Foto: Nicola Fioravanti | Unsplash

Die Ehe funktioniert nur mit sexueller Exklusivität? Warum ich als Poly-Frau heirate

Viele haben eine sehr starre Vorstellung davon, wie polyamore Menschen leben. Die Ehe gehört da oft nicht dazu – warum ich als Poly-Frau heirate.

Heiraten und poly leben widerspricht sich nicht

Manchmal ist mein Leben als Poly-Frau absurd. Die einen Menschen können nicht verstehen, dass ich nicht-monogam lebe, die andere sind verwundert, dass ich als Poly heirate – und das sogar kirchlich. Sie fragen sich, weshalb ich bei meinem Lebensstil, der offen lässt, wer in welcher Rolle in mein Leben treten darf, einem Menschen Treue schenke und diesem ein hoffentlich lebenslanges und, rechtlich gesehen, exklusives Versprechen gebe. Treue bedeutet da natürlich nicht sexuelle Exklusivität, sondern vielmehr das, was auch der Duden beschreibt: Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit und Hingabe. Hier mein Antwortversuch an die Skeptiker*innen.

Meine profanen Gründe

Heiraten bringt, auch wenn ich einiges politisch kritisiere, rechtliche und finanzielle Vorteile. Seit der Ehe für alle fällt es mir leichter, diese in Anspruch zu nehmen. Und trotzdem werde ich weiter gegen die reaktionäre Funktionsweise vor allem des Ehegattensplittings Stellung beziehen.

Meine klassischen Gründe

Ich liebe meinen Partner – von ganzem Herzen. Ich möchte mit all meiner Kraft dafür kämpfen, dass es bis an unser Lebensende so bleibt. Ich bin unendlich dankbar, dass er ähnlich empfindet. Uns das einander öffentlich zu bekunden und zu bekräftigen, in Anwesenheit und unterstützt durch Familie und Freund*innen ist für mich wichtig. Wir reden in der Poly-Welt so oft davon, wie wichtig unterstützende Netzwerke für gelingende Beziehungen sind. Für mich ist eine Hochzeit eine grandiose Möglichkeit meine Umgebung um Unterstützung für diese Beziehung zu bitten. Und gemeinsam Liebe und Beziehungen zu feiern! Natürlich ginge das auch ohne Hochzeit – aber es geht eben auch mit!

Außerdem bin ich religiös. Beheimatet in der evangelischen Kirche mit ihren  Riten und Traditionen – und mit all ihren Problemen. Für uns und unsere Beziehung um Gottes Segen zu bitten, berührt mich tief. Ihn zugesprochen zu bekommen, schenkt mir Kraft. Mein Poly-Leben ändert daran nichts, auch wenn ich es toll fände, wenn ich, so sich jemals entsprechende Beziehungen entwickeln sollten, auch für andere Beziehungen um diesen Segen bitten könnte. Aber wer weiß, was wir bis dahin erreichen können.

Meine persönliche Geschichte

Zu heiraten bedeutet für mich einen Rückgewinn von Autonomie – so absurd das für viele klingen mag. Es hat mit meiner Geschichte zu tun: Ich bin geschieden, mein Partner ebenfalls. Wir haben erlebt, dass die Ehe keine Garantie ist, ich in meinem Fall sogar, dass sie belastend für die Beziehung war. Mein damaliger Mann hat mich nach zehn Jahren Beziehung zum ersten Hochzeitstag verlassen, aus seinem Leben und der Wohnung geworfen. Ich war überfordert, verzweifelt und ausgeliefert. Ich erfuhr, dass es zum Führen einer Beziehung zwei braucht, zur Trennung aber nur die Entscheidung eine*n – und ich als die andere hilflos war und jeder Kontrolle über meine bis dahin gemeinsame Lebensplanung beraubt war.

Irgendwann habe ich mich erneut verliebt. Ich habe mich getraut, in eine neue Stadt zu ziehen, um diesem Herzensmenschen näher zu sein, mit ihm zusammenzuleben und nun heirate ich erneut. All diese Schritte haben mich Überwindung gekostet, mir Angst gemacht, mich aber auch mutiger gemacht. Mit jedem Schritt, für mich besonders aber mit der Heirat, gewann ich mehr Autonomie über mein Leben zurück. Weil ich mit jedem Schritt lerne, dass mein Ex mit seinem feigen Abgang nicht (mehr) darüber bestimmt, wie ich mich zu leben und lieben traue. Es schwingt noch ein kleiner letzter Rest Trotz darin mit – aber noch viel mehr Freiheit. Unser Pfarrer warnte uns im Traugespräch davor, dass das Leben nicht gut mit angezogener Handbremse zu meistern sei – sie zu lösen bedeutet für mich wortwörtlich mich zu trauen.

Dass ich heirate bedeutet nicht, …

… dass ich künftig nur noch diesen Menschen lieben werde.

… dass die Ehe der irgendwie geartete Idealzustand jeder Beziehung ist.

… dass die Ehe mit all ihren Vorstellungen und Traditionen unproblematisch
ist.

… dass unsere Ehe, wenn sich andere Beziehungen ähnlich vertiefen, als ein Privileg, das jede*r rechtlich nur mit einer Person teilen kann, im Weg stehen kann. (Aber sollte dieses Glück einem von uns tatsächlich nochmal passieren, werden wir einen sehr guten Grund haben, das hoffentlich zu meistern.)

… dass Beziehungen sich nicht verändern,  ja sogar enden können.

Es bedeutet viel mehr, dass ich voller Hoffnung und Zuversicht bin, mein weiteres Leben immer auch mit diesem wundervollen Mann zu gestalten!

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