Foto: Alexandra Kirr | Unsplash

Bye Bye, Comfort-Zone: Wie ein Praktikum in London mich verändert hat

Den Job pausieren, die Wohnung untervermieten und einfach drei Monate nach London gehen? Unsere Community-Autorin hat es gewagt – und sich selbst neu entdeckt.

Ein Neuanfang ist oft mit Angst verbunden

Wie oft habe ich folgenden Satz gehört, bevor ich meine Sachen für einen dreimonatigen Auslandaufenthalt zusammengepackt habe: „Du wirst sehen, dir gefällt es da so gut, du kommst bestimmt nicht mehr wieder.” „Ha, ich?! Wohl kaum.”, hab ich gedacht. Ich bin einfach nicht der Typ, der auswandert. Um ehrlich zu sein, schon die drei Monate kamen mir im Voraus ziemlich lang vor. Und die Idee, nicht mehr heimzukehren – unvorstellbar!

Und dann war es soweit: Vor genau 50 Tagen brach ich nach London auf. Der Grund dafür, war ein Angebot für ein Praktikum in einem Bereich, in dem ich seit knapp sieben Jahren tätig bin. So gut wie unbezahlt, mit leerem Bankkonto und in einer Stadt, die man sich schon mit einem angemessenen Lohn kaum leisten kann. Zu einem Zeitpunkt zu dem bei meiner eigentlichen Arbeitsstelle so richtig was los war. (Gut, das kennt man ja, es ist nie der richtige Zeitpunkt, um mal so schnell für einige Wochen einfach so von der Bildfläche zu verschwinden.) Alles in allem, eine denkbar schlechte Ausgangslage (wie es mein Papa so schön formulierte).

Zudem kam es auch ziemlich spontan. Knapp vier Wochen Vorlaufzeit, das ist doch schon ganz schön plötzlich, oder? Wie sollte ich mir so schnell, so lange von der Arbeit freinehmen? Und dann meine Wohnung; die könnte ich doch sicher nicht so rasch untervermieten. Hölle. Wieso sollte ich den Schritt also überhaupt in Erwägung ziehen?

Der Sprung ins kalte Wasser

Tja, zwei Wochen später hatte ich die schriftliche Bestätigung; drei Monate unbezahlter Urlaub: genehmigt. Wohnung: vermietet. (Wie kam ich auch auf die Idee, ich würde mitten in Zürich Probleme haben, jemanden zu finden, der möglicherweise ganz gerne eine hübsche kleine eineinhalb Zimmerwohnung direkt zwischen Park und See hüten würde …) Zimmer in London: einen Typen auf einer Vermietungsseite so lange zugetextet, bis auch das geregelt war. Und zu guter Letzt fand sich sogar eine Lösung, wenn auch nicht optimal, genügend Geld zusammenzukriegen, um das alles auch angemessen durchzuziehen ohne zu verhungern.

So. Das wars, keine Ausreden mehr. Den Koffer gepackt und den Flug gebucht hatte ich in der Nacht vor der Abreise (ohne Stress ist sowas ja auch langweilig.) Erst im Flugzeug ist mir so richtig bewusst geworden, dass ich für die nächsten zwölf Wochen erst mal weg sein würde.

Ja, damals hatte ich wirklich noch gedacht, falls es mir so gar nicht gefällt, könnte ich ja auch früher heim. Ich MUSS das ja nicht machen. Haha.

Neue Stadt, neues Selbstbild

Ja, wer hätte kommen sehen, dass diese Stadt, die so viel Kulturelles und Kulinarisches zu bieten hat, meine anfänglichen Bedenken so rasch über Bord werfen wird und ich voller Begeisterung und energiegeladen Kilometer über Kilometer zurücklege, um so viele Plätze, Museen, Restaurants, Cafés, Buchläden, Pärke und Märkte zu sehen, wie nur irgendwie möglich?

Wer hätte kommen sehen, dass ich innerhalb weniger Wochen ein größeres soziales Netzwerk haben könnte, als in meinem ganzen bisherigen Leben? Und ich bin 27. Wer hätte kommen sehen, dass der bereits erwähne Typ, der mir sein Zimmer wohl nur gegeben hat, damit ich ihn endlich in Ruhe lasse, einer der zwei wunderbarsten Mitbewohner sein würde, den diese Welt wohl je gesehen hat? Und wer hätte erwartet, dass ich, die mit grosser Skepsis gegenüber dem WG-Leben immer so unglaublich sicher war, dass ich wohl nie wieder aus meinen kleinen vier Wänden rauswollen würde, plötzlich jeden Abend zu einem Glas Wein, meine Spaghetti begeistert und selbstverständlich mit drei Gabeln anrichte?

Und plötzlich vergeht die Zeit wie im Flug

Wer hätte kommen sehen, dass mir die Arbeit als Praktikantin so viel Spaß machen würde, dass ich ganz vergessen würde, was ich ursprünglich erlernt habe? Wer hätte kommen sehen, dass ich, die immer mehr als großen Respekt vor allem hatte, was Risiko mit sich bringen könnte und das gewohnte Umfeld allem Neuen vorzog, mich in eine Stadt verlieben könnte, die mit meinem Zuhause eigentlich nicht viel mehr als der Tatsache, dass sie beide in Europa liegen, gemeinsam hat? (Die eine klein, behütet und pittoresk, die andere groß, lebendig und mitreissend.)

Und zu guter Letzt; Wer hätte gedacht, dass es möglich ist, über eine so lange Zeit einfach nur glücklich zu sein, jeden Morgen voller Vorfreude eine Stunde früher aufzustehen, nur um mehr vom Tag zu haben und nach zehn Wochen diese Zeilen zu verfassen, bereits voller Melancholie, dass sich die wohl inspirierendste Phase meines Lebens bald dem Ende nähert?

Ich weiß, alle – außer mir. Manchmal lohnt es sich eben doch, einfach ins kalte Wasser zu springen.

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