Foto: Christian Grube

Sookee zu #DeutschRapMeToo: „Die sexistische Rap-Party ist vorbei“

Nach Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Musiker Samra entsteht gerade ein Diskurs über Frauenfeindlichkeit im deutschen Rap. Die Musikerin Sookee fordert eine strukturelle Veränderung in der deutschen Rap-Szene.

Hinweis: Dieser Text thematisiert Sexismus und sexualisierte Gewalt und explizite Sprache im Kontext von Misogynie und sexualisiertem Machtmissbrauch.

Rap sei Spiegel der Gesellschaft, hieß es, wenn die mediale Aufmerksamkeit seit den frühen 2000er Jahren immer mal wieder sexistische und homofeindliche Aussagen einzelner Szene-Protagonisten in den Blick nahm.

Die Kritik war verkürzt, richtete sich an Einzelpersonen, nicht an Strukturen, erkannte ihre rassistischen und klassistischen Vorannahmen nicht, argumentierte adultistisch und moralisch statt emanzipatorisch und politisch. Das ließ sich unter anderem daran erkennen, dass eine Verrohung der Jugend gesehen und in den Vordergrund gestellt und der Kopf darüber geschüttelt wurde, wie Frauen sich etwa in den entsprechenden Musikvideos selbst zu Sexobjekten degradieren könnten.

Die Szene im Gegenzug sprach der kritischen Draufsicht jegliche Kenntnis kultureller Interna ab und zog sich wahlweise wenig überzeugend auf das Argument der Kunstfreiheit zurück oder ließ die Zahlen sprechen: Die Nachfrage sei da, es werde nur geliefert, was der Markt fordere.

Über diesen Status wuchs die Debatte nur selten und punktuell hinaus. Eine (cis hetero-)sexistisch strukturierte Gesellschaft rümpfte weiterhin herabschauend die Nase, trug zeitgleich maßgeblich an der Feminitätsfeindlichkeit giftiger Männlichkeit bei. Unterdessen boomte sich Rap von einer Jugendkultur zu einer gewaltigen Unterhaltungsindustrie hoch und aus den peinlichen Rap-Deppen wurden millionenschwere, arrivierte Geschäftsmänner.

#DeutschRapMeToo

2019 meldete sich erstmals eine Frau öffentlichkeitswirksam zu Wort und bestätigte, was so nahe zu liegen schien: Gzuz, ein klischeedurchzogener Gangsta-Rapper, sei tatsächlich ein Gewalttäter. Schon fünf Jahre zuvor gab es Anzeichen, dass auch Bushidos Ehefrau häusliche Gewalt erlebt hatte.

Vergangene Woche erweiterte sich das Feld: Eine junge Frau warf dem Rapper Samra vor, sich über ihr „Nein!“ hinweggesetzt und sie vergewaltigt zu haben. Trotz übelster Slutshaming- und Victim Blaming-Attacken ebnet die Frau mit ihren Statements in den sozialen Medien zahlreichen anderen Betroffenen den Weg und es wird ein Name nach dem anderen aus dem Rap-Geschehen genannt.

„Bekannte HipHop-Journalist*innen bestätigen diese Innenansicht: Die misogyne Haltung zahlreicher Rapper endet nicht mit dem letzten Takt ihrer Songs.“

Bekannte HipHop-Journalist*innen bestätigen diese Innenansicht: Die misogyne Haltung zahlreicher Rapper endet nicht mit dem letzten Takt ihrer Songs. Sie alle kennen mehr Geschichten über herabwürdigendes Verhalten gegenüber Frauen bis hin zu sexualisierter Gewalt als sie Kraft hätten wiederzugeben. Manche von ihnen deuten sogar an, selbst betroffen zu sein. Einige wenige männliche Rapper stellen sich an die Seite der Betroffenen. Das absolute Gros schweigt oder erklärt sie zu Lügnerinnen. Die Debatte ist in ungekannter Weise in vollem Gange, unterschrieben wird sie mit dem Hashtag #DeutschRapMeToo.

Die Party ist erstmal vorbei

Nichts an der Debatte ist neu. Nur der Austragungsort ist ein anderer. Die #MeToo-Bewegung hat es in Deutschland über Ansätze in der Film- und Theaterwelt kaum hinausgeschafft. Nun ist eine Szene, eine Industrie im Fokus, in der Sexismus ganz offen eine Party ist. In der Inszenierung mal mit geballter Faust brandgefährlich und mafiös-real, mal mit Augenzwinkern humoristisch überzeichnet und satirisch gewollt. In jedem Fall überall Nutten, die den ganzen geilen Stechern ihre nassen Fotzen entgegenstrecken und nichts mehr brauchen als Schwanz. Die Täter und ihre Apologet*innen sind sich einig: Die Beschuldigten sind so mächtige Männer, sie haben es nicht nötig zu vergewaltigen. Sie kriegen jeden Arsch, in den sie reinwollen, auf Zuruf. Und weiterhin: Wer mit ihnen abhängt, wisse genau, was gespielt wird. Nutten könne man nicht vergewaltigen. Alles andere sei üble Nachrede. Täter-Opfer-Umkehr.

Aber jetzt ist die Party erstmal vorbei. So sehr vorbei sogar, dass selbst Rap-Medien, die über Jahrzehnte den maskulinistischen Standard von Rap-Untergrund bis Rap-Elite nie konsequent in Frage gestellt oder sogar noch promotet haben, sich genötigt sehen eine Grenze des Vertretbaren zu erkennen. Auch der Major-Riese Universal Music ringt sich, nachdem immenser öffentlicher Druck aufgebaut wurde, reumütige Statements ab. Man wolle zukünftig mehr Verantwortung für die über das Label veröffentlichten Inhalte übernehmen.

Ab hier wird es interessant. Der Verantwortungsbegriff ist nämlich einer, der sowohl in der kapitalistischen Verwertungslogik als auch in der künstlerischen Freiheitsliebe ausgiebig gemieden wird. Jetzt, wo deutlich wird, dass sich hier keine Promo fürs neue Album draus machen lässt, das Schweigen der Betroffenen ein Ende zu haben scheint und deutlich wird, dass viel mehr Leute involviert sind als ein Kollegah und ein Farid Bang, deretwegen vor drei Jahren der Echo gekippt wurde, könnte sich so etwas wie ein Strukturbewusstsein Bahn brechen.

Täter-Sein gehört qua Image-Politik zum guten Ton

Wir haben es hier nicht mit einzelnen Harvey-Weinstein-artigen Monstern zu tun, sondern mit einer Atmosphäre, in der Täter-Sein zumindest qua Imagepolitik zum guten Ton gehört. Diese Täterschaft heißt Männlichkeit und die will bewiesen werden, also braucht es Opfer. Blöd nur, wenn die Frauen, die in Backstages, Studios, Tourbussen, Hotelzimmern, auf Parties und bei Videodrehs zu Opfern wurden, das mit der Beweisführung ernst nehmen und die Täterschaft erstens kollektiv benennen und somit aus der vereinzelnden Zuschreibung der Unglaubwürdigkeit herauswachsen und zweitens mithilfe von Rechtsmitteln belegen, dass die performative Täterschaft zuweilen eine reale Täterschaft nur überdeckt. Die Demaskierung naht, die Cancel Culture will ihren Job machen. Und das sollte sie auch.

„Wir haben es hier nicht mit einzelnen Harvey-Weinstein-artigen Monstern zu tun, sondern mit einer Atmosphäre, in der Täter-Sein zumindest qua Imagepolitik zum guten Ton gehört. Diese Täterschaft heißt Männlichkeit und die will bewiesen werden, also braucht es Opfer.“

Denn: Rap war nie ein Spiegel der Gesellschaft, Rap war immer Teil der Gesellschaft. Und auch wenn Punkrock und Schützenvereine sich aus derselben androzentristisch-patriarchalen Welt speisen, war Rap zumindest in weiten Teilen des Mainstreams immer ein Stück offensiver auf der Sexismus-Party: „Ich ficke die Fotze bis sie querschnittgelähmt ist“ ist nunmal kein Zitat einer Glam-Rock-Band aus den Achtzigern, auch wenn Groupies aus cis männlicher Sicht auch dort schon essentiell wichtig für die Konstruktion von maskuliner Dominanz waren und mit Sicherheit auch gewaltvoll behandelt wurden.

Deutsch-Rap ist selbstgerecht und widerlich dreist

Deutsch-Rap ist selbstgerecht und widerlich dreist. Ein Kool Savas, der sich – meinem Wissen nach – nie für die klimatische Wirkung von Songs wie „Weg nach draußen“, wo genau das oben Beschriebene (Rapper verlangt von weiblichem Fan Sex gegen ihren Willen) verfestigt wird, interessiert hat, bezeichnet sich 2017 in einem Interview mit einem großen Musik-Magazin als – Achtung – „Feminist“.

„Rap war nie ein Spiegel der Gesellschaft, Rap war immer Teil der Gesellschaft.“

Da drängt sich die Frage auf: Von wem dürfen wir weniger Verantwortungsübernahme erwarten? Von dem Rapper oder dem Magazin, das sich über ihn erhebt, indem es ihn zynisch-relativierend als „Battle-Otto“ bezeichnet, ihm aber eine Plattform gibt?

Ein Umdenken ist möglich

Die Renitenz, mit der sich der menschenverachtende Flügel im Rap seit Jahren jeder ernstzunehmenden Debatte entzieht oder sie nur bespielt, wenn es ein neues Release zu bewerben gilt, ist unerträglich. Ich rechne hier mit keiner Einsicht. Diese Enttäuschung möchte ich mir ersparen. Aber ich zähle auf die kritische Masse, die bislang für Rap nur als Kaufkraft (an dieser Stelle sei daran erinnert, dass Kapital auch in Form von Likes, Klicks, Shares, Views, Applaus und anderen symbolischen aber in konkrete Euros überführbare Einheiten daherkommen kann) interessant war.

Woher ich dieses Vertrauen nehme? Ich selbst habe es innerhalb meiner eigenen Beteiligung am Rap-Game als Musikerin in den vergangenen bald 15 Jahren erlebt: Die Dinge können sich ändern. Ein Umdenken ist möglich. Eigene Strukturen, Ästhetiken, Narrative können entwickelt und aufgebaut werden. Der Mythos, dass nur ein Major-Deal ein guter Deal und der Weg in eine aktive Karriere sei, wurde gekippt. DIY Ist wieder an der Tagesordnung.

Betroffenen den Rücken stärken

Es sind inzwischen Menschen als Rapper*innen, Producer*innen, Beatboxer*innen, DJs*, Veranstalter*innen, Label-Macher*innen, Promoter*innen, Video-Produzent*innen, Produkt-Designer*innen tätig und als Fans, Supporter*innen, Rezipient*innen und als kritische Akademiker*innen, Pädagog*innen, Journalist*innen am Start, die nicht nur keine Rape Culture-Apologet*innen sind, sondern explizit Misogynie, Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit, Ableismus, Rassismus, Antisemitismus, die gesamte Bandbreite der strukturellen Gewalt in ihrer konkreten Artikulation zutiefst ablehnen und sich grundsätzlich – nicht nur in Momenten der Sozialverträglichkeit – herrschaftskritisch und empowernd äußern.

Das sind genau die Leute, die gegenwärtig den Betroffenen den Rücken stärken, die Call Outs über ihre Kanäle verstärken, die Unterhaltungs-Industrie in die Pflicht nehmen, mit ihren Schüler*innen, Nichten, Brüdern und Kolleg*innen über diese Debatte ins Gespräch gehen und dafür sorgen werden, dass #DeutschRapMeToo keine Eintagsfliege in den Twitter-Trends wird.

Das Schweigen durchbrechen

Vielmehr ist das der Status Quo, hinter dem nicht mehr zurückgegangen, das intersektionale Strukturbewusstsein geschärft und der eigene Kultur- und Medienkonsum, die eigenen Guilty Pleasures in Frage gestellt werden wird. Unter ihnen sind auch cis Männer, die die Cancel Culture auf ihre eigenen Bro-Codex-Verstrickungen anwenden müssen und Verantwortung übernehmen werden.

Die Karten werden nicht neu gemischt, denn Rape Culture ist keine Party und Solidarität mit den Betroffenen von sexualisierter Gewalt ist kein Trinkspiel. Vielmehr wird hier eine Unterhaltungsindustrie ganz nüchtern neu kartographiert. Und das ist nur möglich, weil Einzelne mit dem Rücken von Vielen das Schweigen durchbrechen.

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