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„Ein Kaiserschnitt darf einem Krankenhaus nicht das Dreifache einbringen wie eine spontane Geburt“

Hebammen geben ihren Beruf auf, Schwangere und Gebärende werden unzureichend betreut. Wir haben mit der Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink darüber gesprochen, wie politische Lösungen für die Geburtshilfe aussehen können.

Die medizinische Versorgung in Deutschland ist gut. Doch gerade werdende Eltern haben in den letzten Jahren immer stärker erlebt, dass in der Geburtshilfe eine andere Entwicklung geschieht: In Berlin zum Beispiel häufen sich die Berichte von Frauen in Wehen, die von der Klinik wegen Überlastung abgewiesen wurden mit der Bitte, zu einer anderen zu fahren. Im Juli, so berichtet der RBB, gab es in einer Geburtsklinik in Berlin-Friedrichshain an jedem zweiten Tag mehr potentielle Patientinnen, als die Klinik aufnehmen konnte. Auf den Geburtsstationen selbst klagen Hebammen darüber, zu viele Geburten gleichzeitig betreuen zu müssen, die werdenden Eltern fühlen sich unter der Geburt allein gelassen, weil die Hebamme gerade in einem anderen Kreißsaal ist.

In der Region um Trier arbeitet nur noch eine Beleghebamme, in Bremen gaben die letzten drei Beleghebammen im Sommer 2017 auf. Seitdem es in Sylt seit 2014 keine Geburtsstation mehr gibt, sollen Schwangere 14 Tage vor Geburtstermin in ein „Boardinghouse“ aufs Festland ziehen, um schnell genug in einer Klinik zu sein – doch insbesondere Frauen, die schon Mütter sind, finden das Konzept nicht praxistauglich. Lange Anfahrtswege zu Kliniken bergen für Mütter und Kinder das Risiko, ohne professionelle Unterstützung gebären zu müssen. In Schweden, wo die Situation für Schwangere noch gravierender ist, schulen Hebammen die werdenden Eltern nun vorab, wie sie mit einer Geburt im Auto am besten umgehen.

Doch wie sehen politische Lösungen für eine gute Geburtshilfe aus? Hebammen haben Jahr für Jahr auf steigenden Haftpflichtprämien hingewiesen, die ihre Arbeit ökonomisch kaum noch möglich machte – dafür gab es zumindest kurzfristige Lösungen. Doch was es tatsächlich bedeutet, eine Geburtshilfe zu organisieren, die Schwangere, Eltern und Kinder gut betreut und für Hebammen als Berufsfeld so gestaltet ist, dass sie den Beruf weiter ausüben können, ist komplex.


Maria Klein-Schmeink ist gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion. (Foto-Quelle: Maria Klein-Schmeink)

Die Grüne Bundestagsfraktion hat schon im März 2017 einen umfassenden Beschluss zur „guten Geburtshilfe“ vorgelegt, die nicht nur die Situation im Hebammen-Beruf thematisiert, sondern auch Aspekte wie regionale Versorgung und den Anstieg der Kaiserschnittraten beinhaltet. Wir haben Maria Klein-Schmeink, Abgeordnete und gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, zum Interview getroffen, und mit ihr darüber gesprochen, welche Lösungsansätze es gibt, damit „eine der prägendsten Erfahrungen im Leben“, wie es in dem Papier der Grünen heißt, zu einer möglichst guten Erfahrung wird – für alle Beteiligten.

Die Grüne Bundestagsfraktion hat einen ausführlichen Beschluss für die Geburtshilfe in Deutschland vorgelegt. Heißt das, es ist mit einer besseren Situation allein für Hebammen noch nicht getan?

„Die Hebammen zu stärken ist ein wichtiger Teil. Gute, verzahnte Geburtshilfe ist aber etwas, bei dem man auch in den Blick nehmen muss, wie die Zusammenarbeit zwischen der stationären und ambulanten Geburtshilfe ist. Dazu gehört zum Beispiel, wie die Zusammenarbeit der Geburtshilfe im Krankenhaus mit der Vorsorge und Betreuung im Wochenbett abläuft. Ich finde es interessant, dass es in einigen Regionen gute neue Ansätze gibt, wo das Gegeneinander der Ärztinnen und Ärzte und Hebammen aufgelöst wird und man wirklich gemeinschaftlich an einer guten Betreuung sowie Unterstützung der Frauen vor, unter und nach der Geburt arbeitet. Bei mir im Kreis Coesfeld, gibt es beispielsweise ein Hebammenzentrum an der Pädiatrie und die machen gemeinsame Fortbildungen, um beiderseits die Tendenz Richtung Kaiserschnittgeburt abzumildern und das Vertrauen in die natürliche Geburt wieder zu stärken. Es geht sowohl die Hebammen an – also ,Ab wann muss ich mir Sorgen machen?‘ – aber auch die Ärzte, damit sie den Schritt zum Kaiserschnitt nicht vorschnell aus übertriebener Vorsicht oder aus Zeitdruck machen und sehen können, wie sich der Geburtsvorgang entstressen lässt. Ich fand das faszinierend zu sehen.“

Woher kam die Initiative?

„Das kam zum einen vom Chef der Geburtshilfe dort, denn er hatte Schwierigkeiten, Hebammen zu finden. Er ist aber selbst auch jemand, der die Vorteile  der spontanen Geburt betont und sagt, es kann eigentlich nicht sein, dass die Kaiserschnittgeburt zur Regel wird – wovon man bei 30 Prozent und mehr ja auch schon reden muss. Also hat er gemerkt, dass sowohl bei seinem Personal als auch bei den freiberuflichen Hebammen das Selbstvertrauen nicht da war und viele aus Angst gehandelt haben. Daher haben sie sich gemeinsam vorgenommen: Können wir nicht etwas an der Kaiserschnittrate machen? Was können wir selbst dafür tun? Welche Strukturen bei uns führen vielleicht dazu, dass wir vermehrt Kaiserschnitte haben? So haben sie in diesem Krankenhaus nach relativ kurzer Zeit eine Senkung der Rate hinbekommen. Er hat sich dann auch gegenüber seinem Krankenhausdirektor dafür stark gemacht, denn es ist sehr viel teurer, in dieser Art spontane Geburten zu fördern – aber er setzt es erfolgreich durch.“

Was könnten Sie denn von politischer Seite aus tun, um so etwas zu unterstützen?

„Wir müssen unterstützen, dass die spontane Geburt – egal ob im Krankenhaus, im Geburtshaus oder Zuhause – ermöglicht wird und die individuelle Begleitung, die dafür nötig ist, auch gewährleistet wird und die Honorare entsprechend sind.“

Warum werden Kaiserschnitte denn besser honoriert?

„Der Aufwand, der für eine OP angesetzt wird, wird in den DRGs (Anmerkung der Redaktion Diagnosis Related Groups, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) besser abgebildet und vergütet. Das muss für natürliche Geburten genauso geschehen, was bislang nicht der Fall ist. Die eine Sache, die eine natürliche Geburt teuer macht, ist die nicht abschätzbare Dauer. Wenn ich einen geplanten Kaiserschnitt habe, kann ich die Personalplanung darauf abstimmen, ich habe alles unter Kontrolle, kann Zeitkorridore und Budgets der Belegschaft einplanen – bei einer natürlichen Geburt kann ich gar nichts vorhersagen und im Zweifel habe ich dann höhere Kosten, weil ich das Personal vorhalten muss, ohne sagen zu können, ob es nötig ist. Da müssen wir etwas tun, damit Kliniken genug Hebammen vor Ort haben können.“

„Wenn ich einen geplanten Kaiserschnitt habe, kann ich die Personalplanung darauf abstimmen, ich habe alles unter Kontrolle, kann Zeitkorridore und Budgets der Belegschaft einplanen – bei einer natürlichen Geburt kann ich gar nichts vorhersagen und im Zweifel habe ich dann höhere Kosten.“

Wie bekommt man den wirtschaftlichen Druck aus den Kliniken raus? Diese ökonomischen Erwägungen überschatten ja die Geburtshilfe.

„Wenn wir für die Geburtshilfe extra Krankenhausvergütungen möglich machen, die eine Personalbemessung von 1:1 sichern, dann hätte man schon mal einen wichtigen Faktor. Das muss abrechenbar sein und die Vorhaltekosten müssen auch mit abgerechnet werden können. Das werden wir politisch tun müssen. Es kann auf keinen Fall angehen, dass eine Kaiserschnittgeburt das Dreifache bringt für das Krankenhaus, aber nicht den dreifachen Aufwand bedeutet und besser planbar ist. Man kann sich den strukturellen Sog vorstellen, der so entsteht. Wir müssen sicherstellen, dass die Rahmenbedingungen durch vernünftige Abrechnungsmöglichkeiten besser werden, flankiert durch ein Personalbemessungssystem, das sicherstellt, dass wir eine 1:1-Geburtsbegleitung haben. Man kann nicht einfach nur eine Pauschale erhöhen, damit kann man nicht sicherstellen, dass das Personal da ist.“

In Deutschland steigen die Geburtenraten wieder. (Bild: Kelly Sikkema | unsplash)

Für die steigenden Haftpflichtprämien der Hebammen gab es eine Übergangslösung. Wie geht es nun weiter?

„Für die hohen Haftpflichtprämien, die für die Geburtshilfe insgesamt gelten, müssen wir eine neue Lösung finden. Wir schlagen etwas Ähnliches wie bei der Unfallversicherung vor, so dass man einen öffentlich-rechtlichen Rahmen hat und keinen privatrechtlichen, der durch private Versicherungsverträge läuft. Denn dafür ist die Fallzahl zu klein. Denn wenn ein Risiko eingetreten ist, dann sind lebenslange Rentenzahlungen nötig, und das treibt die Kosten in die Höhe.“

Es ist aktuell so, dass Frauen ab dem ersten positiven Schwangerschaftstest nach Hebammen und guter Begleitung suchen – und schon jetzt oft keine finden. Das Thema ist seit fast zehn Jahren virulent, die erste große Petition an den Bundestag war 2010. Wo sehen Sie aktuell die Probleme?

„Man muss verschiedene Seiten betrachten: Wir haben so viele Hebammen, wie wir zuvor nicht hatten. Es ist nicht so, dass Frauen den Beruf nicht ausüben wollen, sie bleiben aber nicht im Beruf drin, weil die Bedingungen nicht stimmen. Und das ist der Punkt. Die Anzahl der Geburten im Geburtshaus oder Zuhause sind ja sehr klein. Wir müssen das gesamte Setting in den Blick nehmen. Die Entgelte der Hebammen auch in der vorgeburtlichen Begleitung, die Anforderungen, das Beleghebammensystem. Wir hatten zunächst einen Rückgang von Geburten. Da sind die Krankenhäuser dazu übergegangen, mit Beleghebammen zu arbeiten und Hebammen nicht mehr fest anzustellen. Dann mussten die Hebammen die Haftpflichten selbst übernehmen und sich damit arrangieren, ob es mal weniger oder mal mehr Geburten gab – das wirtschaftliche Risiko wurde auf sie abgewälzt. In Bayern bedeutet das, dass ein Drittel aller Geburten durch Beleghebammen begleitet wird. Das ist sehr unterschiedlich in den Regionen. Aber wir können feststellen, dass sich immer mehr Hebammen aus der eigentlichen Geburtshilfe verabschiedet haben, weil die Bedingungen nicht tragen. Deshalb muss es zum Standard werden, dass die Zeit für eine 1:1-Geburtsbegleitung da ist. Und wir müssen sicherstellen, dass es in den Regionen, in denen es wenige Geburten gibt, die Hebammen trotzdem von ihrem Beruf leben können und wir Sicherstellungszuschläge zahlen. Denn wenn ich nicht will, dass werdende Eltern weite Strecken fahren müssen, um überhaupt eine Hebamme zu finden, dann muss ich dafür sorgen, dass die Hebamme davon leben kann.“

„Wir müssen sicherstellen, dass es in den Regionen, in denen es wenige Geburten gibt, die Hebammen trotzdem von ihrem Beruf leben können.“

Aber in den letzten vier Jahren ist für die Hebammen kaum etwas passiert.

„Es gab wenigstens eine kurzfristige Lösung bei den Haftpflichtprämien, aber man sieht deutlich, dass das nicht durchgreifend war, denn die Haftpflichtprämien sind erneut massiv gestiegen. Der Hebammenberuf ist einer, der einem sehr viel abverlangt. Da ziehen sich immer mehr zurück, denn sie sagen: Das was für mich dabei rauskommt und das, was ich meiner Familie zumuten muss, das steht in keinem Verhältnis und ich mache lieber eine andere Arbeit. Insofern haben wir eine Abstimmung mit den Füßen aus dem Beruf.“

„Der Hebammenberuf ist einer, der einem sehr viel abverlangt.“

Was muss jetzt getan werden?

„Wir müssen den Beruf stärken. Das Problem ist, wir haben mittlerweile immer mehr Regionen, in denen Frauen keine Geburtsstation in der Nähe finden, die sie aufnimmt. Sie müssen unter der Geburt schauen, wo kann ich überhaupt hin. Sie finden keine Nachsorge. Auch da ist die Honorarstruktur nicht adäquat und sie muss angepasst werden. Wir müssen in der nächsten Wahlperiode an alle Phasen der Geburt denken, also nicht nur, was brauchen die Hebammen – das natürlich zu vorderst – sondern die gesamte Geburtshilfe. Man muss den Blick weiten bis hin zur Pädiatrie, denn wir haben auch zu wenige kindermedizinische Abteilungen.“


Schwangere haben in Deutschland einen Anspruch auf Hebammen-Begleitung. (Kzenon – Depositphotos)

Was sind denn Lösungsansätze für die Regionen, um ortsnahe Geburtshilfe sicherstellen zu können?

„Wir brauchen eine regionale Versorgungsplanung, sodass wir sicherstellen können, dass Hebammen tätig sind und tätig sein können, in dem sie einen zusätzlichen Sicherstellungszuschlag bekommen, um in Regionen mit geringen Fallzahlen tätig sein zu können.“

Mehr und mehr Geburtsstationen schließen. Was halten Sie denn für zumutbar, wie viele Kilometer Familien fahren sollten?

„Ich glaube die Kilometerzahl ist nicht das alleinige Kriterium, es ist wie bei der Notfallversorgung auch: Die Zeit, die ich brauche, bis ich die Einrichtung erreicht habe, ist das Wichtige. Das müssen wir zum Kriterium machen. Viele Krankenhäuser ziehen sich zurück, weil es sich nicht rechnet. Da müssen wir neue Anreize schaffen, dass die Geburtshilfe für die Krankenhäuser zur Grundversorgung zählt, und entsprechende Zuschläge zahlen. Wir machen überall die Erfahrung, dass dort, wo es Zuschläge gibt, sich Angebote halten oder neu etablieren können. Es ist ja zum Teil verrückt: Da kann ich in einem Krankenhaus komplexe gendiagnostische Dinge machen, aber das einfache Leben auf die Welt bringen wird nicht begleitet. Das ist irre.“

Wird das in jeder Region klappen?

„Wo man natürlich einen Spagat hat – und da wird man an bestimmten Stellen nicht drum rumkommen – ist, wenn in Regionen so wenige Geburten sind, dass auch die Expertise nicht mehr da ist, um sie gut zu begleiten. Ich glaube fast jede Frau würde, wenn sie sich umschaut, wo sie hin möchte, nach mehreren Kriterien gucken. Nämlich: Wie erreichbar ist die Klinik? Aber auch: Wie gut ist sie? Wie gut ist meine Betreuung? Wenn man Zweitgebärende ist, muss man auch noch schauen: Wie passt das zu meiner Familie? Wie kriege ich das hin? Wer erstmalig gebärt und einen Partner hat, der 60 Kilometer mit fahren kann, weil man das Geburtshaus überzeugend fand – dann ist das bei einer weiteren Geburt schon ganz anders. Von daher wird man auch schon unterschiedliche Lösungen suchen müssen.“


Für Familien, die schon Kinder haben, ist eine wohnortnahe Geburtshilfe umso wichtiger. (Bild: Carly Rae Hobbins | Unsplash)

In den Debatten um die Geburtshilfe dominieren vor allem die Kosten und das Thema Sicherheit. Aber sehr viele Frauen erleben bei der Geburt, dass sie nicht selbstbestimmt gebären können, sie viele Eingriffe erleben, vielleicht Gewalt unter der Geburt. Wie realistisch ist es, eine 1:1-Betreuung hinzubekommen und Faktoren wie, „Wie selbstbestimmt ist meine Geburt? Fühle ich mich sicher? Wie wohl fühle ich mich?“ in ein neues Konzept für die Geburtshilfe zu integrieren?

„Ich denke jede Form der gesundheitlichen Unterstützung, Hilfe, Therapie – gerade die Geburt – ist etwas, das mit Vertrauen zu tun hat. Die Geburt ist eine extreme Situation. Ob Gewalt erlebt wird, hat viel mit der Konstellation und Situation zu tun, in der sich alle Beteiligten befinden. Wird Druck erzeugt, nicht vermittelt, warum ein Eingriff erfolgt?“

Aber deswegen wollen doch viele Frauen beim zweiten Kind mit der Beleghebamme gebären: Damit das Vertrauen da ist.

„Deswegen heben wir in unserem Konzept den Hebammen-geführten Kreißsaal so stark hervor, denn wenn die Hebammen-Fachkunde den Prozess leitet, und nicht der ärztliche Blick, der vor allem für Risiken da ist, entsteht eine andere Atmosphäre in den Kliniken. Hebammen-geführte Kreißsäle bringen einfach eine andere Stimmung mit. Es gibt von diesen Kreißsälen nur 16 in Deutschland. Die entstanden vor allem aus dem kreativen Umgang mit Notlagen – haben aber gezeigt, wie wertvoll sie sein können.“

Wie könnte man diese Kreißsäle fördern?

„In dem man zum Beispiel Landesprogramme auflegt, wo man solche besonderen Versorgungsmodelle fördert. So wie wir bundesweit Modellvorhaben und Bundesprogramme zum Beispiel für mehr Hygiene durch Zuschläge gefördert haben, könnte man sich solche Programme auch für solche Kreißsäle vorstellen. Und das hieße aber: Ich brauche einen Aktionsplan zur Stärkung der natürlichen Geburt.“

Gibt es noch weitere politische Maßnahmen um die Kaiserschnittrate zu senken?

„Es heißt auf jeden Fall, dass wir die Fehlanreize, die es heute im Krankenhausentgelt gibt, überprüfen. Es kann nicht sein, dass man letztendlich aus ökonomischen Gründen eher den Anreiz hat, einen Kaiserschnitt zu machen, als auf die spontane Geburt zu setzen. Das heißt, diese Form der Geburt muss Aufschläge erhalten, damit es nicht aus Kostengründen dazu führt, dass man diesen Weg nicht fördert oder sogar vermeidet. Zusätzlich braucht man etwas wie ein Qualitätsmonitoring, wo man schaut: Wo steht eigentlich eine Klinik? Schöpft sie ihre Möglichkeiten aus, um Geburten zu einer spontanen Geburt zu begleiten? Wie ist die Aufklärung der Frauen? Was ist das Risiko einer Kaiserschnittgeburt? Was ist mein Spielraum bei einer besonderen Geburt? Hab ich als Hebamme das Zutrauen, dass nicht doch eine spontane Geburt möglich ist? Kommt die Entscheidung für eine Sectio zu schnell? Da wird man keine politischen Vorgaben machen können.“

„Es kann nicht sein, dass man letztendlich aus ökonomischen Gründen eher den Anreiz hat, einen Kaiserschnitt zu machen, als auf die spontane Geburt zu setzen.“

Sie fordern in ihrem Konzept, dass Kliniken die Kaiserschnittraten veröffentlichen oder auch die Maßnahmen, die sie ergreifen, um diese zu senken.

„Ja, denn aus den Zahlen, die wir heute sehen, müssen wir ableiten, dass nicht alle Kaiserschnitte aus medizinischen Gründen notwendig gewesen wären, sondern, dass wir so unterschiedliche Streuungen je nach Klinik haben, selbst wenn man die Altersstruktur oder die Risikogeburten in diesen Kliniken berücksichtigt. Da variiert es in den Kliniken zwischen 13 und 61 Prozent. 1991 lag die Kaiserschnittrate in Deutschland noch bei 15 Prozent, mittlerweile entbindet jede dritte Frau so.“

Die Ausbildung der Hebammen soll ab 2020 akademisiert werden. Wie soll das aussehen und was verspricht man sich davon?

„Es gibt in der Tat diese EU-Vorgabe. Wir sind in Deutschland aber tatsächlich nur wenig darauf vorbereitet. Es gibt drei Jahre vorher noch keinen abgestimmten Plan. Der Deutsche Hebammenverband hat gute Vorschläge gemacht. Es wird in der nächsten Wahlperiode darum gehen: Wie kriegen wir das hin? Wichtig dabei wird sein, wie wir das ganze Praxiswissen und Fachwissen der Hebammen, das vorhanden ist, in ein akademisches Programm mit rüberkriegen. Es hilft einem ja nicht, wenn man akademisch-theoretisch einen Überblick über die Geburtshilfe hat, aber die Praxis nicht mit drin hat. Deswegen ist es wichtig, eine Konzeption der dualen Ausbildung mit voranzubringen. Wir haben uns vorgenommen, dass sehr schnell in der neuen Wahlperiode anzugehen und waren überrascht, wie wenige Überlegungen es dazu im Gesundheitsministerium gibt. Oft gibt es Bund-Länder-Arbeitsgruppen, die so etwas vorbereiten. Aber die gibt es noch nicht.“

Wird die Akademisierung den Beruf aufwerten können?

„Ja, auf jeden Fall. Die Hebammen haben als einer der ganz wenigen Gesundheitsberufe einen eigenen heilberuflichen Status und einen beruflichen Auftrag. Wenn man sich das anschaut, an welchem Stand die Geburtshilfe ist, macht es Sinn, den akademischen Weg zu gehen, es aber als dualen Weg auszugestalten. Wichtig ist dabei Dozentinnen und Dozenten zu gewinnen, die über Praxiserfahrung verfügen.“

Was glauben Sie, wenn das nun alles so klappt, wie lange es dauert bis Bedarf und Angebot wieder zueinander finden und alle Eltern gut versorgt sind?

„Das ist regional sehr unterschiedlich. Man muss mit den Ländern, die für die Versorgungsplanung im stationären Bereich zuständig sind, sehr schnell Arbeitsgruppen ansetzen und wir  müssen in einer Krankenhausentgeltsreform die Geburtshilfe besser abbilden. Das muss schnell passieren. Denn in etlichen Regionen gibt es richtige Versorgungsengpässe.“

Hat man den Bedarf in der Geburtshilfe auf politischer Ebene unterschätzt?

„Teilweise. Es gibt wenig Neigung, sektorübergreifend entlang von Versorgungsproblemen zu denken. Deswegen ist das Besondere am Konzept der Grünen für die Geburtshilfe, dass wir so viele unterschiedliche Aspekte mit bedacht haben. So etwas entsteht hier im Bundestag normalerweise als Endprodukt einer Kommission, die vier Jahre tagt – mindestens aber zwei. Von daher wollen wir an dieser Stelle schon den Weg abkürzen und Druck machen. Ich glaube schon, dass die anderen Fraktionen das deutlich unterschätzt haben und nur die Haftpflichtproblematik gesehen haben. Aber ist  viel zu kurz gedacht.“

Wie kam es zu dieser Fehleinschätzung?

„Das schwerste Versäumnis liegt in schwarz-gelben Zeit. Da hat man das Problem komplett ausgesessen. Schon damals haben wir durch kleine Anfragen immer wieder darauf hingewiesen, dass wir bei der Haftpflicht eine große Problematik haben, aber wir haben auch insgesamt gesagt: Wir brauchen einen verlässlichen Rahmen für die Hebammen bei der Bezahlung. Das hat das FDP-geführte Gesundheitsministerium komplett ignoriert. Vier Jahre mit einer komplett abweisenden Haltung … das war krass. Solche Dinge wirken sich ja immer versetzt aus. Aber auch jetzt in den letzten vier Jahren war Hermann Gröhe zu zögerlich. Das ist wirklich ein Versäumnis.“

Titelbild: depositphotos.com

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