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Bieten Sie Erwartungen die Stirn

Im Job ununterbrochen Vollgas geben, nach dem Feierabend energiegeladen die Elternrolle übernehmen und wenn die Kinder erst einmal im Bett sind, wird die liebevolle und aufmerksame Partnerin erwartet.
Überall dasselbe Spiel: Erwartungen, Erwartungen, Erwartungen.
Mich wundert nicht, dass viele Menschen unter diesem Druck zusammenbrechen. Dabei sind viele der drückenden Erwartungen hausgemacht.

 

Dass aus Erwartungen ein wahrer Teufelskreislauf entstehen kann, erlebte ich erst vor Kurzem wieder in einem meiner Coachings. Eine junge Frau, eine gestandene Führungskraft, war mehrfach im Job in Tränen ausgebrochen. Sie stand kurz vorm Burn-out. Der Erwartungsdruck fraß sie förmlich auf. Ich sah sofort: Hier musste ganz schnell etwas passieren. Ihre zwei Hörstürze in kürzester Zeit bedeuteten Alarmstufe rot. Also gingen wir gemeinsam den Ursachen auf den Grund und wurden schnell fündig.

Ich muss aber doch …

Ihr eigener Anspruch – als Führungskraft, Mutter und Partnerin überall 150 Prozent zu geben – trieb sie letztendlich dazu, sich selbst eine tonnenschwere Last auf die Schultern zu halsen. Dabei blieben nicht nur Ihre eigenen Interessen und andere Ideen auf ganzer Linie auf der Strecke. Eine Rettung aus diesem Hamsterrad schien ihr unmöglich.

Wenn auch Sie unter solch einem Erwartungsdruck leiden, tut es Ihnen vielleicht gut zu hören, dass Sie nicht allein sind. Jeder Mensch kennt das Gefühl, die eigenen Erwartungen nicht erfüllen zu können. Für die einen ist es die Erwartung: „Ich muss die perfekte Mutter sein.“ Für andere: „Als Mann muss ich das große Geld verdienen, sonst habe ich im Leben nichts erreicht.“ Und die Nächste denkt vielleicht: „Mein Mann liebt mich nur, wenn ich immer perfekt aussehe.“

Jeder hat an seinen eigenen Erwartungen zu knabbern. Das ist eine Last, ja. Aber es hat auch eine positive Seite. Denn diese Erwartungen sind häufig hausgemacht. Das heißt, Sie können sie auch selbst steuern.

Everybody’s Depp

Meine Klientin im Coaching beispielsweise wollte neben ihrer Aufgabe als Führungskraft eines 20-köpfigen Teams eine Mutter sein, bei der die kleine Tochter immer an erster Stelle steht. Also litt sie nicht nur an dem schlechten Gewissen, nicht die perfekte Mutter zu sein, sondern alles, was sie selbst betraf, wurde zur Nebensache – sogar das Essen.

Neben dem Druck, den sich die junge Frau selbst auferlegte, kamen – wie bei vielen Durchgeplanten – die Erwartungen von außen noch hinzu. Ihre Freundinnen zum Beispiel waren allesamt im Hauptberuf Mutter. Hatten also den ganzen Tag Zeit, die Kinder zu umsorgen. Verständnis dafür, dass meine Kundin nicht permanent Zeit hatte, weil sie zusätzlich zum Mutterjob auch noch einer „kleinen Nebenbeschäftigung“ nachgeht, fehlte den Freundinnen komplett. Die vermeintlich logische Folge für meine Kundin: Ich erfülle die Erwartungen an eine moderne Mutter nicht. Dass das ein unsagbar schlechtes Gefühl in ihr auslöste, glaube ich sofort.

Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung

In einer solchen Doppelbelastung durch Erwartungen von innen und außen hilft eine Analyse des eigenen Lebens. So habe ich auch bei der Betroffenen in meinem Coaching angesetzt. Wir betrachteten gemeinsam ihren Status quo. Wo steht sie? Hat sie wirklich Not, sich so unter Druck zu setzen? Oder hat sie nicht bereits sehr viel in ihrem Leben erreicht?

Allein diese offengelegten Erkenntnisse erzeugten eine unglaubliche Ruhe. Im nächsten Schritt haben wir gemeinsam die Hintergründe ihres Tuns – ihre sogenannten „Antreiber“ – betrachtet und dazu neue Glaubenssätze entwickelt. Und das geht manchmal einfacher als gedacht.

Wenn eine Mutter beispielsweise erkennt, dass „Perfekt sein“ ihr persönlicher Antreiber ist, der sie sehr viel Energie kostet, kann sie sich selbst entlasten. Zum Beispiel kauft sie ihrer Tochter einen Geburtstagskuchen, statt ihn selber zu backen. Sie kann den Erwartungen der Freundinnen entgegentreten, weil sie sich von dem Irrglauben löst, permanent anwesend sein zu müssen. Und die perfekte Figur ist ein Ideal, das ihr die Gesellschaft nicht länger von außen aufdrücken wird.

Spürbar entspannter

Diese aufgebrochenen Glaubenssätze und Erwartungen sowie das veränderte Denkmuster machen einen deutlichen Unterschied. So wie bei meiner Klientin: Heute genießt die junge Frau die Zeit mit ihrer Tochter, isst regelmäßig, sagt ihren Freundinnen auch ganz klar „Nein“, wenn sie keine Zeit hat, und im Job geht sie nicht länger über ihre Schmerzgrenze hinaus.

Sie sehen, wenn Sie Erwartungen als das betrachten, was sie sind – nämlich häufig hausgemacht und hinderlich –, werden Sie ein ganz neues Lebensgefühl erfahren.

Und das hört sich doch wahrlich entspannend an.

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