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Warum Frauen in technischen Berufen immer noch in der Unterzahl sind

Noch immer haben viele Frauen großen Respekt davor, einen technischen Beruf zu ergreifen. In ihrer Position als Head of HR bei dem Berliner Technologie-Unternehmen Productsup merkt Meike Jordan das jeden Tag. Was passieren muss, damit alte Stereotype jungen, ambitionierten Frauen endlich nicht mehr im Weg stehen, verrät sie hier.

 

Als Head of HR bei dem Technik-Dienstleister Productsup kennst Du Dich gut aus mit der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Fremdeln Frauen Deiner Erfahrung nach häufig noch mit Tech-Berufen?

Meike Jordan: Ja, leider. An den Bewerbungen, die wir erhalten, merken wir das jeden Tag. Im gesamten Unternehmen liegen wir zwar inzwischen bei einer Frauenquote von rund 40 Prozent, doch im Engineering stagniert die Rate im einstelligen Bereich. An einer langfristigen Steigerung dieser Zahl arbeiten wir mit Hochdruck, denn unser großer Wunsch ist es, eine ausgewogene Verteilung zwischen Männern und Frauen zu erreichen – das haben wir uns für die Zukunft fest vorgenommen. 

Hältst Du es für möglich, dass manche Arbeitgeber den „Men in Tech“ mehr zutrauen als den „Women in Tech“? Falls ja: Warum ist das so?

Meike Jordan: Unseren Erfahrungen zufolge wird Männern in diesem Bereich noch immer deutlich mehr zugetraut als ihren weiblichen Kollegen. Ich glaube hier spielen vor allem Stereotype noch eine große Rolle und den Männern wird nach wie vor nachgesagt, sie seien stärker in naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen. Ich halte das für totalen Quatsch. Ich denke, diese Stereotype können wir nur durchbrechen, wenn wir weiterhin Vorbilder schaffen und diese aktiv der Welt zeigen. Bei Productsup haben wir beispielsweise einige unserer Konferenzräume nach weiblichen Pionieren der Wissenschaft benannt. So ist einer unserer Räume nach der britischen Mathematikerin Ada Lovelace benannt. Als absolute Vorreiterin hat sie die erste Rechenmaschine mit etwas programmiert, das man als Algorithmus bezeichnen kann. Ein anderer unserer Konferenzräume heißt Grace Hopper: Sie hat den ersten Compiler entwickelt. Jeder der Räume trägt auch eine kleine Beschreibung davon, was die Pioniere jeweils geleistet haben. Auch auf der Frauentoilette haben wir Bilder von Frauen angebracht, die als Pioniere der Wissenschaft gelten – so zum Beispiel Sally Ride, die 1978 als erste amerikanische Frau im Weltall war. Leider ist dieses Wissen über die Zeit verloren gegangen, weshalb wir uns nun bemühen, den Nachwuchs erneut für eine Karriere in diesem Bereich zu begeistern. 

Ist das deiner Meinung nach der Grund, warum weiterhin kaum Frauen aus „Mint“-Fächern in Führungspositionen zu finden sind?

Meike Jordan: Definitiv, deshalb schätze ich jeden, der gegen das Vorurteil kämpft, dass Frauen nichts in technischen Berufen verloren hätten. Es ist unbedingt notwendig, weitere weibliche Vorbilder zu schaffen, an denen sich andere Frauen orientieren können. Female Networks bieten dabei eine tolle Möglichkeit, um sich mit anderen „Women in Tech“ zu vernetzen und von ihrem Erfahrungsschatz zu profitieren. 

Meinst du, der Bund und die Länder sollten sich ebenfalls mehr um die Förderung von „Women in Tech“ kümmern? Beispielsweise mit Stipendien oder dergleichen?

Meike Jordan: Ich denke, Schulen sollten durch einen angepassten Lehrplan ganz gezielt dabei helfen, Berührungsängsten vorzubeugen. Informatik sollte meiner Meinung nach ein fester Bestandteil sein, um Mädchen und Jungen in unserer digitalisierten Welt mit dem Thema vertraut zu machen. Wir bei Productsup laden zum Beispiel jedes Jahr zum Girls‘ Day Schülerinnen zu uns ein, um sie spielerisch ans Programmieren heranzuführen. Noch immer heißt es häufig, Jungs könnten komplexer und analytischer denken als Mädchen. Das ist totaler Quatsch. Uns ist es deshalb wichtig, ihnen beim Ausprobieren und Lernen ein gutes Gefühl zu geben und zu sagen: „Du kannst das!“

Achtet ihr bei der Teambildung ganz bewusst darauf, dass Männer und Frauen zusammenarbeiten? Meike Jordan: Wir achten nicht nur auf eine ausgewogene Verteilung der Geschlechter sondern vor allem darauf, dass auch unterschiedliche Nationalitäten und Persönlichkeiten aufeinander treffen. Uns ist es nicht wichtig, dass andere von außen auf unser Unternehmen schauen und sagen: „Wow, tolle Frauenquote!“ Wir sind viel eher davon überzeugt, dass Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen sich in ihrer Arbeit gegenseitig inspirieren und zu Innovationen antreiben können. Das Wissen und die Erfahrungen, die unsere Mitarbeiter bei Productsup miteinbringen, sind für uns ungemein wertvoll.

Wie werden eure Mitarbeiterinnen konkret gefördert? Bietet ihr besondere Weiterbildungsprogramme oder dergleichen?

Meike Jordan: Unser Ziel besteht nicht darin, Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen explizit zu fördern. Innerhalb des Unternehmens verfolgen wir stattdessen die Philosophie, dass alle gleichberechtigt sind – unabhängig von Religion, Hautfarbe, Geschlecht und Alter. Dementsprechend stehen Weiterbildungen und Förderprogramme jedem gleichermaßen offen. 

Heißt das, ihr motiviert beispielweise auch Männer dazu, in Elternzeit zu gehen? Und welche Möglichkeiten bietet ihr generell euren Mitarbeitern mit Kindern an?

Meike Jordan: Wir bieten jedem unserer Mitarbeiter flexible Arbeitszeiten und die unbegrenzte Möglichkeit auf Home Office. Unsere Führungskräfte gehen da mit gutem Beispiel voran und arbeiten selbst des Öfteren von zuhause aus – zum Beispiel wenn der Kindergarten bestreikt wird oder die kleine Tochter mit Fieber im Bett liegt. Blöden Kommentaren, weshalb dieser und jener schon wieder nicht im Büro sei, beugen wir damit von Anfang an vor. Eine Führungskraft aus unserem Client Solutions-Bereich war nach der Geburt seines Kindes beispielsweise sechs Monate in Elternzeit und ist danach in Teilzeit als Führungskraft wieder eingestiegen. Damit ist er ein tolles Vorbild für alle werdenden Väter bei Productsup. Unser nächstes Herzensprojekt ist die Integration einer unternehmensinternen Kita. Damit könnten wir unseren Mitarbeitern mit Kindern noch besser die Chance geben, sich auch nach der Elternzeit wieder in den Berufsalltag einzugliedern. 

Und abschließend noch eine persönliche Frage: Wenn Du heute nochmal studieren könntest, welches Fach würdest Du wählen?

Meike Jordan: Naturwissenschaften! Ich finde es wahnsinnig spannend, Naturphänomene zu verstehen und herauszufinden, wie wir noch besser mit und für die Umwelt leben können. Ich wäre gerne ganz vorne bei diesem wissenschaftlichen Fortschritt mit dabei. 

Danke Meike, für Deine Zeit und vor allem für Deine spannenden Antworten.

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