Foto: Erika Lust Films

Erika Lust: „Wir brauchen mehr Frauen in Machtpositionen, wenn sich etwas ändern soll“

Erika Lust ist Regisseurin und Produzentin für Pornos mit feministischen Werten, weil sie der Frauenfeindlichkeit der Branche etwas entgegensetzen wollte. Die aktuelle #Metoo-Debatte ist auch an ihr nicht vorbeigegangen. Ein Kommentar dazu, wo wir stehen und wie wir etwas ändern können.

 

Sexuelle Übergriffe sind kein neues Problem

Wachst du jeden Tag auf, checkst deine Social-Media-Accounts und stellst fest, dass ein weiterer Hollywood-Star, Regisseur, Produzent oder Schauspieler der sexuellen Belästigung oder Nötigung beschuldigt wurde? Es scheint kein Ende in Sicht, und genau das gibt uns ein Gefühl von der Größenordnung des Problems, weil es erahnen lässt, wie groß das Ausmaß an sexueller Belästigung und sexualisierten Übergriffen innerhalb unserer Gesellschaft ist.

Aber sollten wir überrascht sein? Habt ihr etwas anderes von einer Welt erwartet, in der der Präsident der USA, ein Frauenfeind, trotz seines berüchtigten „Grab them by the Pussy“-Spruchs gewählt wurde? Und in der dieser Mann die Unterstützung von 58 Prozent der weißen Frauen in den Vereinigten Staaten hat?

Wir leben in interessanten Zeiten. In der „Post-Harvey-Weinstein“- und der Metoo-Bewegungs-Ära erzählen immer mehr mutige und tapfere Frauen ihre Geschichten, um die sexuellen Übergriffe anzuprangern, die sie in Hollywood erlebt haben. Aber handelt es sich bei dieser Entwicklung wirklich um etwas Neues? Prangern Frauen sexuelle Belästigung nicht schon seit Jahren, seit Jahrzehnten an? Passiert es nicht in jeder Industrie, in jeder Branche? Die Gewalt, die Männer Frauen so ungeniert zufügen, ist seit Urzeiten Teil der Frauenwelt. 

„Ob du Schauspielerin, Praktikantin im Rathaus, Putzfrau in einem Fünf-Sterne-Hotel oder Journalistin bist – eine Frau zu sein bedeutet, sich mit allgegenwärtigem Sexismus auseinandersetzen zu müssen, der dich jeden Tag daran erinnert, dass du eigentlich nichts weiter als Beute bist.“ 

Die männliche Anspruchshaltung existiert überall. Männer haben ihre Machtpositionen über Jahrhunderte hinweg missbraucht. Frauenfeindlichkeit und Sexismus sind in unseren kulturellen Strukturen tief verankert.

Wir leben in einer Kultur der toxischen Maskulinität

Weinstein, Dominique Strauss-Khan, Baupin, Ramadan oder Polanski … es geht hier nicht um einen Mann oder auch ein paar mehr. Es geht um ein System, eine vorherrschende „geschlechtsspezifische Dysfunktionalität”, unterstützt durch die vielen Augen, die gerne mal zugedrückt werden, wie es Emma Thompson in einem Interview mit der BBC treffend beschrieb. Machtmissbrauch ist keine männliche Eigenschaft. Es ist eine menschliche Eigenschaft – aber wir leben in einer Kultur der toxischen Maskulinität, die Männern erlaubt und sie sogar dazu ermutigt, Gewaltakte an Frauen zu verüben oder Frauen zu missachten. 

Pornos, die auf fantastische Art und Weise unsere Gesellschaft widerspiegeln, zeigen deutlich das Ausmaß gewaltgeprägter Sexualität, die Frauen Genuss und Einverständnis verweigert. Öffne eine beliebige Porn-Tube- Seite, sexuelle Nötigung findet sich dort überall. Stiefbrüder, die ihre Schwestern zum Sex zwingen, blutjunge Teenager, auf die eingeschlagen wird, Sekretärinnen, die von ihrem Boss gevögelt werden und vieles mehr. Entführungsfantasien selbst sind nicht das Problem und haben schon lange vor der Pornographie existiert. Aber Pornos nutzen diese Fantasien auf die schlechteste Art und Weise. Nämlich in dem sie es wie das Alpha und Omega der Sexualität aussehen lassen, wie als wäre es der einzige Weg, wie man Sex haben kann. Kein Mensch sollte bei der Arbeit sexueller Belästigung oder Nötigung ausgesetzt werden. Egal in welcher Branche, keine Frau sollte solche Missachtung dulden müssen, um ihren Job zu behalten. 

Eine ständige Erinnerung daran, dass man als Frau erstmal ein sexuelles Wesen ist

Diese geschlechtsspezifische Dysfunktionalität, dieses Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen, ist in jedem einzelnen Bereich ersichtlich. Belästigung ist vielfältig. Sie nimmt verschiedene Formen an und ist nicht immer offensichtlich. Sie findet oft in einem ganz bestimmten Umfeld statt und bezieht auch die „kleinen“ Dinge mit ein, gegen die wir keine Gesetze erlassen haben: anzügliche Blicke, ungewollte Berührungen, sexuelle Witze, zweideutige Anspielungen. Kleine Dinge, die es Frauen sehr schwer machen zu wissen, wann sie Stop sagen sollen. Gleichzeitig müssen sie tagtäglich mit einem Unbehagen bei der Arbeit, in den Straßen, in der Schule zurechtkommen. Eine ständige Erinnerung daran, dass man, vor allem anderen, ein sexuelles Wesen ist.

„Aber was ist mit den Frauen, die entschieden haben mitzuspielen und einen sexuellen Gefallen gegen eine Filmrolle eintauschen?“, wunderst du dich jetzt vielleicht. Aber entscheiden sich diese Frauen wirklich oder ist es ein Machtkampf? Treffen sie die „falsche“ Entscheidung, oder ist es die einzige Wahl, die sie haben in einem Umfeld, das durch Machtungleichgewichte geprägt ist?

Werde ich trotzdem eingestellt, auch wenn ich nein sage?

Mit Anfang zwanzig, bin ich nach Barcelona gezogen, um Arbeit in Kinos und Werbeproduktionsfirmen zu finden. Ich hatte viele Vorstellungsgespräche und habe eine Menge unangemessener E-Mails von Personalern bekommen, die natürlich allesamt Männer waren. Einer kontaktierte mich am Tag nach meinem Bewerbungsgespräch, um mich zu fragen, ob wir nicht an dem Wochenende zusammen Essen gehen wollen. Ein anderer schlug mir ein Vorstellungsgespräch beim Mittagessen, außerhalb des Büros, vor. Ich bekam sogar einmal eine Einladung zu einem Konzert.

Der Großteil der Männer war zwanzig Jahre älter als ich, gefestigt in ihren Karrieren, anerkannt von ihren Kollegen, und sie betrachteten mich nicht von einem professionellen Standpunkt aus, sondern sahen mich als eine Möglichkeit, um Sex zu haben. Bewusst oder nicht, sie haben die Situation und ihre Position ausgenutzt. Ich bin ein Teil der Frauen, die sich irgendwann fragen mussten: Wenn ich jetzt Nein sage, werde ich dann im Einstellungsverfahren immer noch berücksichtigt? Das war einer der Gründe, aufgrund derer ich realisiert habe, dass ich meine eigene Firma gründen muss, wenn ich im audiovisuellen Bereich arbeiten wollte. Ich wollte mir diese Einladungen und E-Mails nicht länger gefallen lassen. Es war geistig ermüdend.

Auch die Porno-Industrie ist betroffen

Wie in jeder anderen männerdominierten Branche, sind Machtungleichgewicht und Belästigung auch in der Pornoindustrie allgegenwärtig. Als Pornostar Eva Lovia gefragt wurde, was sich ändern muss, damit sich die gesamte Industrie verbessert, meinte sie, dass der Moment, in dem du deinen Widerwillen runterschluckst, der Moment ist, in dem du all deine Kolleginnen und Kollegen dazu verdammst, es dir gleichzutun. Das ist etwas, das fast jede Frau nachempfinden kann. Dieses Gefühl, lieber nichts zu sagen, weil eh nichts getan werden kann und du den Job nicht verlieren oder Unbehagen am Arbeitsplatz entstehen lassen möchtest. Die Schande, die du mit dir rumträgst. Sich nicht zu äußern ist üblich.

Es ist eine übliche Entscheidung, die schädlich für unsere Gesellschaft als Ganzes ist.

„Es liegt viel Verzweiflung und Not in dem Gedanken die Wahrheit zu erzählen.“

Ein weiteres Problem unserer Gesellschaft, das aus kultureller Frauenfeindlichkeit und Sexismus resultiert, ist das Risiko als Unruhestifterin, als Lügnerin, die nach Aufmerksamkeit sucht, abgestempelt zu werden. Oder auch als Feigling oder Heuchlerin zu gelten, weil man sich erst so spät zu Wort gemeldet hat. Die soziale Verurteilung trägt zur Wahrscheinlichkeit bei, am Arbeitsplatz attackiert oder auf die schwarze Liste gesetzt zu werden.

Bringt mehr Frauen in Machtpositionen

In dem Moment, in dem ich „Erika Lust Films“ gegründet habe, wusste ich, dass ich in der Lage wäre, ein sichereres Umfeld für weibliche Darstellerinnen in der Branche zu schaffen, wenn ich mehr Hauptrollen mit Frauen besetze, mehr Frauen hinter die Kamera hole, ans Set, in die Vorfertigung, also im Wesentlichen in Machtpositionen. Ich kann es nicht oft genug sagen und werde es auch weiterhin unermüdlich betonen: Bringt mehr Frauen in Machtpositionen.

„Einfach alles, von dem was wir in Fernsehserien und Filmen sehen, bis zu der Art und Weise, wie Unternehmen geführt werden, wird von Männern bestimmt.“

Wenn es eine wertvolle und wichtige Sache gibt, die wir von der Metoo-Bewegung mitnehmen sollten, dann ist es, dass ein Übermaß an Männer in Machpositionen ein Klima des seriellen sexuellen Raubzugs schaffen kann, dem wir uns entgegenstellen müssen. Wir sind gerade dabei, das gigantische Ausmaß des Problems aufzudecken – lasst uns jetzt nicht nur in unserem Elend suhlen, sondern diese Wut nutzen, um uns zu verbünden, zusammen zu stehen und dafür kämpfen, dass Frauen die Führung übernehmen. Es ist höchste Zeit, etwas zu verändern.


Übersetzt aus dem Englischen von Celia Parbey.

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