Foto: Navabi

Vergessene Frauen: Wieso die Mode-Industrie mit Size 0 an der Realität vorbei denkt und Milliarden verschenkt

„Niemand will runde Frauen auf dem Laufsteg sehen“, sagte Karl Lagerfeld 2013. Wieso die Industrie die Realität der Frauen ausblendet bleibt eine Frage.

 

Ein Milliarden Markt bleibt unberücksichtigt

Karl Lagerfelds kontroverse Aussage von vor zwei Jahren entfachte ein regelrechtes Feuerwerk an Vorwürfen. Es folgten sogar Anzeigen. Ein Jahr später sind wir aber keinen Schritt weiter, wenn es um die Akzeptanz von Frauen mit großen Größen im High-Fashion-Bereich geht. Ein Großteil der Modeindustrie lebt seit Jahren an der Realität der Frauen vorbei. Das transportierte Bild macht nicht nur viele krank, sondern ist auch schlecht für das Geschäft. Als Gründer des Startups navabi, einem einem Premium-Online-Retailer für Damenmode ab Größe 42, weiß ich das genau. Wir benötigen ein radikales Umdenken der Industrie.

Eine einzelne Curvy Show auf der letzten Berlin Fashion Week – obgleich diese ein richtiger und wichtiger Schritt ist – reicht nicht aus: Die Industrie bleibt ignorant gegenüber den Bedürfnissen dieser Frauen aus der realen Welt. Die Tatsache, dass die durchschnittliche europäische Frau Größe 42 bis 44 trägt, zeigt, dass ihr Ausschluss von Luxusmode nicht nur moralisch falsch ist, sondern auch schlecht für das Geschäft einer ganzen Branche. Diese große Diskrepanz zwischen Laufsteg und Realität muss sich ändern.

Plus-Size als unmodisch?

Für kurvige Frauen ist der Kleiderkauf oftmals eine schmerzvolle Erfahrung. Häufig führen Geschäfte nicht alle Größen, ihre Kleidung wurde nicht so entworfen, dass sie einer fülligeren Figur schmeichelt und die Auswahl und Qualität der verfügbaren größeren Größen sind nicht gut genug. Shopping sollte Spaß machen und therapeutisch sein, aber das ist für viele nicht der Fall. Das hören wir jeden Tag von unseren Nutzern.

Momentan ignoriert die Modeindustrie Frauen mit großen Größen, wodurch Millionen, die sich gerne modebewusst kleiden wollen, keine ansprechende Bekleidung für sich finden. Neben der Tatsache, dass sie ignoriert werden, erhalten diese Frauen nie die Chance sich beraten oder von Zeitschriften inspirieren zu lassen, die ihnen sagen was ihnen am besten steht. Allein in Europa ist der Plus-Size-Markt potenziell Milliarden Wert für Einzelhändler. Dank des E-Commerce-Booms, der sich auf dem gesamten Kontinent ausbreitete, entwickelte sich der kurvige Markt zielgenau zum am schnellsten wachsenden Segment im weiblichen Bekleidungsbereich.

Wenn man auf den blinden Fleck Plus-Size-Mode anspricht, ist nicht die High-End Fashion allein Schuld. Die Medien sind ebenfalls verantwortlich für ihre Darstellung von Frauen, präsentieren sie doch diejenigen die stockdürr sind, als modisches Ideal. Auf die gleiche Weise tendiert Hollywood dazu Protagonistinnen mit größeren Größen zu meiden (außer sie haben eine Rolle in einer Komödie), so dass kurvige Frauen grauenhaft unterrepräsentiert sind. Wir kennen das Spiel alle und spielen es zu häufig selbst mit.

Nachfrage nach Plus-Size enorm

Doch wenn Organisationen außerhalb der Norm agieren, lösen sie oft Empörung aus. Der Aufschrei, um die Inklusion des Größe 38 Models Myla Dalbesio in einer Calvin Klein Kampagne neben den zierlichen Models, ist ein perfektes Beispiel dafür, was passiert, wenn eine Marke die aktuellen Vorgaben der Darstellung schlanker Frauen bricht.

In der Vergangenheit war der Kleidungsstil für kurvige Frauen vor allem günstig, von geringer Qualität und kaum modisch. Jedoch möchte nicht jede Frau mit Plus-Size ihre Kleidung bei einem Teleshopping-Kanal kaufen oder in einem Spezialkatalog bestellen. Dabei kann viel mehr für die Ein- und Aufteilung der verfügbaren großen Größen umgesetzt werden. In der „Kleine Größen Welt“ ist die Bekleidung sortiert nach Preisklasse, Qualität, Lifestyle-Bedarf und Stil. Aufgrund der wenig überdachten Wahrnehmung, dass füllige Frauen weder an Mode noch an ihrem Aussehen interessiert seien, wird ihnen ein eindimensionaler Markt geboten. Dieser Mangel an High-End Auswahl für Frauen mit Plus-Size ist nicht nur schädlich für Konsumentinnen, sondern sorgt auch dafür, dass die Industrie als ganzes Milliarden von Euro verspielt.

Die Nachfrage nach Premium Plus-Size-Mode beweist, dass das Potenzial des Marktes riesig ist. Davon profitiert auch mein Unternehmen, das ist klar, weil Investoren diesen Markt erkennen. Unsere letzte Finanzierungsrunde lag bei 25 Millionen Euro. Size 0 ist nicht das Ziel; wir sollten den Modebereich liberalisieren und die Größendimensionen außen vor lassen.

Mode-Industrie krankt an elitärem Denken

Gegenwärtig krankt die Mode-Industrie schwer an ihrem elitären Denken. Dieser oberflächliche Ansatz gibt vor, dass einige Individuen es verdient haben Qualitätskleidung und -marken zu tragen, andere nicht. Zu einem sehr großen Teil liegt die Schuld dafür bei uns als Gesellschaft. Wir müssen hinter die Fassade blicken und den Charakter an mehr als nur physischen Attributen beurteilen. Wie weit wäre Steve Jobs gekommen, wenn man ihn allein nach seinem Modebewusstsein bewertet hätte?

Sonst bekannt für Innovationen sind Designer überraschend ideenlos, wenn es um einen neuen Ansatz für den Modemarkt geht. Die Dinge ändern sich sehr langsam. Für echten Fortschritt in der Plus-Size-Debatte müssten Marken, Magazine und PR-Agenturen, die in dieser Industrie tätig sind, das Stigma der kurvigen Mode aktiver adressieren. Ein wegweisender Richtungswechsel in der Modeindustriesetzt voraus, dass High-End Marken und Medien gemeinsam daran arbeiten anzuerkennen, dass für viele Frauen Plus-Size die Norm ist.

Ignoranz gegenüber Plus-Size-Größen muss aufhören

Durch ihre Ignoranz gegenüber Frauen mit großen Größen erodieren High-End-Fashion-Marken und Einzelhändler nicht nur weltweit das Selbstbewusstsein von Frauen, sondern stoßen Millionen von potenziellen Kundinnen vor den Kopf. Der Markt für Premium Plus-Size Fashion in Europa ist reif für Einzelhändler und Marken, die gezielt modebewusste Frauen ansprechen wollen, die nicht als Hungerhaken durchgehen. Wenn die Fashion-Industrie ihren Snobismus ablegen kann, profitieren alle: Einzelhändler, Marken und Konsumentinnen.

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