Foto: Ryan McGuire

Das Angstwort: Familie

Wieso erfolgreiche Frauen in der Industrie das Thema Familienplanung nicht totschweigen sollten.

Ein Appell an Unternehmer

Ich konnte mir während meines geisteswissenschaftlichen Studiums an der Universität anfangs nie vorstellen, einmal in der Industrie zu arbeiten. Bis ich mich für ein Praktikum in ein mittelständisches Unternehmen wagte – und vom ersten Moment an begeistert war. Ich merkte sofort, dass ich mit Engagement, guten Ideen und Argumenten viel erreichen kann und es selbst in der Hand habe, wie abwechslungsreich und spannend meine Arbeit ist. Auf einmal schien mir alles möglich. Und so kam es auch. In meiner bisherigen beruflichen Laufbahn durfte ich von einigen Förderern lernen und interessante Positionen ausfüllen. Nie hatte ich den Eindruck, dass mein Geschlecht eine Rolle spielt, sondern sondern einzig mein Können, mein Wille und meine Leidenschaft, Dinge aufzubauen und Menschen zu bewegen.

„Klar wirst du momentan noch gefördert“, habe ich öfter gehört. „Aber das ändert sich sofort, sobald du schwanger wirst.“ Diese Sätze habe ich zum ersten Mal Ende Zwanzig gehört und höre sie seitdem regelmäßig.

Das hat mich gleichermaßen genervt und sensibilisiert. Mir fällt seitdem auf, dass die meisten Frauen in meinem Alter im beruflichen Kontext das Thema Familie und Kinder komplett meiden oder wenn überhaupt, dann so darüber sprechen, als wäre es für sie nicht relevant. Ich spüre großes Unwohlsein, manchmal gar Angst in den Blicken. „Familie“ ist ein Tabuthema bei erfolgreichen Frauen. Zumindest im beruflichen Kontext. In mittelständischen Unternehmen wahrscheinlich nochmal viel stärker als in großen Konzernen.

Frauen treten von selbst einen Schritt zurück

Ich habe Frauen erlebt, die eine rasante Karriere hingelegt haben und im Hinblick auf die zukünftige Familiensituation von selbst einen Schritt zurückgetreten sind. Oder Sie haben Stellen gar nicht erst angenommen, aus Angst, mit Vorgesetzten über das Thema zu sprechen. Sie haben sich also selbst degradiert, um das nicht durch den Arbeitgeber zu erleben oder weil ihnen klar zu sein scheint: Ich kann unmöglich beruflich erfolgreich sein und eine Familie haben.

„Familie“, „Kinder“ das sind Schreckenswörter, die erfolgreiche Frauen in der Industrie am liebsten gar nicht erst in den Mund nehmen. Und wenn doch, dann nur um Sätze zu sagen wie: „Das kommt für mich (noch) nicht in Frage.“

Und was bedeutet das jetzt für Frauen zwischen Anfang 30 und Anfang 40? Mein Partner und ich möchten Kinder. Und wir beide wollen weiterhin beruflich erfolgreich sein und nicht aufhören, Dinge aufzubauen und Themen voranzutreiben. Ich glaube fest daran, dass es irgendwann normal sein kann – wenn man es denn will – beides zu haben.

Der Blick über den Gartenzaun

In anderen Ländern habe ich bisher oft erlebt, dass es für Frauen normal ist, die beste Mutter der Welt und gleichzeitig beruflich ein Rockstar zu sein.

Ich habe in Frankreich studiert und in den USA gearbeitet. Meine Erfahrung dort: Menschen definieren sich ganz selbstverständlich über beides, ihren Beruf und ihre Familie. Viele Manager und Managerinnen erzählen mir dort begeistert von ihren Kindern. Familie ist unter beruflich erfolgreichen Menschen kein Tabuthema. Diese zwanghafte Trennung von Beruf und Familie habe ich dort selten erlebt.

Erst vergangene Woche hatte ich ein für mich beeindruckendes Erlebnis, das gezeigt hat, wie viel motivierte Eltern bereit sind, für ihr Unternehmen zu leisten. Für einen Kunden habe ich an einer Skypekonferenz mit einer Marketingmanagerin aus den USA teilgenommen. Sie ist Ende 30, Mutter von zwei kleinen Kindern und innerhalb ihres Marketingteams die wichtigste Ansprechpartnerin für uns. Die Skype-Konferenz ließ ich sie planen. Sie legte sie auf fünf Uhr morgens und erzählte uns zum Abschluss des Gesprächs gut gelaunt, dass sie nun ihre Kinder weckt, in Ruhe mit ihnen frühstückt und sie dann in den Kindergarten bringt. Obwohl sie jede andere Uhrzeit hätte wählen können, legte sie die Konferenz auf morgens um fünf. Sie versprühte Engagement und Freude an der Arbeit und war gleichzeitig spürbar mit sich und ihrer Familie im Reinen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass die Konferenz sehr gut verlief und trotz schwieriger Themen gute Ergebnisse lieferte.

Seid revolutionär: Familiengründung als Schritt in der Karriereplanung

Ich bin Mittelstandsfan, liebe es, in der Industrie zu arbeiten und bin zu dem Entschluss gekommen, dass das doch auch in Deutschland gar nicht soooo schwierig sein kann. Selbstverständlich spielen immer verschiedene Faktoren eine Rolle. Aber für den Anfang würde es uns gut tun, diese Tabuisierung des Themas Familie und Kinder in der Businesswelt aufzuheben. Dafür braucht es Unternehmer, die gute, ehrgeizige Frauen behalten wollen und die den Mut haben, das Thema Familienplanung offen anzusprechen und anzugehen. Sie müssen die Unternehmenskultur und die Weichen dafür stellen, dass sich auch Frauen mit Kindern gewachsen fühlen, ihre Karrieren nahtlos weiter zu bauen.

Ich stelle mir eine Welt vor, in der Geschäftsführer, Personalchefs und Führungskräfte das Thema Familienplanung bei jungen Menschen – übrigens Männern und Frauen – bewusst ansprechen und warum nicht: mit ihnen planen.

Seid revolutionär. Traut euch. Sprecht über Karriereplanung mit Kindern. Was es euch bringt? Die loyalsten und besten Mitarbeiter.

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