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Ein herzliches Willkommen an den Stress

Das neue Jahr ist kaum zwei Wochen alt, da ist es schon wieder da: Das Dilemma mit dem ganzen Stress, der dich erdrückt! Ich verstehe, dass dir der Kopf schwirrt zwischen dem Erledigen der Hausaufgaben mit deinen Kindern, der Vorbereitung auf den nächsten Marathon und dann auch noch einer neuen Stelle oder Aufgabe. Deshalb hoffe ich, du schenkst mir trotz des Drucks einen Moment deiner Zeit, um ein kleines Experiment zu wagen: Lassen wir einmal den Stress sprechen.

 

Ja, du hast richtig gehört: Der Stress ist der heutige Gast in unserer kleinen Talkrunde. Was würde er wohl zur Begrüßung sagen? Vermutlich etwas wie: „Ich freue mich wirklich, hier zu sein, denn in der Regel bin ich ein sehr ungern gesehener Gast.“ Nicht wahr? Denn wer würde schon den Stress auf seine Couch einladen, ihn hereinbitten und ihn willkommen heißen? Stress ist vielmehr ein Eindringling, dem wir davonlaufen oder gleich die Tür vor der Nase zuschlagen. Ich muss sagen: Ich habe Mitleid mit dem armen Stress.

Mobbing mal anders

Er ist das Mobbing-Opfer der Neuzeit. Das denke ich nicht ohne Grund, denn schau mal: Erstens ist der Stress an allem schuld. Wenn du zu viel Arbeit hast, wenn deine Kinder aus der Reihe tanzen, wenn der Termin beim Arzt länger dauert als geplant … schon haben wir Stress. Wahllos, in jeder erdenklichen Lebenssituation, der Schuldige ist gefunden.
Zweitens verbieten wir dem Stress permanent den Mund. Immer wenn er anklopft, stellen wir ihn ruhig mit Ablenkung, mit Psychopharmaka oder wir verbannen ihn gleich in den Keller unserer Aufmerksamkeit. Und drittens schieben wir den Stress hin und her wie ein ungeliebtes Stiefkind. Wenn er uns signalisiert: „Du hast gerade ein bisschen zu viel auf der Uhr, mein Freund“, schieben wir ihn weiter. Dann ist der Chef schuld, dass wir uns mit unseren Kindern überfordert fühlen, weil er keine flexiblen Arbeitszeiten anbietet. Oder es ist der Fehler der Freunde, dass wir Stress haben, weil sie unerwartet zahlreich zum angesetzten Gartenfest erscheinen. Und nachdem wir den Stress nun schon auf dreierlei Weise gemobbt haben, muss ich mal eingreifen: Wer ist denn hier der eigentliche Übeltäter?

Zwischen Symptom und Ursache

Ich denke, unterm Strich sind das immer noch wir selbst. Weil wir uns keine Prioritäten setzen. Weil wir auf allen Hochzeiten tanzen und unbesiegbare Mammuttöt er sein wollen. Weil wir andere Schuldige für unseren Stress suchen, anstatt zu schauen, wo er hintergründig herkommt und wie wir ihn lösen können.
Denn Stress ist ein Symptom, nicht die Ursache. Er ist da, um uns zu warnen, wenn wir uns übernehmen oder unglücklich machen. Er ist unser Helfer, wenn wir uns fokussieren und konzentrieren müssen. Er wirkt sogar positiv auf uns und motiviert uns, wenn eine Deadline näherrückt oder wir ein großes Projekt abschließen müssen.
Darum überlasse ich zum Schluss noch einmal das Wort unserem Talkgast Stress, der dir ganz bestimmt sagt: „Bitte nimm mich wieder als willkommenen Gast wahr. Ich betrete nicht ohne Grund dein Leben und meine es nur gut.“

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