Foto: Impact Dock

„Wir nutzen die Potenziale der Menschen, die aus aller Welt zu uns kommen, viel zu wenig“

Brücken bauen zwischen Zuwanderern und der Hamburger Arbeitswelt – genau das machen Yukiko Elisabeth Kobayashi und Alexa-Andrea Drichelt mit Impact Dock. Das Innovations-Netzwerk bringt Geflüchtete und Hamburger Unternehmen zusammen. Wie funktioniert das und was haben beide Seiten davon?

 

„Wir wollen nachhaltige
Integration möglich machen“

Was macht wirkliche Integration
möglich? Neben einem offenen Umgang miteinander sind das vor allem Bildung und
Arbeit, da sind sich die Gründerinnen vom Impact Dock Yukiko
Elisabeth Kobayashi und Alexa-Andrea Drichelt einig. Mit ihrem Innovations-Netzwerk bringen sie deshalb
Geflüchtete und Hamburger Unternehmer zusammen, die so voneinander
lernen und sich gegenseitig bereichern können.

Wie das genau funktioniert und
was sie antreibt, das hat uns Yukiko Elisabeth Kobayashi im Interview
erzählt.

Frau Kobayashi, Sie haben ein Cross-Mentoring-Programm gestartet, das
„qualifizierte Flüchtlinge“ mit Unternehmen in Hamburg zusammenbringt. Wie
genau muss man sich das vorstellen?

„Unser Ziel ist die nachhaltige Integration von Zuwanderern
in die Hamburger Arbeitswelt – dafür bauen wir Brücken zwischen qualifizierten
Zuwanderern und Key-Playern in Hamburger Unternehmen. Entscheidend ist, dass
wir vor Beginn des Cross-Mentoring-Prozesses für ein optimales Matching
zwischen den Mentoren und den Mentees sorgen – fachlich und menschlich
zugleich.

Was bedeutet in dem Fall „qualifiziert“? Was müssen die Geflüchteten
mitbringen, um in Ihrem Programm aufgenommen zu werden?

„Auf Seiten der Mentees nehmen Zuwanderer mit
Hochschulabschluss und Berufserfahrung teil oder Zuwanderer, die erfahrene
Fachkräfte sind. Vor Beginn des Prozesses führen wir mit allen Kandidaten
aufwendige Potenzialgespräche, in deren Rahmen wir uns ein differenziertes Bild
bezüglich des Potenzials und der Kompetenzen der Kandidaten
machen – zusätzlich arbeiten wir mit Referenzen, wie etwa von Deutschlehrern
oder Integrationskurs-Lehrern.“

Mit welchen Sprachkenntnissen kommen die Geflüchteten zu
Ihnen?

„Das Sprachniveau der Mentees ist bei Start des Prozesses in
der Regel bei mindestens A2, das heißt, die oder der Mentee kann sich bereits auf Deutsch verständigen, und es besteht eine Bleibeperspektive, in Form einer Aufenthalts-
und Arbeitsgenehmigung.“

Welche Unternehmen konnten Sie bislang für das
Mentorenprogramm gewinnen? Und gibt es schon erfolgreiche Vermittlungen, von
denen Sie erzählen können?

„Bis dato nehmen unter anderem OTTO, die GLS-Bank,
das Thalia Theater, brandeins, und Deloitte teil – aber noch viele weitere
namenhafte Unternehmen.
Viele der Mentees arbeiten aktuell
bereits mit einem Praktikumsvertrag in den jeweiligen Unternehmen und es werden immer mehr. Es gibt viele gute Beispiele, so wie Rami Horkos, Nautiker und 1.
Offizier, der als Mentee mit seinem Mentor Jörg Pollmann, ebenfalls Nautiker,
Hafenkapitän und Leiter des Oberhafenamtes bei der Hamburg Port Authority,
einen gut und substantiell durchdachten Praktikumsverlauf für eine Einarbeitung
‚on-the-job’ entwickelt hat.“

Was versprechen sich die Unternehmen von der Zusammenarbeit?

„Letztlich ist es eine Win-win-Situation: Für die
Unternehmen gibt es gleich mehrere mögliche Nutzenperspektiven – der Mentee trägt
mit seinem fachlichen Hintergrund zu einer business-relevanten Fragestellung
bei, etwa indem er dem Unternehmen hilft, sich zukünftige Märkte zu
erschließen. Besonders interessant ist das etwa für Außenhandelsunternehmen,
für die Länder im arabischen Kulturraum interessante, potenzielle
Wirtschaftspartner darstellen. Auch haben sie oftmals einen fachlichen Hintergrund,
der dem Unternehmen nützt, zum Beispiel als IT-Ingenieur, der dem Unternehmen bei der
Digitalisierung von Prozessen helfen kann. Außerdem könnte jeder Mentee ein
zukünftiger Mitarbeiter werden (Stichwort: Fachkräftemangel) – im Rahmen des Cross-Mentorings
kann sie oder er sich ‚on the job’ einarbeiten. Und dann gibt es noch den Fall,
dass sich das Unternehmen als ernstzunehmender Player in Sachen Corporate Social Responsibility positionieren und
damit positiven Einfluss auf sein Employer Branding nehmen will. Außerdem darf
man nicht unterschätzen, wie interessant die Quer-Vernetzung mit Key-Playern
unterschiedlichster Hamburger Unternehmen und Organisationen für die Mentoren
ist.“

Und was erwarten sich die Geflüchteten?

„Aus Sicht der Mentees gibt es ebenfalls verschiedene
Nutzen-Perspektiven. Durch den zeitlich überdauernden Eins-zu-eins-Kontakt in
der für die Mentees fachlich passenden Arbeitsumgebung findet eine
beschleunigte und zugleich nachhaltige fachliche, sprachliche und persönliche
Entwicklung statt. Außerdem erhalten sie über den Kontakt zu ihren Mentoren weitere
relevante Kontakte, über den Unternehmensbezug hinaus – und sie erhalten
schnell und substantiell einen Einblick in die Arbeits- und Lebenskultur in
Deutschland.“

Arbeit ist genauso wie Bildung ein wahnsinnig wichtiger
Faktor, um Integration möglich zu machen. War das Ihr Antrieb? In welcher
Situation haben Sie beide sich gesagt: Wir wollen hier unseren Teil beitragen
und etwas bewegen?

„Ja, ‚Migration works when migrants work’, wie es Randall
Hansen von der University of Toronto einmal ausdrückte. Arbeit ist auf jeden
Fall ein zentraler Faktor. Das Thema, das uns antreibt, die ‚Potenziale von
Zuwanderern sichtbar, erfahrbar und nutzbar zu machen’, habe ich 2014 im Rahmen
von vielen Dialogen und einem großen Workshop mit unterschiedlichsten
Hamburgern herausdestilliert – das war meine subjektive ‚field study’ – vor der
Gründung des ,Impact Dock Hamburg’ –  auf
der Suche nach einem Thema, von dem möglichst viele unterschiedliche Hamburger
und Hamburgerinnen glauben, dass es hierfür einer Lösung bedarf, die der Stadt
und ihren Unternehmen nützt. Kurz: Das war meine Phase der ‚1000 cups of
coffee’– eine unglaublich spannende und inspirierende Zeit mit den
unterschiedlichsten Menschen. Und das Interessante ist: Dieses Thema haben die
Befragten gesehen, bevor die große ‚Flüchtlingswelle’ zu uns kam. Die einhellige
Meinung war: Wir nutzen die Potenziale der Menschen, die aus aller Welt zu uns
kommen, viel zu wenig – gleichzeitig können wir mehr Vielfalt, und damit auch
mehr Innovationskraft, gebrauchen. Die Befragten haben darin eine Chance für
unsere Volkswirtschaft gesehen.“

Wie ging es dann weiter?

Um eine Maßnahme zu entwickeln, die
vor allem auch sinnvoll an den Bedürfnissen der Zuwanderer ansetzt, beschlossen
wir zunächst, unmittelbar in Kontakt mit Zuwanderern zu treten und eine
gemeinsame Produktentwicklung zu initiieren. Den Auftakt bildete ein Koch-Event
auf St. Pauli, in dessen Rahmen wir mit Vertretern unseres Netzwerks und
Zuwanderern aus Syrien, dem Iran, Irak, Afghanistan und Nigeria in kunterbunten
Kochgruppen kochten und speisten. Da kamen dann zum Beispiel im ‚Hühnchen-Team’ ein
iranischer Koch, ein nigerianischer Ingenieur und ein syrischer Arzt mit einer
Hamburger Journalistin, einem Familienunternehmer, einer Konzern-Führungskraft
und der Leiterin einer Studenteninitiative ins Gespräch.

Was sehr schnell deutlich wurde: Wir
schälten, schnippelten und rührten mit Menschen, die über Qualifikationen
verfügen, die wir allesamt benötigen und suchen – vom Arzt bis hin zur
Altenpflegerin – lauter Berufsgruppen, in denen wir zum Teil sogar dringend
Nachwuchs suchen. Gefragt nach ihren zentralen Bedürfnissen, nannten uns die
Zuwanderer zwei Wünsche: Eins-zu-eins Kontakte 
zu Hamburgern – und zwar zeitlich überdauernde, keine flüchtigen Kontakte,
wie zum Beispiel im Rahmen von einmaligen Freizeitaktivitäten mit Ehrenamtlichen in
ihren Unterkünften. Am besten zu Menschen ‚mitten in der Hamburger
Arbeitswelt’. Außerdem wollten sie so schnell wie möglich arbeiten und damit
ihren Beitrag zu leisten. Auf Grundlage
dieses Koch-Events entstand dann sehr schnell die Idee, ein
Cross-Mentoring-Programm zu entwickeln, in dessen Rahmen wir genau diesen
Bedürfnissen Rechnung tragen und gleichzeitig die Potenziale der Zuwanderer für
Hamburger Unternehmen erschließen und ‚nutzbar’ machen.“

Was haben Sie eigentlich zuvor beruflich gemacht? Welche
Stationen haben Sie besonders geprägt?

„Was mich
sicherlich sehr geprägt hat, war meine Kindheit in einem deutsch-japanischen
Elternhaus. Ich
habe schon als Kind gelernt, dass man
die Welt aus verschiedenen, teilweise gegensätzlichen Perspektiven betrachten
kann – und dass dabei jede Perspektive trotzdem in sich stimmig ist. Nach dem
Abitur habe ich zunächst eine kaufmännische Ausbildung absolviert und
anschließend Psychologie mit den Schwerpunkten Entwicklungspsychologie,
Interkulturelle und Klinische Psychologie studiert.  Nach einer kurzen Phase als wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes, hat mich eine interessante
Option bei der Lufthansa AG in den Führungskräfte-Trainingsbereich der Airline
gelockt – was Ausgangspunkt für eine 11-jährige Laufbahn wurde, in der ich
bereits sehr früh erste Führungsverantwortung übernehmen konnte, bis ich dann einen
HR-Bereich bei der Lufthansa Technik AG in Hamburg leitete. Später wechselte
ich zur AstraZeneca GmbH und übernahm dort eine HR-Bereichsleitung, als Direct
Report zur Geschäftsführung. Meine große Leidenschaft war unsere ‚Cultural
Journey’ – ein Prozess der organisationalen und kulturellen Transformation, in
den die Mitarbeiter über funktionale und hierarchische Grenzen hinweg
einbezogen wurden. Parallel durchlief ich eine Ausbildung an der London
Business School, in HR-Strategy in Transforming Organizations.

Das klingt ziemlich ambitioniert…

„Ja, als der nächste Karriereschritt
anstand, nahm ich mir eine Auszeit, um über die nächste Phase meines
beruflichen Lebens nachzudenken – mir wurde klar, dass ich weiterhin gern
unternehmerisch denken und handeln möchte, dies aber in Verbindung mit
gesellschaftlich relevanten Zielsetzungen. Dabei reizt es mich ungemein,
intelligente, innovative und vor allem: profitable Business Modelle zu
entwickeln, die Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen darstellen. Diese
Erkenntnis war der Startschuss, meinen letzten Arbeitgeber zu verlassen und das
Impact Dock Hamburg zu gründen und aufzubauen.“

Wie haben Sie sich dann als Business-Partnerinnen zusammmengefunden
und was macht Sie als Partner aus?

„Alexa hat ein kurzes Portrait über mich gelesen – das 2015
in der Januar-Ausgabe der Brandeins erschienen war – und mir daraufhin eine
unwiderstehliche Kontaktanfrage über Linkedin geschickt. Daraufhin haben wir
uns in einem Café im Schanzenviertel getroffen, uns auf Anhieb sehr gemocht, und
sind gemeinsam durchgestartet (lächelt). Wir haben eine substantielle,
gemeinsame Basis – bezüglich unserer Werthaltungen und Lebensanschauungen. Da
gibt es viele Parallelen – und wir sind beide sehr starke ‚driver’, sind also
schnell, lösungsorientiert, pragmatisch und wollen in Bezug auf unsere
Zielsetzungen nachhaltig Wirkung erzielen.“

Gründungen sind immer auch ein Sprung ins Ungewisse. Welche
Hürden hatten Sie zu Beginn zu meistern, mit denen Sie vielleicht auch gar
nicht gerechnet hatten?

„Ehrlich gesagt, hatten wir mit den meisten
Herausforderungen gerechnet – so richtig überrascht hat uns eigentlich keine
Situation. Außerdem sinf wir sind beide tatkräftige Optimistinnen, denen es
Spaß macht, immer wieder neue Lösungen zu finden (lacht).“

Wie finanzieren Sie sich eigentlich? Bekommen Sie
Unterstützung von Bund oder Staat? Man würde ja meinen, dass diese ein solches
Projekt großartig finden.

„Wir haben verschiedene ‚revenue streams’ – zunächst einmal
zahlen die beteiligten Unternehmen pro Mentor oder Mentorin, um am Cross-Mentoring
teilnehmen zu können. Hierfür haben wir ein gestaffeltes Pricing entwickelt,
damit unterschiedlichste Unternehmen und Organisationen teilnehmen können. Zusätzlich
führen wir gerade Gespräche mit öffentlichen Trägern und Institutionen über
eine Kollaboration, die einen weiteren ‚revenue stream’ eröffnen wird. Und wir
bieten sogenannte ,Innovation Journeys’ an, in deren Rahmen wir mit Unternehmen, unter anderem mittels Innovation Boot Camps & Design Thinking, Produkt- oder Prozessideen
entwickeln. Dafür rechnen wir Beratertage ab.“

Was ist Ihre Zukunftsvision für Impact Dock? Mit welchem
Traum haben Sie das Programm ins Leben gerufen?

„Wir wollen die Potenziale von Zuwanderern sichtbar,
erfahrbar und nutzbar machen – als eine Quelle von Innovation, Bereicherung und
Wachstum für die Stadt und ihre Unternehmen!“

Wie würden Sie folgenden Satz beenden: „Wir schaffen die
nachhaltige Integration der Geflüchteten dann…

„…wenn sich alle Unternehmen in Deutschland beteiligen. Allein in Hamburg würden wir alle Zuwanderer und Zuwanderinnen über Cross-Mentorings
nachhaltig in die Hamburger Arbeitswelt integrieren können, wenn die in der
Stadt ansässigen Großkonzerne jeweils 20 Zuwanderer über Cross-Mentorings
integrieren würden, 75 Prozent der mittelgroßen Unternehmen jeweils zehn, 50
Prozent der kleinen Unternehmen jeweils einen und fünf Prozent der ganz kleinen
Unternehmen (Null bis Neun Mitarbeiter) auch jeweils einen Zuwanderer. Das ist realistisch und vollkommen machbar!“

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