Foto: Piron Guillaume | Unsplash

Als angehende Chirurgin begegnet mir Sexismus jeden Tag – es reicht!

Sexismus ist auch in der Medizin immer noch Alltag. Unsere Community-Autorin ist angehende Ärztin und berichtet anonym von ihren Erfahrungen.

Sexismus ist Alltag für eine angehende Ärztin

„Sie sollten sich das mit der Chirurgie als Frau gut überlegen…“ Ein Satz, den ich von einem guten Kollegen in der Weiterbildung gehört habe. Über Sexismus in unserer Branche wird aber kaum gesprochen. De meisten halten aus Angst um ihre Karriere die Klappe. Mir reicht es jetzt, denn ich bin Feministin und möchte in der Medizin etwas bewegen.

Ich bin angehende Ärztin, gerade in meinem chirurgischen Training und ich bin wütend. Ich hatte mich vorher nie für die Chirurgie interessiert, aber bei diesem Training im praktischen Jahr des Studiums habe ich meine Fähigkeiten erkannt und „für eine Frau bzgl. meiner chirurgischen Fähigkeiten sehr gutes Feedback erhalten“. Unter anderem hatte man mir vorgeschlagen in der Chirurgie anzufangen. Soweit so gut und wie sieht es hinter dem oberflächlichen Bild aus? Ich habe gleichzeitig mit einem männlichen Kollegen gestartet und es ist richtig, man muss als Frau doppelt so gut sein und doppelt so engagiert sein. Das war ich auch, immer bereit Überstunden zu machen, immer bereit in den OP zu gehen, „vorausschauend und organisatorisch wirklich exzellent” (Zitat des Oberarztes).

Trotz all des positiven Feedbacks wurde mein männlicher Kollege, der weniger talentiert war als ich, ernster genommen von den Pfleger*innen und auch von den männlichen Kollegen immer gefördert, obwohl er noch nicht einmal Chirurgie machen wollte. Er hat mich natürlich als Konkurrenz gesehen und war immer geschockt, wenn ich als Frau angerufen wurde, um in den OP zu gehen. Das hat sich vor allem in seiner Körpersprache und seinen Blicken gezeigt. Er konnte das nicht verstehen, nicht wegen Zweifeln an meiner Kompetenz, sondern wegen meines Geschlechts. Das würde er aber nie zugeben. Diese unterbewusste Konkurrenz saugte mir die Energie aus und ich empfand es als unglaublich unfair.

Die Strukturen im OP sind auf männliche Ärzte ausgelegt

Die männlichen Operateure fühlen sich oft wohler mit einem jungen Mann an Ihrer Seite als mit einer Frau, da man am Operationstisch sehr nah beieinander steht. Meiner Meinung nach war der einzige Grund, warum ich es trotzdem häufig in den OP geschafft habe, dass ich wusste, wie ich mich nützlich machen könnte während der Operation und gut assistierte. Auch schätzte ich die OP-Pfleger*innen und kannte Sie alle mit Namen, sodass sie mich gerne im OP-Saal hatten. Die Aufgabe als Jüngste am Tisch ist es, den Operateur*innen so gut zu helfen, dass die Operation sich für sie einfacher gestaltet. Bei ungeübten Anfänger*innen muss ständig gesagt werden, was sie zu tun haben, mir aber zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Am Ende wurde ich von vielen Operateuren und Professoren dazu gewünscht. Aber wie sieht die Kehrseite davon aus?

Ich bekomme als Frau sexistische Sprüche im OP-Saal ab und muss mir anhören, wie über die Frauen abgelästert wird, die als Feministinnen in Erscheinung treten. Nur zwei Beispiele für Sprüche, die ich mir anhören musste: „Immer die Frauen, die gleich zur Gleichstellungsbeauftragten rennen, wenn es mal etwas deftigere Witze im OP zu hören gibt”, „Anstrengend diese Weiber! Und diese MeToo Debatte absoluter Schwachsinn – ich kann ja auch mal eine Debatte starten, dass ich nicht alles bekomme, was ich möchte. Wie ein kleines Kind”. 
Ich musste mich jedes Mal zusammenreißen, um nicht auszurasten. Die Denkweise der alten Männer zu ändern, scheint unmöglich. Die älteren Chirurginnen haben sich Nischen gesucht. Entweder sie sind in Richtung Administration oder klinische Studien gegangen und sind nicht mehr im OP. Der Frauenanteil liegt in Universitätskliniken bei unter 10 Prozent in der Chirurgie und die anderen Frauen werden höchstens einmal die Woche in den OP eingeteilt. Männer im gleichen Weiterbildungsjahr werden viel häufiger eingeteilt, nämlich einmal am Tag. Jede*r weiß es, keine*r verliert ein Wort darüber. Einige Frauen fangen an der Uniklinik in der Chirurgie an und verlassen nach ein bis zwei Jahren aus Frustration die Klinik wieder.

Die Ungerechtigkeit in meiner Branche macht mich wütend

Es frustriert mich so, dass Männer immer bevorzugt werden, auch wenn man als Frau doppelt so gut ist. Man muss sich als Frau immer mehr anstrengen, man darf nicht krank sein. Denn es herrscht immer noch der Mythos vor, Männer würden nie krank werden. Wenn Frauen sich krankmelden wird das deshalb gleich auf ihr vermeintlich „schwächeres Geschlecht” zurückgeführt. Man muss darum kämpfen, die gleichen Dinge wie Männer machen zu dürfen. Es hat mich so fertig gemacht zu sehen, wie meine männlichen Kommilitonen im OP mehr machen durften, schlicht weil sie Männer waren. Da ich mir das aber nicht gefallen lassen wollte, habe ich verlangt, dass ich Dinge wie Intrakutan-Nähte oder Annähte von Drainagen eben auch durchführen durfte. Und als sie sahen, dass ich das gut kann, haben sie es mich öfter machen lassen.

Man wird als Frau unterschätzt, weil man selten eine Frau am OP-Tisch sieht. An meinem ersten Tag auf einer neuen Station sagte einer meiner Jungkollegen zu mir: „Du bist ja sehr ehrgeizig!“ Würde man das etwa zu einem Mann auch sagen? Nein natürlich nicht, man würde ihm auf die Schulter klopfen und ihm versichern, was für ein toller Hengst in der Chirurgie er doch sei.

Ich wehre mich, damit es bald mehr Frauen in der Chirurgie gibt

Der sexistische Höhepunkt meines chirurgischen Trainings war die Aussage eines Kollegen, der sich für die Fachrichtung der Chirurgie entschieden hat und inmitten seiner Weiterbildung ist: „Du solltest dir als Frau gut überlegen, ob du in die Chirurgie gehen möchtest? Das Fach ist nichts für Frauen und die ganz alten Professoren sind überzeugt davon, dass Frauen nicht in die Chirurgie gehören. Außerdem ist es ein anstrengender Job. Und das für die nächsten 20 bis 30 Jahre. Darüber hinaus gibt es so wenige Frauen in der Chirurgie, sodass dir der Austausch fehlt.“ Das allerschlimmste an dieser Aussage ist, dass dieser Kollege zu den anerkanntesten und bodenständigsten Kollegen gehört. Ich habe dann geantwortet: „Das ist doch keine Begründung. Gerade wenn es so wenige Frauen gibt, muss sich ja etwas ändern, damit mehr Frauen in diese Fachrichtung gehen.“

Ich nehme so einen Kommentar als Motivation. Und ja, es gab einen Facharzt und einen Oberarzt, die mein Talent unterstützten und mir sagten, dass ich bisher eine der besten Student*innen, wenn nicht sogar die beste, in der Chirurgie war. Man sollte auf die Menschen hören, die einen unterstützen. Man kann den Kommentar des Jungkollegen daher als Neid oder aus Konkurrenzangst interpretieren. Im 21. Jahrhundert ist es immer noch so schwer für Frauen in der Chirurgie. Dieser Bericht ist deshalb ein Aufruf an alle angehenden Ärztinnen: Folgt euren Träumen. Bildet ein Netzwerk und lasst es nicht zu, dass Männer euch einreden, ihr könnt etwas nicht.

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