und da ich noch einiges bei Post, Baumarkt und Co. zu erledigen hatte, verneinte ich zunächst.

Darauf folgten allerdings bittere Enttäuschung und eine kaum zu entkräftende Argumentationskette. Das arme Kind habe ja Verständnis, dass die Erwachsenen ganztägig berufstätig seien und es deswegen immer erst abgeholt würde, wenn es schon dunkel ist. Die anderen Kinder aber, nämlich jene, die von ihren Mamis und Papis lieb gehabt werden, die würden schon mittags abgeholt werden. Lediglich die Aschenbrödel der Kita blieben bis nach Sonnenuntergang. Ich hätte doch Urlaub, und da wäre es doch ein Leichtes, es ein einziges Mal nur zum Mittagskind zu machen. Natürlich willigte ich weichherzig ein.

Das Kind hüpfte in den Gruppenraum und verkündete die frohe Kunde, und
im Weggehen konnte ich hören, wie ein Kanon fremder Kinderstimmen erklang: „Kind 1 ist heute Mittagskind! Kind 1 ist heute Mittagskind!“

Jammern, bummeln, auf den Boden schmeißen

Mir blieben also drei Stunden, um die wichtigsten Dinge meiner Liste abzuarbeiten. Wir waren gerade neu umgezogen, und mit einem DSL-Anschluss hatte es bisher noch nicht geklappt. Deswegen musste ich zuallererst schnell zur Bank, um zu sehen, ob die freundlichen eBay Bieter schon überwiesen hatten, dann schnell ins Internetcafé, um zu schauen, ob ich weltbewegende Neuigkeiten verpasst hatte, und schließlich schnell zum Frisör, um mir den in die Augen hängenden Pony kürzen zu lassen.

Der Kontoauszugsautomat war natürlich kaputt und eine Alternativbank leider nicht in der Nähe. Bei easy internet wurde gerade geputzt, und deswegen waren nur zwei von fünfzig Rechnerplätzen verfügbar – beide natürlich belegt. Als ich unverrichteter Dinge beim Frisör ankam, hatten sich gerade sieben Damen vor mir in den Laden gequetscht. Ob ich mich wohl vordrängeln dürfte? Nein, sagten sieben hasserfüllte Augenpaare, die sich auf mich gerichtet hatten, unmissverständlich.

Pünktlich um 12 Uhr stand ich wieder vor der Kita und blies mir den langen Pony aus den Augen. Das strahlende Kind schwor mir unter Bezugnahme auf verschiedene Ehrencodices (Pfadfinder-, Indianer-, wirklichwirklich etc.), alle Erledigungen zu begleiten, nicht zu jammern, nicht zu bummeln und sich nicht auf den Boden zu schmeißen, weil es nicht mehr laufen könne.

Außerordentlicher Humor in allen Lebenslagen

Fünfzehn Minuten später weinte das Kind, es könne nicht so schnell laufen. Siebzehn Minuten später wollte das Kind stehen bleiben und eine sich drehende Litfaßsäule bewundern. Neunzehn Minuten später wollte das Kind ein Würstchen. Einundzwanzig Minuten später fragte es, wo denn der Baumarkt sei, und schrie mich an, als ich Richtung Süden auf ein Mediamarkt-Logo deutete. „Ich geheeee jetzt nicht weitaaa, das is kein Baaaaauuuummaaarkt! Da gips nur Compüüüüter!“

Im Baumarkt versteckte sich das Kind im Farbregal und spielte anschließend Krepppapierkegeln. Dann mussten wir dreißig Minuten lang hässliche Zimmerspringbrunnen anschauen. Andernfalls wäre das Kind keinen Schritt weitergegangen. Am Ausgang des Baumarktes schmiss sich das Kind auf die Straße, weil es drohte zu verdursten, wenn es nicht sofort Limonade bekäme. Ich ließ es schreien und ging ein paar Meter weiter. Als ich mich umdrehte, redeten von drei Seiten Erwachsene auf Kind 1 ein. „Hast du deine Eltern verloren?“

Das Kind antwortete nicht, sondern schrie (es schreulte eher). Als eine Passantin die Polizei holen wollte, schritt ich ein und versuchte dem Kind wieder gut zuzureden. Die Dame fragte das Kind: „Ist das deine Mami?“ Kind 1 brüllte: „Naaaaaaaiiiiiin.“ Es hatte ja Recht, ich bin schließlich nicht die Mami, sondern lediglich die Freundin seines Vaters. Dennoch verbrachte ich eine weitere Viertelstunde damit, der Frau zu erklären, dass das Kind tatsächlich zu mir gehörte und lediglich in allen Lebenslagen außerordentlichen Humor bewies.

Vier Stunden statt 1,5 Stunden

Wir fuhren nach Hause und hatten eine ausführliche Debatte über die Tatsache, dass es im Herbst früher dunkel würde und das Kind nun nicht bei Einbruch der Dunkelheit ins Bett müsse, sondern wie gewöhnlich um 20 Uhr. Kind 1 widersprach vehement: „Wenn es dunkel wird, müssen die Kinders schlafen gehen! Das hast du immer gesagt.“ Nein, erklärte ich, das sei ein Argument im Sommer. Jetzt sei es noch nicht mal 16 Uhr, selbst Kinder müssten da noch nicht schlafen gehen.

Zuhause lud ich die drei Tüten ab. „Du kannst entweder hier unten warten oder aber mit hoch in die fünfte Etage kommen, falls du noch so schlimmen Durst hast.“ Das Kind entschied sich fürs gemütliche Warten und brüllte erst, als ich wieder unten war, ich solle sofort nach oben gehen und ihm was zu trinken holen.

Wortlos oder heulend brachten wir den Rest der Erledigungen hinter uns. Dabei trat das Kind in die größte Hundekackwurst der Stadt, bekam Hunger und konnte fünf Mal nicht mehr weiterlaufen. Um 17.30 Uhr kamen wir wieder zu Hause an. Wir hatten insgesamt vier Stunden für etwas gebraucht, was ohne Kind höchstens 1,5 Stunden in Anspruch genommen hätte.

Was hätte ich da sagen sollen?

Schweigend begann ich, die Küchenwand zu streichen. Dafür war ich schließlich in den Baumarkt gegangen und hatte mir das Zubehör besorgt. Das Kind ging in sein Zimmer und kam eine halbe Stunde später wieder heraus, um zu fragen, wo sich die Wischlappen befänden.

Ich begleitete es, um zu sehen, was ein Vierjähriger wohl säubern wollte. Es war die mit Wachsmalkreide beschmierte Wand. Was hätte ich da sagen sollen? Ich male die Wand an, und es ist richtig. Es malt die Wand an, und es ist böse. So etwas kann man nicht erklären. Also bat ich das Kind leicht violett im Gesicht, den Rest der Wohnung zu verschonen.

Ich machte mich im Anschluss daran, meinen Kleiderschrank einzuräumen, während das Kind abwechselnd aß und dann mit essensbeschmierten Händen die Möbel betatschte. Ich bat es, fertig zu essen und dann Händewaschen zu gehen. Wenige Minuten später erschien das Kind im Türrahmen. Es hatte sich die halbe Seifenflasche auf die Hände gekippt, machte Schaumblasen, indem es die Hände aneinanderrieb, und schmierte sie dann an der Wand ab.

Dieses Verhalten brachte mich in einen emotionalen Ausnahmezustand. Ich hob Kind 1 hoch, schleppte es zum Waschbecken und wusch ihm die Seife von den Fingern. Das Kind schrie dabei derart, dass ich fest damit rechnete, dass einer der Nachbarn Polizei und Kinderschutz alarmieren würde. Dann stellte ich Kind 1 in sein Zimmer, von dem aus es lauthals verkündete, ich sei ein böser, böser, böser Mensch.

Ein ernstes Wörtchen

Als mein Mann von der Arbeit nach Hause kam und fragte, wie mein Tag gewesen sei, brach ich in Tränen aus. Kind 1 erschien hinter mir und berichtete: „Patricia war nicht so lieb, sie war sehr anstrengend heute. Du musst mal mit ihr ein ernstes Wörtchen reden, Papa.“

aus: „Sehr gerne, Mama, du Arschbombe. Tiefenentspannt durch die Kinderjahre, Bastei Lübbe, August 2015, 240 Seiten, 8,99 Euro

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