Foto: Corina Rainer

9 Dinge, die wir von Dragqueens lernen können

Als ich eine Nacht lang mit einer Dragqueen unterwegs war habe ich mindestens genauso viel gelernt wie nach der Lektüre eines Selbsthilfebuches.

 

Travestiekünstlerin “Roxxy” gewährte mir für eine Fotostrecke Einblick in ihre Verwandlung. Neben den Bildern, die bei der beeindruckenden Transformation entstanden sind, hatte ich auch viele erhellende Momente. Fest steht: wir biologischen Frauen können uns da so einiges abschauen. 

 

# 1 Bereite dich minutiös vor

Vier Stunden dauert die Verwandlung vom Mann zur Dragqueen. Drei Schichten Grundierung, zwei Schichten Fakewimpern, hellblaue Kontaktlinsen, eine platinblonde Perücke, falsche Brüste, Strümpfe und High Heels. Dazwischen gibt es Prosecco-Pausen und Tanzeinlagen. Es wird gelacht, getanzt und geraucht. Die Weiblichkeit wird zelebriert und zum Schluss ist «Queen Roxxy» sowohl physisch als auch mental bereit für ihren Auftritt. Bei der Vorbereitung geht es weniger um die äussere Verwandlung sondern mehr darum, dass man sich innerlich gewappnet fühlt für die bevorstehenden Abenteuer und Unternehmungen.

 

# 2 Greife wenn nötig tief in die Trickkiste

Die Augenbrauen werden mit violettem Leimstift aus den USA abgeklebt. Der dunkle Schatten des abrasierten Bartes wird mit einer Schicht rotem Lippenstift unter dem Make-up kaschiert. Zwei unterschiedliche Farben Theaterschminke verkleinern die Nase optisch. Mich lehrt das: verfügbare Werkzeuge soll man gebrauchen. Ungeniert und so viel man braucht. Denn ist das Endresultat gelungenen, fragt dich keiner mehr, auf wie viele Hilfsmittel du angewiesen warst.

  

# 3 Sei kreativ und frei

Im Trott der täglichen Routine vergessen wir oft, wie viele Möglichkeiten es in der Gestaltung des eigenen Erscheinungsbildes gibt. Wir können mit der Wahl der Frisur, Make-up, Kleidung und Schuhe jedes erdenkliche Erscheinungsbild kreieren. Das macht Spass und ist zudem ein Weg, sein inneres Wesen zumindest schon mal an der Oberfläche frei zum Ausdruck zu bringen. Egal ob feminin, androgyn, maskulin – sportlich, klassisch oder eigenwillig.

  

# 4 Du kannst dich jederzeit ändern

Während dem Auftritt als Dragqueen erschafft der Künstler eine fiktive Persönlichkeit. Dadurch kann er sich frei von Zwängen und gesellschaftlichen Erwartungen ausleben. Er entscheidet bewusst darüber, wer er an diesem Abend sein will und lebt dies durch seine Kunstform aus. Doch auch für uns Nicht-Dragqueens, liegt die Entscheidung darüber, wer wir sein wollen zu jedem Zeitpunkt bei uns selbst. Ich kann entscheiden was meine Person ausmacht und wenn ich will, kann ich dies jederzeit ändern.

  

# 5 Sei furchtlos gegenüber den Reaktionen der Öffentlichkeit

Alle Blicke liegen auf der zwei Meter grossen Schönheit. Manche sind neugierig, andere abschätzend, manche bewundernd. Währenddessen schreitet sie grazil Richtung Nachtclub und lässt sich davon nicht beeindrucken. Selbst wenn sie sich ihrer Wirkung bewusst ist, weiss sie: Es ist nicht sie als Person, welche diese Reaktionen hervorruft. Es ist die Konfrontation von gesellschaftlichen Normen und Werten, welche ihre Erscheinung bei den Betrachtern auslöst. Dieses Wissen erlaubt es ihr, sich allen zu zeigen. Seelenruhig und im Reinen mit sich selbst.

  

# 6 Gib 0 Fucks darauf, was die Leute denken

Travestie provoziert. Sich zudem selbstbewusst in der Drag-Rolle zu präsentieren hat oftmals zur Folge, dass Kritiker ihrer Meinung freien Lauf lassen. Doch sollte man sich davon beeindrucken lassen? Keiner kann jemals allen Ansprüchen sämtlicher Mitmenschen genügen. Und wer will schon den Ansprüchen jener gerecht werden, die ihresgleichen weder mit Akzeptanz noch Toleranz begegnen? Niemand.

  

# 7 Umringe dich mit deiner Crew

An der LGBT-Party trifft Roxxy auf ihre Crew, die sie nicht beurteilt sondern feiert. Wähle deine Community ebenfalls so, dass sie aus Leuten besteht, die dich bestärken und dir helfen. Positive Menschen, Angehörige deines Tribes und Freunde, die dich in deinem Vorhaben bestätigen und dich unterstützen. Durch deine Verbündeten bekommst du den nötigen Durchhaltewillen für die Dinge, die du erreichen willst.

  

# 8 Lache über dich selbst in schwierigen Umständen

„Auf welche Toilette gehe ich denn jetzt?“ Das Problem der geschlechtergetrennten WCs handhaben Dragqueens auf unterschiedliche Weise. Roxxy zum Beispiel könnte sich darüber aufregen, dass diverse Mitglieder der Gesellschaft jedes Mal diskriminiert werden, wenn sie mal müssen. Stattdessen aber gibt sie persönliche Anekdoten zum Besten und lacht dabei über sich selbst und diese skurrile Situation unseres Systems. Das ändert zwar nichts am Problem, jedoch lebt es sich wenigstens etwas leichter damit.

  

# 9 Du kannst jederzeit entscheiden, wer du sein willst

Gelernt habe ich durch Roxxy vor allem eines: Niemand kann uns vorschreiben, wie wir zu sein haben. Wir entscheiden zu jedem Zeitpunkt selbst, wie wir uns geben und welche Persönlichkeit wir verkörpern. Es fühlt sich befreiend an, sich dieser Tatsache bewusst zu werden. Frei zu entscheiden, wer wir sein wollen, ist keine Frage von Drag oder Nicht-Drag. Es ist eine Frage von meinen persönlichen Rechten als Individuum und Mensch.

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