Foto: David de Lossy I Unsplash

Alleinerziehender Vater: Warum ich für meine Tochter lieber ein Anker als ein ganzes Dorf bin

„Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ – das ist mittlerweile ein Klassiker. Johnny ist alleinerziehender Vater einer Tochter und fragt sich: Kann er auch allein ein Dorf sein für sein Kind? Und will er das überhaupt?

 

Ich bin das Dorf für meine Tochter?

„It takes a village to raise a child“ habe ich kürzlich gelesen und fühlte mich alleinerziehend spontan dann doch etwas einsam. Ich und nur ich bin also meiner Tochter ein Dorf und ja, das mag schon teilweise stimmen. Wobei ich ihr doch lieber Anker bin. Oder Hafen oder irgendwann vielleicht auch ihr Moby Dick, aber wer will da jetzt schon kleinlich sein. So allein ich mich fühlte, als ich diesen Spruch las, so sagte mir mein Alleinerziehenden-Herz recht deutlich: Ich bin gut damit, mit dem Alleinerziehen – denn es fühlt sich unglaublich richtig an.

Heute habe ich ganz bewusst mal wieder etwas genauer in mein Alleinerziehenden-Herz hinein gehört. Auch, weil ich heute mal wieder kurz etwas mehr Ruhe in mir dafür hatte, um mal so nachzuhorchen, was da mit mir und mit uns passiert. Dies war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass ich über den Dorf-Spruch nachdenken musste. Meine Tochter hing gesundheitlich so weit in den Seilen, dass ich sie nicht guten Gewissens hätte in die Kita geben können.

Alleinerziehend sein fühlt sich gerade genau richtig an

Das bedeutet für mich mal wieder: Home-Office mit krankem Kind – minus Home-Office. Und neben allem, was sonst noch so in meinem Leben gerade wichtig ist: Ich bin gut damit. Alleinerziehend zu sein, bei allem, was es mit sich bringt, so wie heute, fühlt sich unglaublich richtig an. Ganz für uns zu sein, nur Tochter und ich, das ist ein sehr schönes und vor allem ausfüllendes Gefühl. Das ist sie also, meine Aufgabe. Das ist also das Gefühl, weshalb ich alles tragen kann. Weil es sich richtig anfühlt. Das bedeutet nicht, dass es anders nicht auch gut für uns beide sein könnte, ganz im Gegenteil sogar. Doch jetzt gerade ist es das nun mal nicht.

Ich kann es mir nicht leisten, mich emotional an andere Orte zu wünschen, wenn das gleichzeitig bedeutet, nicht für meine Tochter emotional präsent sein zu können. Wenn ich nicht ihr Anker, ihr Dorf sein kann, wer dann? Gewiss, einige Zeit kann ich in diesem emotionalen Grenzland wandern, mich jenseits der Belastungsgrenzen zerreißen und hoffen, dass es niemand merkt. Einige Zeit kann ich es zulassen, das Hadern und Zweifeln, dem ich in der Einsamkeit des Alleinerziehens anheimfalle. „Ich kann alles tragen!“ habe ich mich schon öfter sagen und schreiben hören. Was bliebe mir aber auch anderes übrig. Und obwohl ich in der letzten Wochen nicht immer das war, was ich hätte sein müssen, nämlich emotional bedingungslos für meine Tochter da sein, spüre ich: alleinerziehend zu sein fühlt sich unglaublich richtig an.

Die Tiefen bewusst aushalten

Leider waren diese kurzen Momente der Klarheit in letzter Zeit nur rar gesät. Dennoch versuche ich diese so bewusst wie möglich wahrzunehmen. So tief die Tiefen auch sind und sie eben auch genauso tief gelebt werden müssen. So sehr ich manchmal daran zweifle, dass mich das Schöne wirklich zu tragen vermag. Wenn man alle Tage weint und nicht mehr weiß, wie lange schon. Selbst an den guten, nur dann eben nicht bei Tage – und auch nicht ganz so laut. Vielleicht eine Woche lang. Oder drei. Genauso wichtig ist es für mich geworden, nicht nur diese Tiefe ganz bewusst auszuhalten, sondern auch wieder nach oben zu schauen. Die Höhen mindestens genauso zu durchleben wie die Tiefen. Es sagt einem aber auch niemand vorher, dass das ungleich schwerer ist. Außer vielleicht andere Alleinerziehende.

Auch Kräfte sammeln kostet Kraft. Wenn mein Großvater sagt: „Spar in der Not, da haste nämlich Zeit dazu!“ liegt er unverhofft sehr viel näher an meiner Wahrheit, als uns beiden das wohl jemals bisher klar war. Es gibt sie nämlich, die schönen Momente – und davon gar nicht wenige. Und seien es auch nur die kurzen Augenblicke, die man mit dem Kind erlebt und ganz deutlich spürt: Wir gehören zusammen. So, wie ich sonst eigentlich zu niemandem gehöre. Wir beide haben eben nämlich doch vieles richtig gemacht. Leider kann man solche Momente nicht festhalten. Und natürlich muss man sie alleinerziehend mindestens genauso schonungslos offen reflektieren wie die negativen Phasen. Man kann sie sich immerhin aber bewusst machen und sich so vielleicht später doch an sie erinnern. Und vielleicht tragen sie ja doch ein wenig noch.

Mein Alleinerziehenden-Herz sagt mir: Es ist gut. Die Tiefen gehören zu den Höhen, die Höhen zu den Tiefen. Und das fühlt sich richtig an.

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