Brauchen wir sie ?
„I am my journey“ – sagt Julia Kristeva, eine der prominentesten Intellektuellen Frankreichs. Sie ist Philosophin, Psychoanalytikerin, Schriftstellerin, Linguistin.
Das Zitat ist nicht einfach zu übersetzen – möglicherweise „Eine Reise zu mir selber“; eine Identitätssuche. Identität ist das, was unsere Persönlichkeit als Mensch zum großen Teil ausmacht. Und so ist es mit Nationen. Wenn man auf der Couch beim Analytiker landet, dann hat man oft seine Identität verloren, man ist verletzt und vernichtet. Es ist von größter Wichtigkeit diesen Menschen zu helfen, ihre Identität wieder zu finden und zu definieren; männlich, weiblich, Jude, Moslem, Christ, homosexuell, heterosexuell und so weiter.
Manchmal kann eine nationale Identität auch verloren gehen und irregeleitet werden, und so zum Fanatismus und zu barbarischen Auswüchsen entarten. Europa, in der Mehrheit seiner Bevölkerung hat es geschafft, den Verlust der menschlichen Identität durch die Geschehnisse im 20. Jahrhundert zu hinterfragen, die Barbarei in Frage zu stellen und wieder zu sich selbst zu finden. Wir sind, auf unserem Kontinent, eine Sammlung vieler Identitäten. Wir sollten aber zu einem Verbund finden, der aus vielen Nationen besteht, in denen aber Respekt und Anerkennung für die anderen herrschen. Wir müssen die Einzigartigkeit der verschiedenen Länder herausstellen und ihnen helfen, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zu finden. Sich selbst respektieren, ob Individuum oder Nation, wirkt gegen Depression, Niedergeschlagenheit und Apathie, wenn es nicht in Arroganz ausartet. Wenn man sich als Nation respektiert, dann ist der Weg frei, um eine europäische Identität zu schaffen, die heterogen sein darf.
Das verbindende Glied unter den Nationen muss die Europäische Kultur sein. Unsere Kultur, die auf griechisch-jüdischen-christlichen Traditionen basiert, wird gespeist von der Philosophie Platons, die besagt, dass jede Idee und jeder Wert durch Dialog entsteht. Dieser Dialog hat als Aufgabe Brücken zu bauen; interdisziplinäre Brücken, die humanistisch ausgerichtet sind, und Religion, Literatur, Kunst, Soziologie und Philosophie umfasst. Im besten Falle lehrt uns der Dialog Fragen zu stellen, und Traditionen zu verstehen. Er lehrt uns Verschiedenheit zu akzeptieren, und Gemeinsamkeit zu suchen. Eine humanistisch ausgerichtete Sichtweise muss ihren Platz auch in Politik und Wirtschaft wieder einnehmen.
Wir sind aufgefordert Diversität anzuerkennen und gelichzeitig das Bewusstsein für eine verbindende europäische Kultur zu schärfen. Julia Kristeva fordert eine Art Marshall Plan.
Vielzitiert, auch wenn etwas altmodisch anmutend „United we stand, divided we fall“ von George Pope Morris, zurückgehend auf den Ausspruch von Aesop, hat mehr denn je Aktualität in Europa. Das, was uns verbindet ist die Europäische Kultur – wir sollten sie hochhalten!
Julia Kalmund, Juni 2017
Street Philosophy steht für Dialog und vor allem für die Brücken, die durch Humanismus entstehen.