Foto: CODE University of Applied Sciences

Ein Unternehmen elternfreundlich aufzubauen ist kein Hexenwerk – auch die kleinsten Maßnahmen helfen

Autorin
Britta Kiwit

Immer wieder berichten uns Arbeitnehmer*innen, die ein Kind erwarten, von Arbeitgeber*innen, die sich unglaublich schwer damit tun, Vereinbarkeit zu ermöglichen. Das Beispiel unserer Community-Autorin Britta Kiwit zeigt, dass es auch anders geht. In ihrem Erfahrungsbericht beschreibt sie, wie ihr Arbeitgeber auf ihre Schwangerschaft reagiert und das Zusammenspiel von Kind und Karriere möglich gemacht hat.

Die Sorge, nicht mehr für voll genommen zu werden

Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich den kleinen Meeting-Raum betrat, um meinem Chef von meiner Schwangerschaft zu erzählen. Ich gehörte zu dem Zeitpunkt zwar schon zum Management-Team, allerdings sind die drei Gründer allesamt männlich und wir hatten nie über den Umgang mit Elternzeit und potenzielle Konsequenzen gesprochen. Wochenlang hatte ich nach den richtigen Worten gesucht, hatte unterschiedliche Szenarien durchgespielt und das Gespräch vor dem Spiegel geübt. Zu groß war die Angst, unvorbereitet in das Meeting reinzugehen, nachdem ich so viele Geschichten von Freund*innen kannte, die durch ihren Kinderwunsch erhebliche Diskriminierungen im Job erfuhren.

Aus meinem direkten und entfernten Umfeld erreichten mich viele Erfahrungsberichte zum Thema Elternzeit: Kündigungsandrohungen, die Degradierung auf eine andere Position mit neuen Vorgesetzten, Ausschließen aus Meetings und die große Sorge, nicht mehr „für voll genommen“ zu werden. Übrigens erfahren diese Diskriminierung auch Männer: Ich hörte von befreundeten Vätern, die gerne Elternzeit genommen hätten, denen aber angedroht wurde, lieber schnell zurückzukommen, wenn einem der Job lieb sei – die zwei Partnermonate seien schließlich mehr als genug.

Angst vor den Reaktionen des privaten und beruflichen Umfelds

Für mich war von Anfang an klar, dass ich ziemlich rasch nach der Geburt wieder in den Job zurückkehren möchte. Ich liebe meinen Job – er ist großer Bestandteil meines Lebens und meine Hauptsorge galt damals vor allem der Frage, wie ich beiden Welten gerecht werden kann. Dadurch stiegen ungeahnte Ängste in mir auf.

Angst hatte ich auch vor den Reaktionen aus meinem Umfeld – zu offensichtlich sind die kritischen Blicke von manchen Müttern, die sich für ein anderes Modell entscheiden und beispielsweise ein volles Jahr Elternzeit planen. Diese Entscheidung kann ich absolut nachvollziehen, allerdings ist das etwas, was für mich persönlich nie in Frage kam. Neben einzelnen positiven Reaktionen war ich erstaunt darüber, wie viele wertende Meinungen ich aus dem Bekanntenkreis bekam: „Das schaffst du alles niemals, Britta. Ein Kind braucht seine Mutter. Dein Arbeitgeber zwingt dich da in etwas rein. Du musst das nicht machen“, hörte ich beispielsweise von einer Freundin.

Und ja, irgendwann hatte ich dann auch Angst vor den Reaktionen meines Arbeitgebers. Ausgeschlossen zu werden, aufs „Muttersein“ reduziert und nicht mehr ernst genommen zu werden, mir zu viel vorzunehmen und dann das Ganze nicht hinzubekommen. Hinzu kam, dass eine Beförderung im Raum stand, die zu dem Zeitpunkt aber noch nicht unterschrieben war – und wie ich aus Beiträgen in verschiedenen Foren und in Artikeln anderer Communityautor*innen las, wäre ich nicht die Erste, bei der die Beförderung nach der Bekanntgabe der Schwangerschaft zurückgezogen wird.

Geteilte Elternzeit

Ich arbeite an der Berliner Hochschule CODE, die selbst noch in den Kinderschuhen steckt, was jedes neue Semester unglaublich aufregend macht. Meine Tochter war für Anfang Juli 2019 terminiert und so nahm ich mir fest vor, den Semesterstart unserer Studierenden Anfang September nicht zu verpassen – also ziemlich genau acht Wochen nach der Geburt.

Ich fing bereits in der zehnten Schwangerschaftswoche an, darüber nachzudenken, wie ich diesen raschen Wiedereinstieg möglich machen kann und sprach sehr viel mit meinem Freund, dem Vater des Kindes, darüber – der bis heute die größte Unterstützung meines Lebens ist und ohne dessen Rückhalt ich das Ganze niemals geschafft hätte. Wir entschieden uns, gleichzeitig Elternzeit zu nehmen, jeweils mit reduzierten Stunden – er fünf und ich sieben Monate. Zudem entschieden wir uns sehr früh für eine Nanny, die uns bis zum Kitastart unterstützen sollte. Nach viel Planung im Vorfeld blieb nur noch ein offener Punkt: der Gang zu meinem Arbeitgeber.

Ich holte tief Luft und begann das Gespräch: „Jonathan, es gibt da noch eine Kleinigkeit, die ich dir erzählen möchte. Unsere Management-Meetings werden ab dem kommenden Sommer nicht mehr zu viert, sondern zu fünft stattfinden.” Ohne seine Reaktion abzuwarten, schob ich sofort hinterher, dass ich keine Elternzeitvertretung möchte. Und dass sich niemand Sorgen machen müsse, weil … Ich hörte nicht auf zu reden, so aufgeregt war ich.

„Sag uns, was du brauchst – wir machen alles möglich”

Gespannt wartete ich auf seine Reaktion: „Das ist ja großartig!”, waren seine ersten Worte, gefolgt von einem High-Five. „Und Britta, hör auf, dir jetzt schon den Kopf zu zerbrechen. Du entscheidest das ganz alleine und lässt uns einfach irgendwann wissen, wann du zurückkommen möchtest. Bis dahin halten wir die Stellung und unterstützen dich bei jeder Entscheidung.“

Wie stark mich die Situation belastet hatte, merkte ich erst nach dem Meeting – ich fühlte mich befreit und viel zuversichtlicher. Auch der Kanzler unserer Hochschule, dem ich direkt danach von meiner Schwangerschaft erzählte, reagierte positiv: „Sag uns, was du brauchst – wir machen alles möglich.”

Sofort fing ich an, darüber nachzudenken, was sich bei der Arbeit alles ändern muss. Es war mir unangenehm, dass wir uns im Unternehmen vorher überhaupt nicht richtig mit dem Thema auseinandergesetzt hatten. Ich realisierte erst durch meine eigene Situation, dass ich als Führungsperson von Anfang an, unabhängig von der eigenen privaten Situation, das Thema Familienfreundlichkeit hätte mitdenken müssen. Und da ich überhaupt keine Ahnung hatte, startete ich eine Elterninitiative im Büro und fragte die Eltern im Team, was ihnen fehlen und bessere Vereinbarkeit ermöglichen würde. Eine Sache merkte ich innerhalb kürzester Zeit: Ein Unternehmen elternfreundlich aufzubauen, ist kein Hexenwerk – auch die kleinsten Maßnahmen helfen.

Jemand muss den Anfang machen

Sehr schnell entschieden wir uns gegen die Idee einer Betriebskita – dafür sind wir noch zu klein – sondern fokussierten uns auf Maßnahmen, die innerhalb kürzester Zeit umsetzbar waren. Innerhalb eines Tages bekam ich die Freigabe, einen unserer Meetingräume zum „familienfreundlichen Raum“ umzugestalten, den zwar alle mitbenutzen dürfen, bei dem allerdings Mitarbeiter*innen mit Kindern Vorrang haben. Es sollte ein Ort sein, an dem es ok ist, wenn es auch mal dauerhaft lauter wird. 2.500 Euro war das erste kleine Budget, das wir zur Verfügung hatten.

Die kinderfreundliche Ecke bei Britta Kiwits Arbeitgeber. (Foto: CODE University of Applied Sciences)

Schaumstoffmatten für den Boden und ein kleiner Maltisch mit zwei Hockern für die größeren Kids waren schnell besorgt. Spielzeug wurde aus allen Ecken privat beigesteuert. Auch einen Wickeltisch haben wir organisiert, allerdings gab jemand den weisen Ratschlag, diesen wegen des Geruchs nicht im Büroraum aufzustellen. So wurde kurzerhand eine der fünf Toiletten-Kabinen zum offiziellen Wickelraum erklärt.

Ich wollte nie und habe auch nicht gestillt, aber es war klar, dass wir für alle Stillenden eine Lösung brauchen. Kurzerhand wurde also ein großer, samtgrüner Sessel mit hoher Lehne mit dem Rücken zur Tür positioniert und zum Stillbereich deklariert. Und zack, war innerhalb einer Woche aus einer Ecke in einem Meetingraum eine kleine Kinderoase entstanden.

Ein familienfreundlicher und inklusiver Arbeitsplatz: die wichtigsten Bausteine 

Die genannten Punkte waren allerdings erst der Anfang. Die größte Erkenntnis war für mich, dass bereits die einfachsten Dinge einen enormen Unterschied machen können. Folgende Dinge haben sich bei uns bewährt und empfehle ich anderen.

  • Eltern-Kind-Zimmer: Einen Raum offiziell kindersicher machen, inklusive gesicherter Steckdosen und ohne spitze Gegenstände. Dazu noch ein paar Schaumstoffmatten mit Kissen und eine Malecke. Dieser Raum ist für alle offen, aber kann nicht für Meetings gebucht werden.
  • Keine wichtigen Meetings nach 15 Uhr: Das ist vor allem für die Eltern wichtig, deren Kind in einer Kita betreut wird. Das klingt vielleicht schwer, aber man muss nur mal damit anfangen, um zu sehen, dass das sehr gut machbar ist – egal ob Team-Meetings, Workshops oder auch ein Teamevent, das dann eben ein Frühstück ist.
  • Remote-Teilnahme an Meetings ermöglichen: Inklusive Video- und Sound-Equipment in allen Meetingräumen sowie Slides mit den entsprechenden Inhalten, die vor oder während der Meetings geteilt werden.
  • 100 % flexible Arbeitszeiten: Und zwar bedingungslos. Wenn jemand um sechs oder sieben Uhr anfangen oder generell morgens von Zuhause aus arbeiten möchte, dann sollte dem nichts im Wege stehen. Gleichzeitig ist es völlig in Ordnung, wenn jemand um 14 oder 15 Uhr das Büro verlässt, solange die Arbeitsabläufe nicht darunter leiden.
  • Umdenken im Kopf: Direkt ins Onboarding neuer Mitarbeiter*innen mit aufnehmen, dass man ein familienfreundliches Unternehmen ist. So kommen Bemerkungen, warum man um 15 Uhr schon gehe, gar nicht erst auf.

Immer mehr Bewerbungen von Eltern

Für die Zukunft haben wir noch viele weitere Ideen im Kopf. Eine Bedarfsnanny im Büro, die bei Kitaschließung flexibel gebucht werden kann oder auch einen Zuschuss zum*r Babysitter*in bei beruflichen Abendveranstaltungen. Grenzen gibt es keine – nur das Ziel, es allen Mitarbeiter*innen zu ermöglichen, sich beruflich so zu verwirklichen, wie es jede*r individuell möchte. Wir bekommen auch immer mehr Bewerbungen von Eltern, für die unser Modell ein echter Gamechanger ist.

Foto: CODE University of Applied Sciences

Mittlerweile ist meine Tochter übrigens acht Monate alt und mittwochs und freitags oft mit mir im Büro. Selbstverständlich ist es teilweise unfassbar anstrengend und läuft nicht jeden Tag so romantisch und perfekt, wie ich es mir in der Theorie vorgestellt habe. Ich arbeite oft um fünf Uhr morgens, wenn alle noch schlafen und brauche viel Verständnis von meinem Team. Aber ich fühle mich zugehörig und nicht blockiert. Auch Meeting-Teilnahmen sind samt Baby machbar. Wenn sie mal weint, dann gehe ich eben kurz raus und jemand anderes macht Notizen. Letztens hatten wir eine „Chinese Culture Night“ auf dem Campus, bei der sie mit dabei war und später in der Trage schlief.

Mein neuer Vertrag inklusive Beförderung lag übrigens pünktlich einen Tag vor dem Mutterschutz auf meinem Schreibtisch – ich hoffe sehr, dass bei noch wesentlich mehr Arbeitgeber*innen ein Umdenken stattfindet und Frauen endlich nicht mehr für Gleichberechtigung im Job kämpfen müssen.

Unsere Communityautorin Britta Kiwit findet ihr unter anderem auch auf Instagram.

Wir haben eine eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei

  1. Es sind die Gedanken einer Mutter, einer jeden Mutter. Es zerreißt einem das Herz und jeder kann mitfühlen. Ich wünsche uns allen, dass es bald vorbei ist und wir wieder das “normale Leben “genießen können.

  2. Seit meinem Studium beschäftige ich mich damit, wie der Arbeitsmarkt familienfreundlicher werden kann und Muttersein, Familienarbeit und Fürsorgearbeit stärker anerkannt wird. Mir sind beim Lesen dieses Artikels vor Freude fast ein bisschen die Tränen gekommen. Ich freue mich riesig zu hören, dass Ihr Mann und die männlichen Kollegen Sie dabei unterstützt haben. Es sind die Frauen von heute, die einen neuen Weg suchen, gehen, vorleben und damit in die Gesellschaft integrieren. Ich finde es wichtig, dass Frauen, die Mama-sein und Beruf nicht parallel und gleichzeitig stemmen können oder wollen, sondern lieber nacheinander leben möchten, ebenso die Möglichkeit haben, neue Wege und Ideen zu entwickeln und dabei trotzdem nicht geringer geachtet oder wahrgenommen werden. Familie, Beruf und dann auch noch Karriere gleichzeitig voranzutreiben kann kräftemäßig nicht jede(r) stemmen und eine Hochschule ist zusätzlich ein begünstigender Faktor und Arbeitgeber, der anderen Unternehmen ein Vorbild sein kann und damit zeigt: und es geht doch!

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