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Das Burnout als Statussymbol? Wie wir uns auf der Suche nach Anerkennung krank machen

Freunde, die vor lauter Arbeit keine Zeit mehr haben und stolz darauf sind. Wer heute nicht „kurz vor dem Burnout“ steht, gilt beinahe schon als faul. Zeit für ein Umdenken.

Überstunden machen krank

Miwa Sado war eine Journalistin des japanischen Fernsehsenders NHK, die im Alter von 31 Jahren an Überarbeitung starb, nachdem sie in einem Monat 159 Überstunden arbeitete. Ihr Tod machte Schlagzeilen, ist aber tragischerweise nichts ungewöhnliches, denn das Phänomen, an Überarbeitung zu sterben, ist so tief in der japanischen Gesellschaft verankert, dass es sogar einen Namen hat – Karoshi.

Obwohl es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen längeren Arbeitszeiten und gesteigerter Produktivität gibt ist das Phänomen dort so ausgeprägt, dass einer von fünf Arbeitnehmern Gefahr läuft, an Überarbeitung zu sterben.

Die Situation in Japan ist extrem, aber unbezahlte Überstunden, verfallene Urlaubstage und Angestellte, die aufgrund eines Burnouts ausfallen, kennt man auch hier. Ein weiteres Phänomen hat sich in den letzten Jahren bemerkbar gemacht: die Glorifizierung diese Erschöpfungszustands.

Burnout und Überarbeitung als Statussymbol

Die meisten von uns haben folgende Worte schon mal selbst gesagt, oder zumindest gehört „Ich würde dir gerne helfen, aber ich habe einfach zu viel zu tun“ oder „Heute hatte ich vor lauter Arbeit keine Zeit, um Mittag zu essen“ oder das berühmte „Ich bin kurz vor dem Burnout“.

So ehrlich sich diese Statements in dem Moment, in dem sie ausgesprochen werden, auch anfühlen mögen, sie suggerieren vor allem eines: Meine Arbeit ist wichtig(er). Seit Jahren warnen uns Zeitungsartikel, Ärzte und Kollegen, die bereits eines hinter sich haben, vor der „Volkskrankheit Burnout“. Anstatt besser auf uns selbst zu achten, glorifizieren wir diesen Zustand jedoch geradezu und übertrumpfen uns gegenseitig mit Geschichten der Selbstausbeutung und Überarbeitung. Die Person, die am längsten im Büro geblieben, den meisten Kaffee getrunken und am wenigsten geschlafen hat, gewinnt – aber was eigentlich?

In einer Studie, die sich damit beschäftigt, wie der Mangel an Freizeit zum neuen Statussymbol wurde, untersuchten die Autoren Silvia Bellezza, Neeru Paharia und Anat Keinan Reaktionen auf Facebook-Kommentare, in denen Überarbeitung und das Fehlen von Freizeit beklagt wurde. Sie stellten fest, dass die Kommentare sich positiv auf das soziale Kapital und damit den Status der Person auswirkten: Je mehr sich jemand über das Zuviel an Arbeit beklagte, desto eher stieg das Ansehen dieser Person.

Suchen wir nur nach Anerkennung?

Im Büro resultiert Überarbeit jedoch nicht in erhöhtem Ansehen der Kollegen, sondern in Frustration und einem toxisches Arbeitsklima. Oft gehen sogar diejenigen, die bereits ein Burnout hatten, und es daher besser wissen sollten, mit schlechtem Beispiel voran (die Rückfallquote von Burnouts liegt bei 50-70 Prozent). Trotz allem wird Erschöpfung paradoxerweise immer noch mit Erfolg gleichgesetzt und Kollegen, deren Work-Life-Balance intakt ist, leisten nach dieser verdrehten Logik einfach nicht genug.

Zu viel zu arbeiten, egal, ob aus Druck oder eigener Entscheidung, hat weitere persönliche und auch berufliche Nachteilen. Denn Kollegen, die immer zu beschäftigt sind und keine Zeit haben, um anderen zu helfen, werden nicht mehr als Mehrleister, sondern als ineffizient und unhöflich angesehen.

Sind wir wirklich so beschäftigt, dass wir keine Zeit haben, um eine Frage zu beantworten, Mittag zu essen oder unsere Urlaubstage aufzubrauchen oder erzählen wir anderen einfach nur gerne davon weil wir nach Anerkennung suchen und unersetzlich erscheinen wollen? Wenn zwischen tatsächlicher und gefühlter Überarbeitung nicht mehr unterschieden wird und Begriffe wie Burnout inflationär verwendet werden, passiert genau das Gegenteil und wirklich niemand ist beeindruckt.

Die Zahl der Menschen, die an Burnout und Überarbeitung leiden, steigt – aber die Anzahl der Überstunden, die in Deutschland gemacht werden, ist seit 16 Jahren kontinuierlich gesunken (von 1.106 Mio in 2000 auf 821 Mio in 2016). Nicht jeder ist also davon betroffen und auch die Diagnose des Erschöpfungszustandes erfolgt heute schneller als früher. Im Gegensatz zu Ländern, in denen Arbeitnehmerrechte tatsächlich mit Füßen getreten werden, haben wir jedoch Einfluss auf unsere Arbeitssituation. Wir suchen bewusst nach flexiblen Aufträgen, die uns Spaß machen und nehmen dafür in Kauf, dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt. Oder wir entscheiden uns für Jobs, die besser bezahlt werden, aber dafür auch mehr Einsatz verlangen.

Wie weit willst du gehen?

Die Glorifizierung des Burnouts ist natürlich auch kulturell bedingt. Bellezza meinte dazu, dass Arbeit in den USA so identitätsstiftend ist, dass Angestellte bereit sind, für ein bisschen Prestige ihre wenigen Urlaubstage verfallen zu lassen, während man in Italien von Menschen, die ihren Sommerurlaub freiwillig aufgeben annimmt, dass sie „Verlierer sind, sich keinen Urlaub leisten können oder einfach uninteressant sind“.

Und wie sieht die Situation in Deutschland aus, wo die gefühlte Tendenz auch eher in Richtung Selbstausbeutung als Selbstverwirklichung geht? Sascha Nicke, Journalist und Dozent an der Uni Potsdam, sieht die Lösung in der Veränderung der ökonomischen Rahmenbedingungen: Eine Reduzierung der Arbeitszeit und die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens würden seiner Meinung nach allen Gesellschaftsmitgliedern die Möglichkeit geben, verschiedene Lebensentwürfe, Betätigungsfelder und Selbstbilder auszuprobieren. Bis das umstrittene Konzept jedoch realisiert wird, liegt es an uns, abzuwägen, wie viel wir bereit sind, für unsere Karriere zu opfern und wo wir die Grenze ziehen.

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