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„Workation Retreat“: Wenn Urlaub und Arbeit eins werden

Früher war Urlaub noch richtiger Urlaub. Heute packen wir die Arbeit gleich mit in den Koffer und fahren in ein „Workation Retreat“. Und das ist leider gar keine gute Entwicklung.

„Ich muss nur mal eben eine E-Mail schreiben.“ „Nur mal eben einen Post fertig machen, das dauert maximal eine Minute!“ „Und nur mal kurz eben einen Anruf tätigen. Das geht ganz schnell. Wirklich!“

Auch wenn ich das nicht gerne zugebe, diese Sätze kommen leider ab und zu aus meinem Mund. Wem diese Rechtfertigungen gelten sollen, weiß ich selbst nicht. Mir selbst oder meinem Gegenüber? Wem machen wir eigentlich etwas vor?

Das Schlimme ist: Mir ist bewusst, dass die Arbeit auf der Arbeit bleiben, und Freizeit auch wirklich als freie Zeit eingeplant werden sollte. Ich weiß, dass „nur mal eben kurz“ kein Dauerzustand ist. Noch schlimmer ist allerdings: Wir ändern daran nichts. Ganz im Gegenteil. Wir gewähren der Arbeit nicht nur Zutritt zu unserem Privatleben, sondern packen sie – weil es ja so schön ist – auch noch in unseren Urlaubskoffer. Anstatt „Vacations“ machen wir jetzt ganz einfach „Workations“.

Wehe, das Wlan funktioniert nicht!

Heißt: Anstatt in den Urlaub ans Meer zu fahren, fahren wir in ein sogenanntes „Workation Retreat“, in dem wir nicht nur Wlan, Einzel- und Gruppenarbeitsplätze vorfinden, sondern auch auf jede Menge Gleichgesinnte treffen. Anstatt die Umgebung zu entdecken und die Hotelbesitzer nach Geheim-Tipps zu fragen, gilt unsere erste Frage dem Wlan-Passwort (und wehe das Wlan funktioniert nicht!).

Den Abend lassen wir nicht in traditioneller Urlaubsmanier, mit einem leckeren Essen und einem Glas Vino ausklingen, sondern mit einer Mail-Session kurz vor dem Einschlafen – dauert auch bestimmt nicht lange! Anstatt im Café den Gesprächen Einheimischer zu folgen, sitzt man Gleichgesinnten gegenüber und kommt aus dem Networking-Geplapper nicht mehr raus. Nicht, dass ich etwas gegen Networking oder Arbeiten hätte, aber muss das im Urlaub sein? Nein.

Als Urlaub noch Urlaub war

Ich kann mich noch gut an unsere jährlichen Campingurlaube mit der Familie erinnern. Ohne Laptop, Smartphone gab es damals noch nicht, und nur mit einer Telefonkarte für die Telefonzelle auf dem Campingplatz. Als Highlight durften wir Kinder dann einmal innerhalb der drei Wochen den Computer im Café benutzen und eine halbe Stunde auf Studie VZ oder mit icq verbringen. Wie schön das doch war. Man hat sich nicht nur viel mehr erholt und mehr erlebt, sondern auch viel mehr auf die Leute gefreut. Weil man eben von Facebook, Whatsapp und Instagram nicht andauernd auf dem Laufenden gehalten wurde.

Wenn es darum geht, an einem „Freilicht-Schreibtisch“ zu arbeiten, muss ich nicht gleich ein Workation Retreat buchen, sondern kann auch ganz einfach mit einer Decke in den Park gehen. Und wenn ich die volle Ladung Networking will, gehe ich ganz einfach auf ein Branchen-Event und bugsiere mich nicht gleich für mehrere Tage in eine Networking-Höhle.

Der Duden definiert Urlaub folgendermaßen: „dienst-, arbeitsfreie Zeit, die jemand [zum Zwecke der Erholung] erhält“. Warum also wirken wir der natürlichen Bedeutung von Urlaub entgegen und lassen die Grenzen von Arbeit und Freizeit – von wegen Work-Life-Balance – immer dichter aneinanderrücken?

Let’s be offline!

Für jemanden wie mich, der nicht nur persönlich, sondern auch berufsbedingt gerne und viel Zeit in den Sozialen Netzwerken verbringt, klingt ein Workation Retreat jedenfalls nicht nach einem verdienten Urlaub. Offline zu sein, tut gut! Das Handy mal zu vergessen, ist erholsam. Die ersten zwei Wochen in der neu bezogenen Wohnung auf das Wlan zu verzichten, sorgt für Abwechslung. Und die Arbeit nicht in den eigenen vier Wänden zu erledigen, sondern an einem angemieteten Arbeitsplatz, ist ein Geschenk.

Also: Let’s be offline. Sometimes. Für eine gewisse Zeit. Bucht euren nächsten Urlaub irgendwo in den Bergen, wo die Empfangs-Balken auf dem Handy dem Boden gleichen. Und wenn auch ich manchmal dazu neige, „nur mal eben kurz“ an den Laptop zu gehen, habe ich jemanden an meiner Seite, der mir immer wieder auf die Finger schaut und sagt: „Weder am Abend, noch am Wochenende wird gearbeitet.“ Also, gönnt euch!

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