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Mehr Geld vom Staat für gute Kitas: Was würden die Kinder damit machen?

Mit dem „Gute-Kita-Gesetz“ der Familienministerin Franziska Giffey will die Bundesregierung die Qualität der Kitas verbessern und grundsätzlich die Betreuungsmöglichkeiten in Deutschland verbessern. Warum werden die Bedürfnisse der Kinder dabei weitgehend ignoriert?

Kinder, haltet das Land wettbewerbsfähig!

Neulich – ich recherchierte zum Thema Kitakrise – las ich einen Artikel über den Vorstoß der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen zum Ausbau der Kinderkrippen 2007. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert von der Leyen wie folgt: „Wir wissen, dass jedes dritte Kind einen Migrationshintergrund hat. Und am Anfang der Bildungskarrieren entscheidet sich, ob auch diese Kinder in den nächsten Jahrzehnten in der Lage sind, unser Land wettbewerbsfähig zu halten.” Mit diesem Argument verteidigte die Familienministerin ihre Vision, dass sich 2013 circa 35 Prozent der Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr in professioneller Betreuung befinden. Nach anfänglichem Entsetzen ob der Wortwahl fand ich die Aussage eigentlich ganz sympathisch – versuchte sie wenigstens nicht, wie so viele andere Aussagen zum Thema Kinderkrippe, den Eindruck zu erwecken, man tue das doch alles für die Kinder.

Dass das Wohl gerade kleiner Kinder nicht im Fokus der deutschen Kita-Politik steht, wurde spätestens deutlich, als die Nubbek-Studie 2012 einer absurd großen Mehrheit deutscher Kitas schlechte pädagogische Qualität attestierte und gleich im Folgejahr die Kitaplatzgarantie für Kinder ab einem Jahr in Kraft trat. Frei nach dem Motto: „Unsere Kitas sind zwar für kleine Kinder nicht besonders gut, aber hingehen sollen sie bitte trotzdem, und wenn es geht, gleich mit einem Jahr.” Wer diese Interpretation übertrieben findet, freut sich wahrscheinlich über das gerade in Kraft getretene, 5,5 Milliarden schwere „Gute-Kita-Gesetz“ von Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Dass der Bund sich angesichts der angespannten Kita-Situation einschaltet, ist durchaus ein Grund zur Freude. Leider fehlen dem Gesetz klare Richtlinien für die Verwendung der Gelder. Das ist fatal, denn es wird dazu führen, dass viele Länder das Gute-Kita-Gesetz zu einem Gesetz für die Eltern machen. Und natürlich für die Wirtschaft und den Staat. Kurzum: für Erwachsene.

Warum kein Gesetz für die Kinder?

Warum werden Expert*innen nicht gefragt? Weil deren Antworten unbequem sind. Was kleine Kinder brauchen, aus Sicht von Expert*innen, ist erst einmal gar keine Kita, sondern eine Betreuung durch die Eltern, falls diese Lust dazu haben und es sich leisten können. Trifft Ersteres zu, aber Zweiteres nicht, sollte der Staat helfen. So forderten im Mai 2017 sieben renommierte Psychotherapeut*innen und Neurobiolog*innen ein Grundgehalt für Eltern in den ersten drei Lebensjahren des Kindes, damit diese ihre Kleinkinder selbst betreuen können. Die Stellungnahme wurde zum „Tag des Kindes“ am 1. Juni vom Verband Familienarbeit veröffentlicht und unter anderem von Rainer Böhm, Leitender Arzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bielefeld-Bethel, und dem Neurobiologen Gerald Hüther unterzeichnet.

Die dazugehörige Pressemitteilung wurde von keiner großen Zeitung beachtet. Die Botschaft von denen, die sich auskennen, war schlicht nicht erwünscht. Unangenehme Fragen könnten aufkommen, wie etwa: Warum machen wir das alles eigentlich? Und warum machen wir es dann nicht wenigstens vernünftig? Schon 2013 zitierte die taz die Psycholog*innen und Bindungsforscher*innen Karin und Klaus Grossmann mit der berechtigten Frage: „Warum fragen die Politiker eigentlich nie mal einen Wissenschaftler um Rat?“ Die Antwort ist heute wie damals: weil sie die Antworten schlicht nicht hören wollen. Weil die Antworten – wie Kinder – nicht ins System passen.

Gebührenfreiheit statt Geborgenheit: Wem nützt das Gesetz?

Gefragt, das muss man fairerweise sagen, wurden vor der Verabschiedung des Gute-Kita-Gesetzes durchaus Sachverständige – im Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Liest man sich die Liste der konsultierten Expert*innen durch, wird allerdings klar, dass die Ebenen, auf denen der Gesetzentwurf der Kritik geöffnet wurde, von vornherein klar abgesteckt waren: Da stehen Vertreter*innen von Organisationen wie dem Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK), dem Verband Familienarbeit e. V., dem Bundesverband für Kindertagespflege e. V., der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Auch eine Erziehungswissenschaftlerin. Aber was ist mit denen, um die es eigentlich geht? Wo ist die Deutsche Liga für das Kind? Wo sind Expert*innen für frühkindliche Entwicklung, wo sind Bindungsforscher*innen und Psycholog*innen wie die Grossmanns?

Ein schwacher Trost: Es hätte wohl sowieso nichts geändert, was diese Fürsprecher*innen der Kinder zu sagen gehabt hätten. Die Kritik der Kommission zu fehlenden Vorgaben in puncto Betreuungschlüssel wurde jedenfalls genauso ignoriert wie die der Opposition. Stattdessen steht es den Ländern nun frei, das vom Bund zugeteilte Geld zu nutzen, um Eltern von Kitagebühren zu befreien – wohlgemerkt alle Eltern, nicht nur diejenigen mit wenig Geld. Auch schönere Räume und längere Öffnungszeiten stehen auf der Liste der vorgeschlagenen Maßnahmen. Das ist eine Unverschämtheit – welches Kleinkind träumt davon, endlich länger in der Kita bleiben zu dürfen?

Immerhin: Mit dem neuen Programm „Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher“ macht das Ministerium von Frau Giffey einen Schritt in die richtige Richtung. Denn nur, wenn wir genügend Fachpersonal haben, können endlich kindgerechte Betreuungsschlüssel eingeführt werden.

Kinder sind in der Familie mitgemeint

Das Gute-Kita-Gesetz zeigt einmal mehr, dass kleine Kinder im politischen Diskurs keine echte Stimme haben. Diejenigen, die für sie sprechen, sind meist keine Politiker*innen, die wissen, wann man brüllen muss, sondern Wissenschaftler*innen, die noch glauben, dass Fakten und Argumente zählen. Vielleicht beginnt es schon damit, dass das zuständige Ministerium eben „Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend” heißt. Kinder sind in der Familie sozusagen mitgemeint. Aber Familien haben ihre eigenen Interessen und Sachzwänge. Werden Gesetze verabschiedet, die Kinder betreffen, brauchen diese neutrale Fürsprecher*innen, die für die Rechte, die Freiheit, ja, die Kindheit von Kindern einstehen. Wir brauchen ein Ministerium für Kinder, das nur aus Sicht der Kinder basierend auf aktueller Forschung argumentiert, das keinerlei wirtschaftlichen oder sonstwie von Lobbyarbeit geprägten Ziele verfolgen darf. Und das ein relevantes Mitspracherecht bei Gesetzen wie dem Gute-Kita-Gesetz haben muss.

In eigener Sache

Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!

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