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Katarina Barley: „Ich kann mir etwas Vergleichbares wie den Mutterschutz auch für Väter vorstellen“

Sie will Familienministerin bleiben, doch wie stehen die Chancen für die SPD? Katarina Barley im Interview über ihre Karriere, neue Ideen für die Familienpolitik und die Differenzen mit der Union.

 

Familienministerin seit Juni

Katarina Barley ist erst seit vier Jahren in der Bundespolitik und hat gleich in ihrer ersten Legislatur als Abgeordnete der SPD mehrere Karrieresprünge gemacht: Erst Justiziarin der Fraktion, dann Generalsekretärin, seit Juni diesen Jahres gehört sie dem Kabinett an. Die 48-Jährige übernahm das Familienministerium von Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern wurde. Für diesen Schritt von Barley gab es nicht nur Applaus. Insbesondere Frauen aus der SPD kritisierten die Entscheidung, sie kurz vor der Wahl als Generalsekretärin abzulösen. Der Vorwurf:  der Wahlkampf der Sozialdemokraten würde wieder von einem „Herrenclub“ organisiert.

Nur knapp drei Monate hat die promovierte Juristin Zeit, um in ihrer neuen Funktion Ideen in der Frauen- und Familienpolitik zu präsentieren, von der ihre Partei bei den Bundestagswahlen profitieren könnte. Gelingt ihr das?

Wir haben Katarina Barley in Berlin zum Interview getroffen, und mit ihr über ihren Werdegang, die Chancen der SPD bei der Wahl im September und ihre Wunschkoalition zu sprechen.

EDITION F: Blicken Sie auf die letzten vier Jahre zurück und denken sich: Das war eine steile Karriere?

Katarina Barley: „Ja, ich empfinde das so. Denn ich bin als junge Frau nicht in die SPD eingetreten, um Politik zum Beruf zu machen. Ich habe mich sehr wohl gefühlt als ehrenamtliche Politikerin, sowohl auf der kommunalen Ebene als auch bei der inhaltlichen Arbeit. Das war bei mir nicht anders als bei vielen Frauen, die, wenn sie politisch aktiv werden, denken: Ich bleibe mal im Hintergrund. Es war nicht so, dass ich mir das nicht zugetraut hätte, aber es ging mir immer um die Ergebnisse selbst, nicht so sehr darum, das Mikro in der Hand zu haben.“

Haben Sie sich gar keine Gedanken gemacht, was ihr politischer Weg sein könnte?

„Ich habe mir Gedanken gemacht, wo ich inhaltlich gut aufgehoben bin – das ist ein ziemlich sozialdemokratischer Ansatz. Das waren für mich drei Bereiche: Rechtspolitik, Europa und der Bereich, den ich jetzt hier im Ministerium verantworte: Gesellschaftspolitik. Danach habe ich mich ausgerichtet. Mit meinem Start im Bundestag bin ich dann direkt Justiziarin geworden. Damit war ich dann als Neuling direkt im Inner Circle der Fraktion. Aber ich war eindeutig die am besten Qualifizierte dafür. Da war ich selbstbewusst.“

 „Ich war eindeutig die am besten Qualifizierte dafür. Da war ich selbstbewusst.“

Auf diese politischen Karrieresprünge haben Sie sich nicht vorbereiten können. Gab es einen Moment, wo Sie angerufen wurde und sich dachten: Eigentlich würde ich lieber das weitermachen, was ich jetzt gerade mache?

„Nein. Aber bevor ich das Angebot angenommen habe, Generalsekretärin zu werden, habe ich klargestellt, dass ich ein ausgleichender und konstruktiver Mensch bin. Immer einen drauf auf die Zwölf – das bin ich nicht. Ich kann aggressiv sein, wenn es an Leidenschaftsthemen geht, so etwa wie bei der Ehe für alle.“

Ist Aggression etwas, das man als Generalsekretärin können muss?

„Ja. Harmoniebedürftige Menschen sind in diesem Amt nicht gut aufgehoben. Es geht aber auch um andere Fähigkeiten, gerade in einer Zeit, in der sich Politik verändert. Es gibt immer mehr Menschen, die sich von der repräsentativen Idee der Demokratie verabschieden. Da muss Politik besser erklären, vermitteln, greifbar machen, sichtbar und verständlich sein. Das ist etwas, was ich gut kann.“

Ist Familienministerin nun der „weichere“ Job?

„Ganz und gar nicht. Familienpolitik ist in den letzten Jahren aus der weichen Ecke rausgekommen. Das ist auch ein Verdienst von Manuela Schwesig. Sie hat die Themen als völlig selbstverständlich begriffen und so gesetzt. Denn es geht hier auch immer um ganz harte Fragen wie etwa das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit und Steuerpolitik – da geht es auch um Wirtschaftsmacht und um Geld.“

Sie sagten in mehreren Interviews, Familienministerin wäre ihr Traumjob. Wieso?

„Weil die Arbeit so konstruktiv ist. Es ist ein Ressort, in dem sich mit wenigen Mitteln sehr viel bewirken lässt. Es gibt so viele kleine Initiativen, die gar nicht viel Unterstützung brauchen, die aber sehr viel bewirken – und die können dann als Best Practice gelten. Das ist wirkliche Gesellschaftspolitik. Die enge Verknüpfung von Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement finde ich zudem wahnsinnig reizvoll.“

„Klar will ich als Ministerin weitermachen.“

Man wünscht sich ja, dass ein Traumjob lange währen kann. Also mindestens vier oder fünf Jahre. Noch ist aber offen, ob die SPD ab September wieder mit in der Regierung ist. Und dann wäre der Traumjob auch schon wieder vorbei.

„Das werden wir sehen. Klar will ich als Ministerin weitermachen, aber es geht mir auch darum, diese Themen für die SPD stark zu vertreten. Natürlich habe ich das Amt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt übernommen. Das ist eine Situation, die fällt dir vor die Füße und dann musst du überlegen: Was machst du? Mir ist das nicht schwer gefallen, denn meine Entscheidung steht fest, diese Themen langfristig voran zu bringen.“

Die SPD steht vor einer paradoxen Situation, Manuela Schwesig hat das Thema Familie und Frauen nach vorn gebracht, gleichzeitig wählen aber immer weniger junge Frauen SPD und gehen zur Union. Was macht die SPD falsch beziehungsweise. was macht die Union richtig?

„Bei den Erstwählerinnen ist die SPD gut dabei. Wir können aber generell bei den Frauen besser werden. Da erreichen wir immer noch zu wenige. Das hat mehrere Ursachen. Dadurch, dass die Bundeskanzlerin eine Frau ist, gibt es bei manchen die Assoziation: ,Ich will was für Frauen tun, also wähle ich die Frau.’ Das ist ein Trugschluss, denn alle wichtigen frauenpolitischen Forderungen in dieser Legislatur sind von CDU und CSU blockiert worden – auch wenn sie jetzt dort im Wahlprogramm stehen. Das zweite, schon längerfristig bestehende Problem der SPD ist, dass wir manchmal als zu paternalistisch wahrgenommen werden. Manche Frauen haben den Eindruck, wir wollten ihnen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Aber das ist nicht so.“

„Alle wichtigen frauenpolitischen Forderungen in dieser Legislatur sind von CDU und CSU blockiert worden.“

Müsste man das Gefühl nicht eher bei der Union haben?

„Ja, eben. Aber dadurch, dass die CDU gar nichts sagt, kann man sich kaum an denen reiben. Natürlich wollen wir die Erwerbstätigkeit fördern, aber nicht, weil wir Frauen etwas vorschreiben, sondern weil wir in Zeiten leben, in denen jede dritte Ehe geschieden wird und Frauen ökonomisch auf eigenen Füßen stehen müssen. Das gilt gerade mit Blick aufs Leben im Alter – denn das Alleinversorgermodell funktioniert nur noch in den wenigsten Fällen. Deswegen haben wir da einen Fokus drauf.“

Die SPD beruft sich auf ihre Erfolge in der Koalition. Das kommt gerade bei den Menschen jedoch nur unzureichend an. Wie ist die interne Beschäftigung damit? Wie soll das Ruder rumgerissen werden?

„Ich gebe auf aktuelle Umfragen zwei Monate vor Wahlen nichts. Wir haben es doch gesehen, wie sich die Werte teilweise in den letzten zwei Wochen noch massiv gedreht haben. Das sind Momentaufnahmen. Die frauenpolitischen Themen sind unserer Klientel zudem extrem wichtig. Wir haben in meiner Zeit als Generalsekretärin immer wieder wissenschaftliche Befragungen gemacht: Welche Themen sind relevant für euch und wo verortet ihr die? Und meine Leute waren dann zum Teil ganz erstaunt, dass das Thema Lohngerechtigkeit das absolute Top-Thema ist. Ich glaube aber auch, dass Wahlen einen atmosphärischen Aspekt haben. Die meisten wollen am Ende bei den Gewinnern sein.“

„Ich gebe auf aktuelle Umfragen zwei Monate vor Wahlen nichts.“

Was denken Sie, wie hoch das Wählerpotential für die SPD wäre?

„Das weiß ich aus unseren Untersuchungen sogar ziemlich genau: Das derzeitige Potential der SPD liegt bei Mitte 30 Prozent.“

Gibt es kein Potential von 50 Prozent?

„Ich werde mir jetzt keinen Überbietungswettbewerb bei unserem Wählerpotential liefern. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir gesehen, was möglich ist. Viel wichtiger als die Prozentwerte der SPD ist für mich aber die Tatsache, dass seit der Nominierung von Martin Schulz über 22.000 Menschen in unsere Partei eingetreten sind. Das zeigt mir, dass sich viele Menschen einen echten Wechsel wünschen.“

Tickt Deutschland vielleicht konservativer als man manchmal denkt?

„Nein, das finde ich gar nicht. Das beste Beispiel ist doch die Ehe für alle, für die über 80 Prozent der Bevölkerung sind. Grundsätzlich fehlt mir, was meine Themen angeht, manchmal, dass Frauen mehr Lobbyismus für ihre Sache betreiben. Bei der Quote haben wir sehr gut gesehen, was passiert, wenn viele Frauen sagen, so geht es nicht weiter. Das hat dann richtig Druck aufgebaut. Bei Themen wie Lohngerechtigkeit wiederum klappt es gar nicht. Die Frauenthemen müssen rein ins kollektive Bewusstsein, aber das kann die SPD nicht allein, da müssen wir stärker in Netzwerken denken.“

Sie haben eben gesagt: Vielleicht wählen Frauen Merkel, weil sie eine Frau ist. Ist die SPD in der Außenwahrnehmung auch noch zu männlich?

„Sie ist in der Außenwahrnehmung männlicher, als sie es in Wirklichkeit ist. Wir haben zum Beispiel mehr Ministerinnen als Minister.“

Dann könnte es ja nach der Wahl die erste Fraktionschefin geben.

„Darüber will ich mich jetzt nicht auslassen. Am Ende gibt es für jeden Posten Frauen, die dafür gut geeignet sind.“

Das sehen Unternehmen aktuell immer noch anders. In den Aufsichtsräten geht es langsam voran, 70 Prozent der großen Unternehmen haben sich jedoch bei der Frauenquote in Vorständen die Zielgröße von null gesetzt. Muss Ihr Ministerium da nachsteuern?

„Die Zahlen lassen sich ein Stück weit erklären, weil der Zeitraum für das Erreichen der Zielgrößen relativ kurz war. Manche Vorstände bestehen zudem nur aus zwei oder drei Leuten. Die Zielgröße kann man dann einmal auf Null setzen, aber aus meiner Sicht auch nur einmal. Wenn sich herausstellt, dass da nicht mehr passiert – wir sind bei sechs Prozent Frauen in den Vorständen, das ist ein Witz – dann werden wir da eingreifen müssen.“

Feministinnen haben kritisiert, dass die Quote als großes Symbol für Gleichberechtigung genommen wurde, obwohl die überwiegende Mehrheit der Frauen davon nichts hat. Wo sieht denn eine sozialdemokratische Frauenpolitik ihre Schwerpunkte? Was sind die großen Fragestellungen?

„Ich halte die Quote für wichtig, um einen überfälligen Kulturwandel in den Unternehmen einzuleiten und der muss auch von oben stattfinden. Das Thema Frauenförderung muss vernünftig in den Unternehmen verankert sein. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist für mich das Mega-Thema der Frauenpolitik. Dazu gehört die Aufwertung der sozialen Berufe. Das heißt nicht nur, dass wir Erzieherinnen, Hebammen oder Altenpflegerinnen besser bezahlen müssen, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben in diesen Berufen Karriere zu machen und sich weiter zu entwickeln.“

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist für mich das Mega-Thema der Frauenpolitik.“

Können Sie näher erläutern, wie die Aufwertung aussehen soll. Eine Ausbildungsreform hilft ja den Frauen nicht, die jetzt im Beruf sind, wenig verdienen und im Alter arm sein werden.

„Es sind verschiedene Komponenten. Es betrifft zum einen die Ausbildungsberufe, für die noch Schulgeld fällig wird – das ist völlig irre. Das gibt es auch nur in frauendominierten Berufen. In einem technischen Beruf würde niemand auf die Idee kommen, dafür zu bezahlen. Dann bekommen die Auszubildenden in sozialen Berufen keine Ausbildungsvergütung, was eine doppelte Benachteiligung ist – das muss geändert werden. Und wir müssen die Möglichkeiten für Weiterbildungen schaffen, um sich weiter entwickeln und dann zum Beispiel auch europaweit tätig sein zu können. Das Problem an den sozialen Berufen ist aber auch, dass die Menschen, die dort arbeiten, über keine starke Lobby verfügen. Hier brauchen wir einen Sozialtarifvertrag. Das ist der Teil, der den aktuell dort Arbeitenden helfen wird.“

Ist der Weg zu Lohngleichheit auch Lohntransparenz?

„Das ist ein wichtiger Baustein. Aber das allein wird nicht reichen. Denn dabei geht es ja nur darum, die Frauen den Männern in der gleichen Einkommensgruppe gleichzustellen. Es geht aber auch um den eigentlichen Skandal, dass Frauenberufe generell schlechter bezahlt sind. Warum bezahle ich jemandem, dem ich mein Kind gebe weniger als jemandem, dem ich meine Waschmaschine gebe? Der Kampf um Lohngerechtigkeit wird kein einfacher. Es geht halt um Geld.“

„Warum bezahle ich jemandem, dem ich mein Kind gebe weniger als jemandem, dem ich meine Waschmaschine gebe?“

Ein Thema, das unseren Leserinnen besonders am Herzen liegt, ist die Geburtshilfe. Frauen, die keine Hebamme finden oder in der Klinik schlechte Erfahrungen bei der Geburt machen, können nicht nachvollziehen, warum dieses frauenspezifische Erlebnis gerade nicht in der Zuständigkeit vom BMFSFJ liegt. Gesundheitspolitisch ist hier in den letzten Jahren zu wenig passiert. 

„Ich akzeptiere nicht, dass dieses wichtige Thema nur aus rein gesundheitspolitischer Sicht betrachtet wird. Hebammen leisten für junge Familien eine unglaublich wichtige Arbeit – sie geben Sicherheit in einer existenziellen Phase, sind Geburtshelferinnen, aber auch Ratgeberinnen und Stütze für Mütter und Väter. Ich habe selbst zwei Söhne und weiß daher, was für eine große Hilfe das gerade in den ersten Wochen ist. Die Situation der Hebammen ist für mich ganz klar auch Teil von Frauen- und Familienpolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass der Beruf attraktiver wird und so eine flächendeckende, gute Versorgung garantiert wird. Jede Frau muss vor, bei und nach der Geburt die Möglichkeit haben, die Hilfe einer Hebamme in Anspruch zu nehmen.

Sie haben beim Oberthema Alleinerziehende noch einmal ein neues Thema aufgemacht: Getrennt Erziehende. Warum ist das aus Ihrer Sicht wichtig?

„Ich finde, das ist ein völlig vernachlässigter Bereich. Viele fühlen sich in dieser schwierigen Situation  alleingelassen. Wenn es schlecht läuft und alle Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen werden, leiden viele, und am meisten immer die Kinder. Ich hab das Gefühl, es drücken sich alle um das Thema rum – ich bin auch gewarnt worden, mich damit zu beschäftigen. Weil es natürlich hoch emotional ist – eines der emotionalsten überhaupt. Wir haben hier im Ministerium ein sehr gutes Zukunftsgespräch gemacht und alle an einen Tisch geholt: Mütter, Väter, Jugendämter, Beratungsstellen Familiengerichte, Wissenschaft, Stiefeltern – alle, die irgendwas damit zu tun haben. Der Facebook-Post zu dem Thema hatte 1.500 Kommentare und hat hohe Wellen geschlagen. Meist geht es dabei um die Frage des Betreuungsmodells  – das fällt allerdings nicht in meine Zuständigkeit. Mir geht es vor allem um Wege, die Eskalation von Konflikten möglichst zu vermeiden. In diesem Bereich gibt es noch viel zu tun.“

Aber ist es nicht ein Unding, dass kinderlose Ehepaare steuerlich besser gestellt sind als Alleinerziehende?

„Absolut. Viele dieser Dinge haben historische Gründe. Das heißt aber, dass wir sie ändern müssen.“

Im SPD-Steuerkonzept ist kein gesonderter Teil zu Alleinerziehenden.

„Wir wollen das Ehegattensplitting reformieren und einen Familientarif einführen. Dadurch stellen wir die Kinder in den Vordergrund, nicht ob die Eltern verheiratet oder getrennt sind. Mit einem Kinderbonus von 150 Euro pro Elternteil und Kind wollen wir alle Menschen mit Kindern bei der Steuer entlasten.“

Aber somit ist der Vorteil für Paare wieder größer. Oder bekommen Alleinerziehende dann den doppelten Kinderbonus?

„Meiner Auffassung nach steht Alleinerziehenden der doppelte Kinderbonus zu. Es geht bei dieser Leistung ja auch um das Wohl des Kindes. Der Kinderbonus ist aber nur ein Baustein, um Alleinerziehende zu entlasten. Durch die Wiederherstellung der Parität in der Krankenversicherung und der Abschaffung von Kita-Gebühren unterstützen wir gerade diese Gruppe ganz massiv. Mir ist es besonders wichtig, dass Alleinerziehende überhaupt die Möglichkeit haben, selbst für sich und ihre Kinder zu sorgen. Das geht nur durch Erwerbsarbeit. Dafür brauchen sie jegliche Unterstützung.“

Alleinerziehende und getrennt Erziehende werden im Prinzip wie Singles besteuert. Müsste es nicht endlich eine Steuerklasse geben, die diese Familien, die Unterstützung so nötig haben, angemessen entlastet?

„Wir müssen da auf jeden Fall an das Steuerrecht ran. Es kann doch nicht sein, dass Eltern nach einer Trennung plötzlich schlechter gestellt werden. Die Ausgaben steigen nach einer Trennung ja eher. Der Staat muss dieser Belastung Rechnung tragen. Ich will in den kommenden Monaten mit Fachleuten und Betroffenen Lösungen erarbeiten, wie wir das am besten umsetzen können.“

„Es kann doch nicht sein, dass Eltern nach einer Trennung plötzlich schlechter gestellt werden. Die Ausgaben steigen nach einer Trennung ja eher.“

Welche Idee haben Sie, damit irgendwann jeder Vater einige Monate Elternzeit nehmen wird?

„Jede Familie entscheidet selbst, wie sie sich die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder aufteilt. Wir unterstützen, wenn die Eltern das partnerschaftlich machen wollen. Befragungen zeigen, immer mehr Väter haben keine Lust, ihre Kinder nur abends oder erst schlafend zu sehen. Vätern muss es ganz selbstverständlich möglich sein, für ihre Kinder da zu sein. Dafür brauchen wir vor allem einen Kulturwandel in den Unternehmen. Das geht nur durch Vorbilder. Deswegen müssen wir jeden Vater bestärken, der sein Recht oft gegen starke Widerstände in seiner Firma durchsetzt. Ich kann mir aber auch etwas Vergleichbares wie den Mutterschutz auch für Väter vorstellen. Sie könnten dann nach der Geburt der Kinder ebenfalls eine gewisse Zeit beruflich aussetzen. Das hilft den Müttern und stärkt die Beziehung zwischen Vätern und Kindern. Je früher Väter Verantwortung übernehmen, desto mehr tun sie das auch im späteren Leben eines Kindes. Das ist wissenschaftlich belegt.“

„Ich kann mir aber auch etwas Vergleichbares wie den Mutterschutz auch für Väter vorstellen.“

Was wären denn aus Sicht des Ministeriums die drei wichtigsten Themen für die nächste Legislatur, die auch in einen Koalitionsvertrag müssten?

„Das eine ist die Familienarbeitszeit, weil wir eine gleichberechtigte Aufteilung von Beruf und Familie ermöglichen wollen. Das muss unbedingt kommen. Zudem will ich endlich beim Thema Lohngerechtigkeit weiterkommen. Und ich finde, wir müssen mehr beim Thema Kinderarmut tun. Armut heißt ja vor allem ausgeschlossen zu sein und eben keine echte Teilhabe. Das wollen wir ändern.“

Sind das Themen, die besser in einer großen Koalition gelingen würden oder mit einer linken Mehrheit?

„Also, gesellschaftspolitisch mit CDU und CSU zusammenzuarbeiten, ist echt anstrengend. Die sind da wirklich vom anderen Stern. Das haben wir ja bei der Ehe für alle, aber auch bei allen frauenpolitischen Themen gesehen. Was mich wirklich wütend gemacht hat, ist, dass sie das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit jetzt in ihr Parteiprogramm geschrieben haben. Das war eines der wichtigsten Projekte des letzten Koalitionsvertrages und sie haben es monatelang blockiert. Das gilt im Übrigen auch für die Solidarrente, die vielen Frauen geholfen hätte.“

Könnte man sich nicht freuen, dass die Union jetzt dazu gelernt hat?

„Nein, weil es so ein durchsichtiges Manöver ist. Die versprechen vor den Wahlen das Blaue vom Himmel und halten es nicht. Schäuble verspricht vor jeder Wahl Steuererleichterungen, ohne dass die jemals gekommen wären. Gerade im gesellschaftspolitischen Bereich merkt man halt, die ticken anders. Schauen Sie sich doch nur Projekte wie die Betreuungsprämie oder den monatelangen Widerstand gegen die Reform des Sexualstrafrechts an. CDU und CSU haben schlicht eine ganz andere Vorstellung von Gesellschaft.“

Ist das eine falsche Vorstellung?

„Da gibt es kein richtig oder falsch. Das muss jeder für sich entscheiden. Ich finde aber, Frauen müssen klar sein und sagen: Wir wollen die gleichen Rechte haben wie Männer und zwar nicht nur auf dem Papier. Wenn sie sich dann bei CDU und CSU umschauen, wie die in den letzten Jahren mit genau diesem Thema umgegangen sind, dann wird ihnen schnell klar werden, dass da nicht viel zu holen ist.“

Ist die Politik der Union frauenfeindlich?

„Soweit würde ich nicht gehen. Aber CDU und CSU  sind nicht auf die Umsetzung von echter Gleichberechtigung ausgerichtet. Das ist nicht deren Ziel. Die hängen noch an klassischen Rollenbildern.“

Also wäre für Ihr Ministerium eine linke Mehrheit besser, um bei vielen Themen voranzukommen?

„Wir haben die größten Schnittmengen nach wie vor mit den Grünen. Mal sehen, wer dann im September noch dazukommt. Dass wir die bessere Gesellschaftspolitik machen, daran habe ich keinen Zweifel. Meine Vor-Vorgängerin war Kristina Schröder von der CDU. Wenn ich mir anschaue, was in den vier Jahren passiert ist, möchte ich schreiend davonlaufen. Das wäre wirklich dramatisch, würde jemand von CDU oder CSU in dieses Ministerium einziehen.“


Das Gespräch führten Nora-Vanessa Wohlert und Teresa Bücker.



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