Foto: Alexander Goll

Stefanie Sargnagel: „Das Matriarchat muss her“

Stefanie Sargnagels neues Buch besteht aus ihren Statusmeldungen in sozialen Netzwerken. Ein Gespräch über Therapien, die Quarterlife Crisis und Körperkult.

Die Aufgeräumtheit des Alnatura-Deutschland

Facebookposts sind das, womit Stefanie Sargnagel berühmt wurde. Obwohl sich große deutsche Verlage“ längere Texte von ihr wünschen, ist ihr drittes Buch wieder eine Aphorismensammlung geworden. Sein Titel lautet schlichtweg  Statusmeldungen. Zu ihrer zum Markenzeichen gewordenen roten Baskenmütze trägt Sprengnagel, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, ein knielanges schwarzes Kleid mit weißem Kragen. Eva Biringer, freie Autorin bei Zeit Online, trifft sie in einem Berlin-Mitte-Café, das Strandkörbe für ein gutes Ausstattungselement hält. Um die beiden herum junge Eltern und späte Erwachsene, die um zwölf die erste Mahlzeit zu sich nehmen. Es ist exakt jenes „Alnatura-Deutschland“, vor dessen Aufgeräumtheit der Österreicherin graut.

Frau Sargnagel, Ihren jüngsten Statusmeldungen“ ist zu entnehmen, dass sie neuerdings Spinat dünsten und zur Therapie gehen. Ist das nicht ein Zugeständnis an einen Lifestyle, den Sie eigentlich verachten?

Ich richte mich ja nicht gegen den einen Lifestyle. Das geht gegen Ökohipster genauso wie Kunststudenten, die Arbeiterklasse und mich selbst. Böse meine ich das eh alles nicht, eher als liebevolles Bashing, außer gegenüber den Rechten und anderen Arschlöchern. Aber stimmt schon, ich bin fader geworden. Rückblickend fand ich mein erstes Buch mit Abstand am freshesten. Ich packs einfach nicht mehr, drei Tage fertig zu sein von einem Mal Saufen. Aber keine Sorge, es kommen schon neue Alki-Punks nach. Bei Lesungen sage ich immer: Ich wollte eh im Bürgertum ankommen.‘ Ich hab nix gegen eine Eigentumswohnung und gute Ernährung. Außerdem war ich noch nie so unkonventionell, wie ich gesehen werde. Manchmal sagen Leute zu mir das findest du sicher total spießig, aber spießig sein bedeutet für mich, intolerant gegenüber anderen Lebensentwürfen zu sein, nicht eine kleine Familie und ein Haus zu haben.

Ist das diese Quarterlife Crisis, von der alle reden?

„Mit dem Begriff kann ich wenig anfangen. Die letzte sozial gemischte Gruppe, in der ich war, war die Schule und auch da war ich nicht repräsentativ für meinen Jahrgang, sondern ein Freak. So ist es noch immer, im Sinn von: Ich stehe für keine bestimmte Altersgruppe. Allerdings beobachte ich, dass viele meiner gleichaltrigen Freunde mit Drogen und Trinken aufgehört haben und jetzt Therapie machen. Bis 30 ist das so eine Selbstfindungsphase, dann denkst du dir ‚ja vielleicht sollte ich doch was machen, sonst ist das halt mein Leben.‘ Ich finde es legitim, fader zu werden, solange man sich eine gewisse Grundskepsis behält. Außerdem habe ich das Gefühl, genug ausgegangen zu sein. Obwohl ich so ein bisschen versumpert bin und einen Hang zum Depressiven hatte, bereue ich nichts.“

Machen Sie noch Ihre Therapie?

„Ja, ich glaube, es ist eine Gesprächstherapie. Eigentlich wollte ich eine Verhaltenstherapie machen, aber die erste Psychiaterin, bei der ich war, hat mich nicht gestört. Ich würde einfach gerne ein bisschen normaler werden. Therapie ist super, kann ich nur empfehlen.“

An einer Stelle Ihres Buchs heißt es: Wie kriegt ihr euer Leben auf die Reihe ohne meine Mama?

Natürlich ist es nicht leicht, selbstständig zu werden, wenn man immer in allem bestätigt wird. Die Jungen werden später erwachsen, weil sie mehr Möglichkeiten haben und in den meisten Fällen mehr verwöhnt wurden als ihre Eltern. Außerdem ist es eine Frage des Milieus. Manche gehen hackeln, seit sie 16 sind, die können die sich dann mit 20 locker Gedanken um die Familienplanung machen.

Woher beziehen Sie Ihre Inspiration, wenn Sie nicht mehr mit Fremden in heruntergekommenen Kneipen hängen?

„Gewisse skurrile Dinge passieren nachts in Lokalen, das sind halt die Abstriche, die man machen muss, wenn man nicht mehr trinkt. Die Ideen gehen mir trotzdem nicht aus. Mich inspiriert Müßiggang, herumspazieren, Schabernack. Nichts tun finde ich immer gut. Und natürlich das Internet. Der Nachteil ist, dass dadurch meine Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Selbst wenn mir ein Buch voll taugt, lege ich es nach sechs Seiten weg, weil ich nur kurz was am Handy schaue und dann eine Stunde im Internet bin.“

Wie verbringen Sie diese Stunde?

„Herumspringen bei Instagram, Facebook, selbst was rausposten, schauen, was kommentiert wurde. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen zwei Wochen mal nicht im Internet war, weiß ich oft gar nicht, was ich dann im Internet machen soll. Trotzdem bin ich voll Anti-Internet-Bashing. Schon deshalb, weil sich im Internet alles von selbst archiviert. So unordentlich wie ich bin, würde sich das sonst alles verlieren.“

Bekannt wurden Sie durch Ihre Facebookposts. Entspricht die Kürze Ihrer Texte einer Generation, der man eine kurze Aufmerksamkeitsspanne nachsagt?

„Mir liegen die kurzen Texte einfach mehr. Sowieso sehe ich mich nicht als so eine Generationenautorin. Entscheidender ist doch das Milieu, aus dem man stammt und in dem man sich bewegt. Ich bin ein linker Künstlertyp und nicht repräsentativ für Karierrefrauen in der Wirtschaft oder Bäckergesellen.“

Aufgewachsen sind Sie in einem Wiener Randbezirk. Sie haben ein Faible für Richard Lugner, Ghettokids und Chinabuffets. Obwohl Sie mit diesem bildungsfernen Lifestyle kokettieren, ist Ihr Publikum relativ homogen.

„Abgesehen davon, dass halt kaum Arbeiter bei meinen Lesungen sind, ist mein Publikum inzwischen ziemlich durchmischt. Früher kam nur dieses Indiepublikum, mittlerweile auch die Eltern von Freunden und Ältere, alles Leute mit schwarzem Humor. Und meine Familie. Die erdet mich total. Mein Vater ist Arbeiter, meine Mutter Krankenschwester. Einige in meiner Familie aus meiner Generation studieren auch, aber Betriebswirtschaft oder Sozialwissenschaft, also irgendwas Vernünftiges. Die älteren Generationen waren Bauern. Demnächst lese ich bei einem Festival in Kärnten, zu dem meine Mama und Tante anreisen. Die sind so angenehm normal und freuen sich total über das Gratisessen im Backstagebereich.“

Früher haben Sie Ihr Geld in einem Callcenter verdient. Jetzt sind Sie offiziell selbstständige Künstlerin. Fehlt Ihnen das Callcenter?

„Der Job war ganz gemütlich, aber fehlen tut er mir nicht. Wobei ich die Perspektive eines prekären Sieben-Euro-Jobs interessanter finde als die einer selbstständigen Künstlerin.“

Sind die Callcenter-Dialoge, die Sie in Ihren Büchern wiedergeben, echt?

„Ja, eins zu eins. Bei Lesungen kommen die immer mit am besten an, dabei öden sie mich mittlerweile ein bisschen an. In jedem Dienstleistungsjob hast du urabsurde Begegnungen, da reden die Leute einfach urkomischen Scheiß. In echt hat mich das gar nicht so geflasht, erst durchs Aufschreiben wurde es skurril.“

Könnten Sie sich eine andere Festanstellung vorstellen?

„Freunde von mir geben Zeichenkurse. Manchmal erwäge ich, mein Studium an der Akademie der bildenden Künste doch noch zu beenden. Wirklich abgebrochen habe ich ja gar nicht, nur irgendwann aufgehört, Studiengebühren zu zahlen. Mit einem Diplom könnte ich am Gymnasium Zeichnen unterrichten. Ich fände es lustig zu erfahren, was bei jungen Leuten so abgeht.“

Im Hinblick auf soziale Medien könnte man denken: hauptsächlich der Drang nach Selbstoptimierung. Ob die mit 30 ähnlich entspannt sein können wie Sie oder, im Gegenteil, glauben, etwas verpasst zu haben, im Sinn von Hoppla, ich hab mich ja die letzten 15 Jahre nur selbst optimiert?

Kommt drauf an, von wem wir reden. Sind die Fitnessstudioleute nicht eher die aus der Arbeiterschicht? Man sagt immer, dass die jungen Leute ambitionierter werden, aber dazu kenne ich zu wenige. Beziehungsweise nur Kunststudenten, und die sind immer anders drauf.

Nehmen wir Instagram. Wenn man sich anschaut, was da beliebt ist, sind es hauptsächlich Thigh Gaps“ und „No Sugar Challenges“.

„Wenn ich mir bei Instagram Fotos nach dem Zufallsprinzip anschaue, werden mir da dünne Yogamädchen genauso angezeigt wie ‚fat positivity‘ oder ‚artsy girls‘, die pornoartige Fotos von sich machen, aber so selbstbewusst-feministisch. Oder Riesenhintern. Das ist ein richtiger Kult gerade: schlanke Frauen mit riesigen Hintern. Komischerweise sehe ich kaum Männer, entweder, weil Körperkult bei denen nicht so wichtig ist, oder weil ich zu wenig Schwule im Feed habe. Dieser Fitnesswahn nervt mich auch, aber noch schlimmer sind Frauen, die keine Muskeln haben wollen, weil sie dann nicht mehr zierlich wirken. Eine Frau, die aussieht, als könnte sie dich zusammenschlagen, spricht mich schon an.“

Solidarität unter Frauen ist ein großes Thema für Sie.

„Gerade weil ich so viel allein bin bei meiner Arbeit als Autorin, brauche ich als Ausgleich den Austausch mit anderen. Es gibt nichts Besseres, als sich mit coolen Frauen Schabernack auszudenken. Im Oktober gehe ich gemeinsam mit den Wiener Rapperinnen Klitclique auf Tournee, das wird cool. Anschließend dann mit Puneh Ansari, die Texte im Social Media produziert.“

Gemeinsam mit anderen österreichischen Künstlerinnen haben Sie die feministische Burschenschaft Hysteria gegründet. Was genau machen Sie da?

„Wir treffen uns zum Singen und verhelfen uns gegenseitig zu Machtpositionen in der Gesellschaft. Gerade geht es darum, wie wir eine Kulturförderung in Höhe von 100.000 Euro am besten verscherbeln. Es gibt so viele Männer, die den ganzen Tag im Internet Frauen demütigen. Ich staune immer wieder, wie viele Typen es triggert, wenn man als Frau Raum einnimmt. Oder wenn man nicht dem konventionellen Frauenbild entspricht, obwohl ich mich als gar nicht so unkonventionell sehe. Männer müssen einfach ein bisschen aus der Öffentlichkeit verdrängt werden. Das Matriarchat muss her.“

Bis September sind Sie offizielle Stadtschreiberin von Klagenfurt. Was machen Sie dort?

„Meistens spaziere ich einfach bloß rum und find alles sehr nett.“

Ihre ersten beiden Bücher Binge Living: Callcenter Monologe“ und „Fitness“ erschienen in einem österreichischen Indieverlag. Was hat sich durch den Wechsel zu einem großen Verlag verändert?

Es ist bequemer geworden. Früher musste ich mich selbst um Werbung und so einen Kram kümmern, heute kriege ich einen Timetable mit Interviewterminen und Lesereisen. Von denen gab es letztes Jahr um die 100 Stück, so viel will ich mir 2018 nicht mehr zumuten. Man darf das Müßiggehen nicht vergessen. Ich lebe jetzt das Leben einer selbstständigen Künstlerin, mit allen Vor- und Nachteilen.

Wie organisiert ist dieses selbstständige Leben?

„Das ist ja zum Glück nicht wie bei einer Romanautorin, die sich zu einer festen Zeit an den Schreibtisch setzt. Ich gehe viel spazieren, da kommen mir die besten Ideen. Ich hab auch keinen Entwurfsordner für meine Posts, alles wird direkt veröffentlicht, höchstens nachträglich ein wenig korrigiert. Vor zehn stehe ich nicht auf. Ansonsten bin ich ziemlich weit weg von meinem früheren Slackerlifestyle, möchte mich aber wieder hinarbeiten.“

Dieser Text ist zuerst auf Zeit Online erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

Stefanie Sargnagel: „Statusmeldungen“, Rowohlt, 2017, 304 Seiten, 19,95 Euro

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