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Warum Small Talk Lebenszeit verschwendet – und 5 Gründe, warum du wertvollere Gespräche führen solltest

Es gibt diese Gespräche, die so richtig in die Tiefe gehen. Gespräche, bei denen wir so präsent sind, dass wir die kleinen Fältchen im Gesicht unserer Gegenüber wahrnehmen. Warum diese Unterhaltungen so wertvoll sind und mit welchen Fragen wir sie ins Rollen bringen.

Small Talk ist wie Sightseeing: Wir hangeln uns von einem Hauptpunkt zum nächsten, treiben auf der Oberfläche, anstatt einzutauchen in die Stadt oder in das Leben Menschen. Lange bleibt der Hop-on/Hop-off-Bus nie stehen, bevor er zur nächsten sehenswerten Station weiter rauscht. Tiefer haken wir beim Small Talk nie nach, bevor wir wieder aufs Wetter und die Arbeit zu sprechen kommen. Wir erfassen das vermeintlich Wichtigste und rauschen damit vorbei an den unerkundeten Winkeln und Gassen.

Dabei ist es doch meistens das kleine Café in der versteckten Nebenstraße, das zu unserem Lieblingsort wird. Und genau so sind es auch die versteckten und anvertrauten Geheimnisse, die uns tief mit einem Menschen verbinden. Deshalb kommen hier fünf gute Gründe, sich auf intensivere Gespräche einzulassen und außergewöhnliche Fragen zu stellen:

1. Freundschaften werden intensiver

1.367 Freund*innen zähle ich auf Facebook. Mit wem ich davon wirklich mal gesprochen habe und wer mir davon nur eine Fitness-Challenge mit Diät-Saft verkaufen will – ich habe ehrlich gesagt den Überblick verloren. Denn auch ich habe kein Superbrain. Ab 150 sozialen Kontakten stößt das menschliche Gehirn an seine Grenzen. Innerhalb dieses Zirkels fühlen wir uns unterschiedlichen Menschen unterschiedlich nah. Manche treffe ich beispielsweise super gerne auf Partys, aber allein auf einen Kaffee würden wir uns eher kaum verabreden. Drei bis fünf Freund*innen zähle ich zu meinem inneren Kreis, zu den Beziehungen, die mindestens so wichtig sind wie Familie, Menschen, mit denen ich mich ohne Worte verstehe und von denen ich vermeintlich alles weiß.

Aber auch mit diesen engen Vertrauten drehen sich Gespräche so zuverlässig immer wieder um die Arbeit wie die Erde um die Sonne. Dabei gibt es noch ein Universum voll an Meinungen, Ansichten und Vorstellungen, die unerkundet in den Köpfen unserer besten Freund*innen schlummern. Zeigen wir daran ehrliches Interesse, signalisieren wir, wie wichtig uns die Person ist. Das Vertrauen wächst, wenn wir Gedanken- und Gefühlswelt miteinander teilen. Deshalb: Mehr Mut zu außergewöhnlichen Fragen und intensiven Gesprächen – auch unter Freund*innen.

Eine Frage, die du beispielsweise deiner besten Freundin/deinem besten Freund stellen könntest:

Was glaubst du, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich dich nie getroffen hätte?

2. Sich selbst besser kennenlernen

Wenn wir anderen interessante Fragen stellen, löst das auch in uns eine Welle an Gedankengängen aus. Selbst wenn der eigene Mund geschlossen bleibt und die Ohren unserem Gegenüber lauschen, rattert unser Gehirn im Hintergrund weiter, stellt sich selbst Fragen und findet Antworten. Im Gespräch mit anderen reflektieren wir unsere eigenen Blickwinkel. Manchmal führt das dazu, dass wir uns noch sicherer mit einer Sache sind, manchmal kommen wir zum Schluss, dass wir eine Vorstellung doch lieber über Bord werfen sollten. In jedem Fall denken wir nach. Wer also mit anderen über deren Zukunft spricht, denkt automatisch über seine eigene nach.

Demnach wirken intensive Gespräche nicht nur in eine Richtung. Wir erfahren auch über uns Dinge, die wir nicht geahnt hätten. Buddha meinte mal sinngemäß, dass wir immer dasselbe hören, wenn wir selbst reden und dass wir häufig etwas Neues hören, wenn wir anderen zuhören. Und das müssen nicht unbedingt die Schallwellen unserer Gesprächpartner*innen in unseren Ohren sein, sondern können auch stille Antworten sein, die unser Gehirn im Hintergrund auf Fragen findet.

Eine Frage, die du beispielsweise stellen könntest:

Abgesehen von deinen Eltern, wer sind die Erwachsenen, die dazu beigetragen haben, dass du heute so bist wie du bist?

3. Aktiviere deine Kreativität

Genau so funktioniert übrigens auch Kreativität: Wir fordern unser Gehirn auf, ungewohnte Wege zu gehen. Während wir über außergewöhnliche Fragen nachdenken, docken neue Synapsen aneinander an. Irgendwo in den Windungen unseres Kopfes verknüpfen sich zwei Gedankenstränge und schwups, ist eine Idee entfacht. Je ausgefallener die Gespräche, desto wilder die Richtungen, in denen unsere Synapsen nach Anknüpfungspunkten angeln. Deshalb ist so manch Erfindung nur dadurch entstanden, dass sich zwei Menschen unterhalten haben und es bei einem plötzlich gefunkt hat.

Eine Frage, die du stellen könntest, um kreative Szenarien zu entwickeln:

Wenn du nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden würdest, wie würdest du deinen ersten Tag verbringen?

4. Ungeahnte Interessen entdecken

Egal ob Lebenslauf, Arbeitsprozesse oder unser Aussehen – wir lieben es, Fehler auszubügeln. Manchmal macht unser Drang nach Optimierung allerdings mehr kaputt als perfekt, zum Beispiel im Zwischenmenschlichen. Wir stellen uns die ideale Freund*innen vor und auch von unseren potentiellen Lebenspartner*innen haben wir ganz genaue Vorstellungen: Sie sollen lieb, ehrlich und zuverlässig sein, aber bitte auch noch in der Kreativbranche arbeiten, gerne in Schweden wandern gehen und als Hobby wäre thailändische Küche wünschenswert.

Mit Small Talk klappern wir diese Kriterien bei unseren Gesprächspartner*innen ab: Beruf, letzter Sommerurlaub und Freizeitgestaltung. Wenn sich dabei herausstellt, dass er/sie lieber in Italien am Strand liegt, Currywurst für das Größte hält und an der Hotelrezeption arbeitet, sind wir schneller desinteressiert, als wir es uns gerne eingestehen würden. Wir haken nicht mehr so viel nach und beenden das Gespräch mit einem „Haha ja“.

Dabei müssen es ja nicht immer die gleichen Interessen sein, die uns verbinden. Das finden wir aber nur raus, wenn wir interessante Fragen stellen und uns auf die Antworten einlassen. Vielleicht sind es gemeinsame Ansichten oder ähnliche Erfahrungen. Wer offen in den Gedankenaustausch geht und tief genug nachhakt, der stößt auf ein „Ach, das wusste ich gar nicht“ anstatt „Haha ja, danke für das Gespräch und tschüss“.

Eine Frage, die du stellen kannst, wenn ihr nicht auf Anhieb einen gemeinsamen Nenner findet:

Wann war das letzte Mal, dass du dir gewünscht hast, dass der Tag nicht aufhört?

5. Sich öffnen befreit

Es muss ja nicht gleich der Seelen-Striptease vor Fremden sein, nachdem man sich kurz an der Haltestelle über den verspäteten Bus unterhalten hat. Aber hin und wieder tut es gut, ein paar Gedanken an die frische Luft zu entlassen. Wir werden zwar ständig gefragt, wie es uns geht, aber die Antworten kommen nicht immer ganz ehrlich über die Lippen. Dabei sind manche Probleme nur noch halb so groß, wenn wir erst einmal jemandem davon erzählt haben. Und manche Konflikte existieren überhaupt nur, weil wir uns nicht getraut haben, darüber zu sprechen. Deshalb lohnt es sich frei auszusprechen, was einem auf dem Herzen liegt – auch wenn es Überwindung kostet.

Sich offen und verletzlich zu zeigen, hat eine gewisse Hemmschwelle, es hat aber auch was Befreiendes! – Madeleine Alizadeh

Eine Frage, die du beispielsweise stellen könntest:

Was hast du dir noch vorgenommen, dieses Jahr zu erreichen? Was hält dich davon ab?

Neues entdecken, Gedanken befreien, Menschen kennenlernen – intensive Gespräche bereichern uns und doch drehen sie sich immer wieder um Wetter und Arbeit. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir „Und, was machst du so?“ einfach aus unserem Sprachgebrauch streichen und uns an den anderen rund 145.000 Wörtern bedienen, die im deutschen Duden stehen.

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