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Sophia von Rundstedt: “Die alten Karriere-Muster funktionieren nicht mehr”

Die wenigsten Karrieren verlaufen heute noch gradlinig. Aber wie viele Umwege und Zwischenstopps sind erlaubt? XING-Spielraum hat nachgefragt.

 

Neue (Um)Wege gehen

Die Zeit der stromlinienförmigen Karrieren scheint endgültig zu Ende zu gehen. Berufliche Wege können heutzutage viel individueller und flexibler ausfallen und sind trotzdem – oder gerade deswegen – ein Nachweis für Talent und Qualifikation. Warum das so ist, erklärt Sophia von Rundstedt, eine der profiliertesten Karriere-Expertinnen Deutschlands, im Interview mit unserem Partner XING Spielraum.

Frau von Rundstedt, ein neuer Begriff macht gerade die Runde in der modernen Arbeitswelt: „Mosaik-Karrieren“ gelten als DER Trend der Zukunft. Können Sie uns dieses Phänomen in ein paar Sätzen erklären?

Immer mehr Menschen wünschen sich heute ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes Arbeiten. In den klassischen Leiterkarrieren, die stetigen Aufstieg voraussetzen, ist das oft nur schwer möglich. Die Mosaik-Karriere ist ein Ansatz, um diesen Wünschen besser gerecht zu werden. Mosaik-Karrieren sehen vor, dass man angepasst an seine jeweilige Lebensphase und Interessen seine Arbeitseinsätze wählt und dabei häufiger wechselt – zwischen Aufgaben und Funktionen, zwischen Einsätzen als Führungs- oder Fachkraft oder in Projekten. Diese Wechsel können auf vertikaler, horizontaler und diagonaler Achse stattfinden.”

Was hat denn bei Personalverantwortlichen zu der neuen Einsicht geführt, dass stromlinienförmige Berufswege nicht das einzig Wahre sein müssen?

Da sind zum einen die vielfach zitierten Megatrends wie Globalisierung, Demographie, ein verändertes Werteverständnis und natürlich die Digitalisierung, die Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben. Sie befördern, dass Unternehmen in Zukunft anders aufgebaut sein werden als heute. Es ist davon auszugehen, dass neue Geschäftsmodelle mit liquiden Strukturen entstehen, in denen nur noch kleine Kernteams mit vielen freien Mitarbeitern zusammenarbeiten. Unternehmen müssen insgesamt flexibler werden, um schnell auf Marktchancen und -risiken reagieren oder zu können. Das gilt auch für den einzelnen Mitarbeiter und für den Personalbereich.”

Mosaik statt klassische Leiter – welche Karriere ist leichter zu machen?

Heute sicherlich noch die Leiterkarriere, einfach deshalb, weil die Denkmuster und entsprechenden Strukturen noch stark in den Köpfen und Organisationen verankert sind. Gleichzeitig spüren wir, dass das Alte nicht mehr richtig funktioniert, haben aber das Neue noch nicht etabliert. Hier gibt es Gestaltungsspielraum und in einigen Unternehmen sehe ich bereits erste Impulse in Richtung neuer Karriereformen. Eine der weltweit größten Anbieter von Werkzeugmaschinen experimentiert zum Beispiel schon seit einigen Jahren mit einem Modell, wo Mitarbeiter für die nächsten zwei Jahre ihre Arbeitszeit frei wählen können, um das ideale Karrieremodell für die aktuelle Lebensphase zu finden.”

Wie können sich junge Fachkräfte auf diese neue Karrierekultur einstellen? Muss nun jeder für ein Jahr erstmal Eisverkäufer in New York werden, oder Surflehrerin in Australien?

Kerngedanke der Mosaikkarriere ist, sich mit seinen eigenen Stärken und Leidenschaften zu beschäftigen. Nur so kann man seine Talente richtig einsetzen. Wenn man ein Surftalent ist und gerne anderen Menschen etwas beibringt, warum diese Fähigkeit nicht am Strand in Australien trainieren, um noch besser zu werden? Wichtig ist, etwas zu tun, das der persönlichen Weiterentwicklung dient. Junge Fachkräfte müssen sich bewusst machen, dass sie Verantwortung für ihre Karriere übernehmen müssen.”

Bringt die neue Sichtweise auch mehr Chancen für Mitarbeiter, die bereits im Unternehmen sind – und bisher vielleicht ein wenig unter dem Karriere-Radar waren?

Auf jeden Fall. Damit im Unternehmen die richtigen Mitarbeiter für eine Aufgabe gefunden werden können, müssen Interessen, Talente und Kenntnisse jedes Einzelnen bekannt und zugänglich sein. Das zu ermöglichen, ist eine zentrale Aufgabe von HR. So haben auch Mitarbeiter, die schon lange dabei sind, die Möglichkeit, sich mit ihren Stärken im Unternehmen zu positionieren. Durch Einsätze in verschiedenen Teams – nach dem Prinzip der Mosaik-Karriere – können sie zudem neue Einblicke gewinnen, sich weiterbilden und ihr Kontaktnetzwerk erweitern.

Im Rahmen eines in diesem Jahr durchgeführten „Talent- & Career-Management“-Projektes für ein mittelgroßes Unternehmen im Gesundheitssektor haben wir beispielsweise herausgearbeitet, wie Mitarbeiter sich noch stärker selbstverantwortlich und agiler auf zur klassischen Führungskarriere alternativen Wegen innerhalb des Unternehmens entwickeln können. So ermöglichen Projekteinsätze beispielsweise, die eigenen Kompetenzen auszubauen, dadurch Sichtbarkeit zu erzeugen und Netzwerke zu erweitern. Ebenso können Unternehmen und Mitarbeiter Expertenkarrieren entwickeln, etablieren und anstreben, die vergleichbar zu Führungskarrieren ausgestaltet sind. Durch konzipierte Durchlässigkeit in andere Karriereformen können diese Angänge von einem eventuellen Sackgassen-Image befreit werden.”

Auch für die Personalverantwortlichen der Unternehmen bedeutet das einen Wandel. Was müssen HR-ler anders machen?

Personalfachleute müssen den Wandel vorantreiben – weg von der Planwirtschaft hin zur Marktorientierung ist die Grundidee. Es wird in Zukunft weniger darum gehen, fest definierte Stellenprofile zu besetzen, sondern die passenden Mitarbeiter für eine Aufgabe zu finden. „Internal recruiting“, wir nennen es auch „Karrieremanagement“, wird deshalb immer wichtiger. Aufgrund des Fachkräftemangels müssen Talente im eigenen Unternehmen besser identifiziert und richtig positioniert werden. Dafür muss Human Resources mehr als heute in strategische Entscheidungen einbezogen werden. Die Rolle von HR wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern, davon sind wir überzeugt. Zurzeit erarbeiten wir mit Zukunftsforscherin Kirsten Brühl ein Whitepaper zur„Karriere 2030: Wie sich die Rolle von HR in Zukunft verändert“. Wir wollen herausfinden, welche Arbeitsszenarien in 15 Jahren vorstellbar sind und was Mitarbeiter von Personalmanagern erwarten werden.”

Wie reagieren Sie in Ihrem eigenen Unternehmen und mit ihren Dienstleistungen auf den Trend „Mosaik-Karriere“?

Unternehmen beraten und unterstützen wir beim Aufbau und der Verbesserung ihres Karrieremanagements – das beinhaltet sowohl neue Karrieremodelle, als auch Instrumente zur Identifikation, Entwicklung und dem richtigen Einsatz der Mitarbeiter und ihrer Talente. Mitarbeiter wiederum begleiten wir bei der Standortbestimmung und Karriere-bezogenen Selbstreflexion, und unterstützen sie bei der beruflichen Weiterentwicklung.

Bei von Rundstedt selbst haben wir 2014 das „Zweite Betriebssystem“ nach John Kotter eingeführt. Im Rahmen von sogenannten Boards beschäftigen sich Mitarbeiter freiwillig mit den Themen, die für die Zukunft des Unternehmens relevant sind und an denen sie selbst Interesse haben, wie zum Beispiel Digitalisierung, neue Geschäftsideen oder Talententwicklung. Das gibt allen Kollegen die Möglichkeit, die Entwicklung des Unternehmens mitzugestalten und ihre Talente an mehreren Stellen einzubringen.”

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