Foto: Laura Dorney | Flickr | Cc by 2.0

Adele, eine Diva zwischen Mythologie und Popkultur

Was Superstars des Pop über unsere tiefsten Hoffnungen verraten? Dazu hat sich der Schriftsteller Florian Werner in der kommenden Ausgabe des Philosophie Magazins Gedanken gemacht – bei Edition F dürfen wir schon heute die Faszination mit Adele teilen.

 

Popdiven von Beyonce über Helene Fischer hin zu Adele

Was wir an den wirklich großen Popdiven bewundern, ist weit mehr als nur ihr Gesang und Aussehen. Sie sind mythische Gestalten, die letzten Göttinnen in einer säkularen Welt. Vor allem aber stehen sie für ganz eigene Utopien und Gesellschaftsvisionen – und leiten uns so auf dem Weg in eine offene Zukunft. Florian Werner hat sich für die am 5. Februar erscheinende Ausgabe des Philosophie-Magazins Gedanken zu fünf Frauen gemacht, die man ohne Zweifel als die Superstars des Pop bezeichnen kann – zeitlich passend zur Grammy-Verleihung im Februar. Einen Auszug seines Artikels dürfen wir schon jetzt hier veröffentlichen: die Faszination mit der britischen Ikone Adele.

Adele verkörpert die ganz normale Genialität, die uns allen potenziell zu Gebote steht

Vor zehn Jahren war sie noch ein einfaches Arbeiterkind aus Südlondon, das bei ihrer alleinerziehenden Mutter lebte und Lieder von Destiny’s Child mitsang. Dann veröffentlichte ein Freund drei ihrer Demo-Aufnahmen bei MySpace. Inzwischen – drei Alben später – hat sie über 100 Millionen Tonträger verkauft, einen James-Bond-Titelsong verantwortet, einen Oscar dafür eingeheimst und ist die schärfste Konkurrentin ihres ehemaligen Kindheitsidols Beyoncé bei den im Februar verliehenen Grammy Awards. Einer Umfrage zufolge gilt sie bereits als British cultural icon, zusammen mit Shakespeare, den Beatles und der Queen.

Die Sängerin, Musikerin, Komponistin Adele verkörpert eine der zentralen Verheißungen der Popkultur: Nämlich dass jede und jeder es an die Spitze der Charts schaffen kann, wenn sie beziehungsweise er es nur will. Man muss dafür weder eine Figur wie ein anorektisches Fotomodel haben noch sich durch den Irrsinn einer Castingshow nach oben gequält haben, sondern nur ganz, ganz tief in sich hineinhorchen und die Töne, die man dort vernimmt, wahrheitsgetreu wiedergeben – idealerweise mit einer umwerfenden Soulstimme. You can get it if you really want. Adele verkörpert die ganz normale Genialität, die uns allen potenziell zu Gebote steht.

Als solche ist sie eine echte Tochter der RomantikZum einen sind ihre Themen, im weiteren wie engeren Wortsinn, „romantisch“: Liebe, Leiden, Enttäuschung, Bitterkeit – das ganze Spektrum der Kübler-Ross-Trauerphasen von Denial bis Acceptance. Zum anderen erfüllt ihr Œuvre den Tatbestand der „Universalpoesie“, wie ihn der Romantiker Friedrich Schlegel im „Athenäums-Fragment“ Nummer 116 formulierte: Die progressive Universalpoesie, so der Philosoph, solle „die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen (…). Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten (…) Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang.“

„Adele kommuniziert mit Geistern, besingt die Dämonen, die unter dem Schleier unserer Normalität lauern“

Seit ihrem ersten Album arbeitet Adele daran, ihr eigenes Leben zur Kunst zu machen: jeden Seufzer, Kuss und Haucher, der ihr entfährt, schonungslos zu dokumentieren. Folgerichtig sind sämtliche bisherigen Alben nach dem Lebensalter der Sängerin benannt, in dem die darauf versammelten Songs entstanden: „19“ thematisiert die emotionalen Wirren eines Teenagers. „21“ die erste große schmerzhafte Trennung (angeblich führte der erste Song, den Adele für das Album geschrieben hatte, zum Zerwürfnis – mit den übrigen verarbeitete sie es). „25“ schließlich die Jahre danach, die verpassten Chancen, Erinnerungen an Menschen, mit denen man gern mal wieder sprechen würde, die aber einfach nicht ans Telefon gehen. „Hello?“

Telefonieren, schrieb Franz Kafka einmal, sei ein „Verkehr mit Gespenstern“, da er stets zwischen Abwesenden stattfindet; da er die Illusion einer Nähe vermittelt, die sich einer konstitutiven Ferne verdankt. Adele kommuniziert andauernd mit Geistern der Vergangenheit, nicht nur in ihrem Überhit „Hello“, auch in ihrer Durchbruchssingle „Rolling in the Deep“, die sich an das Gespenst eines Verflossenen richtet. Wie im Video zu „Hello“ sieht man die Sängerin in einem verlassenen Haus sitzen (der romantische Schauertopos schlechthin), die Sitzmöbel sind mit Folien abgedeckt, die Bilder mit Tüchern verhangen – was darunter lauert, wird man nie erfahren, die Szenerie ist im besten freudianischen Sinne „unheimlich“: Das Heimische, das un-heimisch geworden ist. Das macht die Größe Adeles aus: Sie ist nicht nur normal genial. Sie besingt auch die Dämonen, die unter dem Schleier unserer Normalität lauern.

Die neue Ausgabe des Philosophie Magazins erscheint am Donnerstag den 5. Januar.

Artikelbild: Laura Dorney | Flickr | CC by 2.0

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