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Weibliche Intuition: Als Mutter hui, im Job oft pfui

“Vergiss Google, hör auf Deine Intuition!” Das hören Mütteroft. Zurecht! Sitzen die gleichen Frauen allerdings in einer Besprechung, gilt das Bauchgefühl plötzlich nichts mehr. Daten und Fakten sind gefragt. Warum ist das, was privat so gepriesen wird, im Job nichts wert? Ein Plädoyer für mehr Vertrauen in der Arbeitswelt – vor allem

 

Vormittags im Meeting-Raum. Es geht um eine Kampagnen-Idee. Argumente
werden ausgetauscht, wohlklingende Marketingziele formuliert und
Begeisterung geschürt. Wie immer gibt es ein Alpha-Tierchen. Wie so oft
ist es ein Mann in Leitungsposition. Die meisten in der Runde steckt er
sofort an mit seinen Buzzwords und potentiellen Erfolgsaussichten. Man
müsse das jetzt unbedingt so machen, denn das hat bei so vielen schon
funktioniert. Und überhaupt sei es gerade Trend. In meinem Bauch regt
sich Widerstand. So gut das alles klingt, ich bin alles andere als
überzeugt. Im Gegenteil: Ich bin mir absolut sicher, dass es bei der
Zielgruppe nicht funktionieren wird. Ich versuche, Argumente zu finden,
mit denen ich diese klare Eingebung es untermauern kann. Es gelingt mir
nicht.

Sonntagsnachmittag zuhause. Es geht um die Planung der kommenden zwei
Wochen. Termine werden verglichen, ToDos formuliert und Entscheidungen
gefällt. Wie immer gibt es einen inneren Antreiber. Wie sooft ist es
meine Vernunft. Sie steckt mit Effizienzüberlegungen und best
case-Szenarien alle Skepsis in die Tasche. Das könne man schon so machen
mit dem Lütten. Gar kein Problem, dass er direkt nach seine Rückkehr
aus dem Oma-Opa-Urlaub wieder mit der Kita startet. In meinem Bauch regt
sich Widerstand. So gut das alles klingt, ich bin alles andere als
überzeugt. Im Gegenteil: Ich bin mir absolut sicher, dass ich mir einen
freien Montag als Puffer für ihn einplanen sollte. Ich versuche,
Argumente zu finden, mit denen ich diese klare Eingebung  untermauern
kann. Es gelingt mir nicht.

Vermutlich kennen viele von Euch solche Momente:
Entscheidungssituationen, in denen Ihr sehr genau fühlt, was ihr tun
solltet, ihr das aber nicht nachvollziehbar begründen könnt. In denen
Euch Eure Intuition ganz klar eine Richtung vorgibt, die auf den ersten
Blick aber nicht unbedingt vernünftig erscheint.

Die Sache mit der Intuition, sie ist so großartig und gleichzeitig so
schwierig. Großartig ist sie dann, wenn man auf sie vertrauen kann –
und  das Umfeld dieses Vertrauen teilt. Schwierig ist sie dann, wenn wir
sie nicht wahrnehmen (was laut diesem taz-Interview auch
durch Stress verursacht werden kann) oder die Menschen um uns herum auf
Teufel heraus wissen wollen, warum man eine Entscheidung treffen möchte
wie man sie eben treffen möchte.

„Ihr Gefühl sagt Ihnen das? Pff!“

Ich hatte eine Menge Meetingraum-Situationen wie die oben
beschriebene. Das Berufsleben ist geprägt von Besprechungen und darin
werden nun mal vorwiegend  Argumente ausgetauscht. Ein Einwand à la
„Mein Gefühl sagt mir, dass es am Ende nicht funktionieren wird“ wird in
der Regel nicht ernst genommen. Schon gar nicht, wenn er von einer
jungen Frau kommt. Als Frau muss man ja ganz im Gegenteil den eigenen
Sachverstand ständig unter Beweis stellen – Zahlen aus aktuellen
Statistiken oder Zitate aus aktuellen Experteninterviews  zu bemühen
kommt deutlich besser an als auf Erfahrungswerte oder Intuition
hinzuweisen. Schade ist das. Verdammt schade. Ich habe im Laufe der
letzten Jahre immer wieder erlebt, wie richtig ich mit meiner Intuition
lag. Und wie unschätzbar wertvoll es ist, ihr Raum zu geben.

Mit großer Freude habe ich den Worte von Tim Mälzer im „Hotel Matze“ zu
genau diesem Thema gehört. Denn seine Antwort auf die Frage, warum er
so erfolgreich mit der Bullerei ist, lautet im Kern: „Weil ich auf mein
Bauchgefühl höre“. Bei der Auswahl von Mitarbeiter*innen, bei der
Kreation von neuen Speisen und so weiter.

Was ich allerdings wirklich schwer finde, ist, mein Bauchgefühl
gegenüber anderen überzeugend zu vertreten. Wie  schon gesagt:
Anwesenden einer Beprechung wollen gern nachvollziehbar das Warum
erläutert haben. Aber Intuition zeichnet sich nun mal dadurch aus, dass
sie sich dem Intellekt entzieht. Man eben keine objektiv
nachvollziehbare Erläuterung in petto hat. Das Warum kann ich meist nur
oberflächlich klären, indem ich auf Erfahrungswerte hinweise. Denn
Erfahrungen, da bin ich mir sicher, haben einen Einfluss auf die eigene
Intuition. Wenn  Tim Mälzer auf einen nachweisbaren Erfolg zurückblickt
und ihn mit seinem Bauchgefühl begründet, so überzeugt das vermutlich
auch den letzten konservativen Controller. Wenn unsereins vor oder in
einem Projekt  mit dem Bauchgefühl argumentiert, sorgt das bei vielen
Menschen für Stirnrunzeln oder spöttisches Augenbrauen hochziehen.

„Hör immer auf Deinen Bauch!“

Interessanterweise wird die Intuition in einem anderen
Lebensbereichen  sehr gepriesen: im Leben mit Kindern. „Du darfst nicht
googeln, verlass Dich auf Dein Gefühl. Das weiß es am besten“ heißt es
da oft. Der sagenumwobene Mutterinstinkt sei der beste Wegweiser. Und
tatsächlich stimmt das.

Als ich vor der oben beschriebenen Entscheidung stand, einen
Mutter-Kind-Tag zwischen Großeltern-Urlaub und Kita-Rückkehr einzulegen,
habe ich mich ausnahmsweise einmal gegen mein Bauchgefühl entschieden.
Das sei bislang doch auch nie nötig gewesen, säuselte meine Vernunft.
Meine Intuition sagte etwas anderes. Und sie behielt recht. In diesem
konkreten Fall hätte der Lütte den emotionalen Anker für minestens einen
Tag gebraucht – sein Verhalten an den folgenden Tagen ließen keinen
anderen Schluss zu. Ein kleines Alltagsbeispiel, das mich mal wieder
daran erinnert hat, dass ich stets meiner Intuition folgen sollte.

Aber auch in vielen anderen privaten Bereichen wird es gepriesen, das
Bauchgefühl. „Soll ich das Jobangebot wirklich annehmen?“ „Hör auf
Deinen Bauch!“ „Könnte ich nach einem Umzug / einer Trennung/ nach einer
Kur wieder glücklicher sein?“ “ Wenn Deine Intuition Dir sagt, dass es
das richtige ist, tu es.“ Im Privaten wird von Vernuftentscheidungen
eher abgeraten, das Herz, das Gefühl, die Intuition soll lieber als
Kompass den Weg weisen.

Ich finde die unterschiedlichen Bewertungen von Inituition im Job und
im Privaten irre interessant. Und habe mich natürlich gefragt, woher er
rührt. Vermutlich ist es recht simpel: Innerhalb einer Organisation
möchte niemand dafür verantwortlich sein, dass etwas schief geht.
Vertraut AbteilungsleiterIn XY seiner Angestellten und ihrem
Bauchgefühl, so gerät er / sie gegenüber seines / ihres Vorgesetzten
vermutlich in arge Erklärungsnöte, wenn die Angelegenheit am Ende doch
mächtig schief läuft. Denn die einzige Erklärung, die er ins Feld führen
kann, wäre: „Wissen Sie, ich habe da voll auf die Intuition meiner
Mitarbeiterin Frau Soundso vertraut.“ Eine Erklärung, die meiner Ansicht
nach keine schlechte ist, aber die in vielen beruflichen Kontexten
einfach nocht keinen Stellenwert hat. Und da niemand angreifbar sein
möchte im Job, orientiert man sich häufig lieber an belastbaren Zahlen
und Expertenmeinungen. Intuition – get over it!

Ich meine: Was im Privaten so gepriesen wird, kann auch im
Job nicht falsch sein. Hören wir alle doch in der nächsten
Projektbesprechung mal genauer hin, wenn jemand von seinem Bauchgefühl
spricht. Und trauen wir uns doch einfach mal, solch einem Bauchgefühl zu
vertrauen.

Dieser Artikel wurde auch auf wortkonfetti.de veröffentlicht.

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