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Wider den Ego-Biestern oder: Wie man nicht mehr ausgenutzt wird.

Die Haltung „Für mich nur das Beste“ ist mittlerweile ein gesellschaftliches Problem findet Silke Wöhrmann, Personalentwicklerin und Coach. Insbesondere dann, wenn andere Menschen darunter leiden müssen.

 

„Für mich nur das Beste!“

Als erster ins Flugzeug rein, als erster wieder hinaus, als erster die Koffer bekommen? An sich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber der Wunsch ist Befehl – und gleichzeitig Ursprung diverser innerer Ansprüche, die automatisch zur Unzufriedenheit führen müssen. „Immer kommt mein Koffer als Letztes! Dabei war ich doch die Erste, die ihn aufgegeben hat!“. Dieses unstillbare Verlangen nach dem Besten für sich selbst macht den Mitmenschen das Leben schwer.

Die Haltung der BESTEN (ich nenne sie mal so) ist täglich, zahlreich zu beobachten: Der Kampf um die beste Liege am Pool, um den besten Sitzplatz, um die Pool-Position an der Theke.. und gleichzeitig das Fundament der Gewinnspannen diverser Dienstleistungsbetreiber. Denn sie profitieren: Dass Menschen dafür bezahlen, es bequemer zu haben. Schneller das Paket zu bekommen als andere. Im größten Appartement zu wohnen. Ihre Lieblingsfilme ohne Ende zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Diese Menschen meinen: Ich habe es (das Beste!) verdient: Dauerhaft gutes
Wetter im Urlaub, nettes Servicepersonal, gutmütige Menschen an meiner Seite,
die meine Launen ertragen. Und bilden dafür  gleichzeitig das Fundament für permanente Unzufriedenheit in Ihrem Inneren. Sie fragen sich ständig: Warum, zum Teufel, bekomme ich nicht, was ich will? Warum ist jemand schneller, klüger, reicher, schlanker als ich? Habe ich es nicht verdient, nach all dem, was ich getan und erlebt habe?

Eine selbst verzapfte innere Zerrissenheit als Ergebnis der BESTEN

Eine selbst verzapfte innere Zerrissenheit ist das, welche die “BESTEN” als Resultat ihrer realitätsfernen Ansprüche verspüren und mit ihrem Zorn auf die Ungerechtigkeit der Welt zu Selbstfindungskursen zum Finden der Inneren Mitte (was, bitte schön, ist das?) strömen lässt. Empathie und Toleranz wird zum Lieblingswort um Selbstgerechtigkeit zu verschleiern, veganes Essen als Feigenblatt sozialen Engagements zur Lösung aller tierquälerischen Taten als alleiniges Heilmittel anderen aufgedrängt.

Was ich meine ist nicht: vegan oder Selbstfindung ist schlecht. Was ich meine: Es passt einfach oft nicht zusammen. Toleranz einerseits und Vordrängeln mit Körpereinsatz andererseits. Umweltschutz, Bescheidenheit einerseits und Kaffeekapseln andererseits, die man durch Premium-Mitgliedschaften erwirbt. Teamfähigkeit und Kompromisse einerseits und die Haltung „Ab heute tue ich nur noch das, was mit gut tut!“ andererseits. 

Was die innere Haltung „Das Beste für mich!“ für die Mitmenschen bedeutet

Die BESTEN scannen ihre Mitmenschen nur noch nach dem Schema: “Welche Vorteile erhalte ich von Ihnen?”. Haben diese interessante Kontakte, die mich weiter bringen? Kann ich mich einzecken, um besonders günstig und gut etwas abzuzwacken, weil ich es mir sonst nicht leisten kann oder will?

An sich ist ja auch Jedermanns eigene Entscheidung.
Dramatisch wird es nur, wenn Mitmenschen darunter leiden. Wenn sie benutzt
werden als Trittbrett, damit die BESTEN höher als Andere kommen. Wenn ihr Wissen als Eigenes verkauft wird, weil andere nicht intelligent oder einfach zu faul sind, es sich selbst zu erarbeiten. Wenn Sie Fußabtreter für die großen inneren Sorgen genommen werden, die einzig aus dem Frust der BESTEN heraus entstehen, denn sie erreichen nie, was sie meinen zu verdienen (und es auch nie erreichen werden, weil: geht gar nicht).

Die Haltung „Für mich nur das Beste“ als gesellschaftliches Problem

Mittlerweile hat sich diese BESTEN-Haltung zum gesellschaftlichen Problem entwickelt. Es entsteht das Gefühl: Wer nicht mitmacht, ist ein Looser. Wer uneigennützig an Andere denkt, etwas gibt, ohne etwas zurück zu verlangen, ist einfach nur doof und verdient es nicht besser. 

Die Welt teilt sich auf: In die, die das Beste verlangen und in die, die es Ihnen ermöglichen. Auch an der Wirtschaft ist das nicht vorbei gegangen, sie teilt sich auf: In Anbieter, die das Beste versprechen (und damit unverschämt reich werden) und in Anbieter, die versprechen, dass sie die daraus entstehende permanent gefühlte Unzufriedenheit wieder heilen („Komm´zu Dir selbst – lerne Achtsamkeit und Empathie durch Guruguru“). Die BESTEN ermöglichen das Entstehen eines Konsummarktes mit unendlich erscheinenden Gewinnchancen, danke dafür.

Was berechtigt dazu?

Vielleicht darf man mal zwischendurch die bescheidene Frage stellen: Was berechtigt dazu, das Beste zu verlangen? Wer hat versprochen, dass unser Leben besser wird als das der Anderen? Wer hat garantiert, dass der BESTE es ist, der Auserwählte, der, bei dem alles glatt läuft? Und wehe, wenn nicht, dann zeigt der BESTE aber, welches Tier in ihm steckt! Da gibt es kein Halten mehr, da fliegen die verbalen Teller durch die Luft, da muss der Kollege, der Kellner, der Freund doch endlich weg, der hat´s nicht drauf, ihr werdet schon sehen, das lässt sich ein BESTER nicht gefallen!

Demut, Dankbarkeit – alles abgegriffen?

Ich will nicht moralapostelmäßig kommen mit Worten wie
Demut, Dankbarkeit, Bescheidenheit. Diese Worte sind abgegriffen und hohl wie
das Verhalten, welches häufig von den BESTEN gezeigt wird: „Ich bin dankbar, also gibt mir was dafür“. „Ich bin demütig, also in meiner Entwicklung viel weiter als Du.“ „Ich habe meine Million – jetzt übe ich mich in Bescheidenheit“.

Doch – es gibt Menschen, die sich tatsächlich für andere
interessieren. Die helfen, wo und wenn es notwendig ist. Die selbstlos zurückstecken. Die zuhören können ohne gleich von sich selbst erzählen zu wollen. „Du Arme! Ja, aber ich habe da was erlebt…“

Die dabei  – huch!? – Zufriedenheit kennen. (Danke an dieser Stelle an diese besondere Spezies).

Zufriedenheit – eine bedrohte Art. 

Innere Zufriedenheit, das, was begehrenswert (weil selten) ist, gehört zur bedrohten Art – bedroht durch BESTEN, die sich genau diese 
Menschen herauspicken. Und irgendwann wächst der üble Gedanke: „Irgendwie fühle ich mich ausgenutzt.“ Meistens ist es dann schon zu spät. Und dann – Achtung, Gefahr! – passiert etwas, was richtig übel ist: Die ausgenutzten Menschen hören den Satz geschulter Psychotherapeuten: „Tue nur das, was Dir gut tut.“ Und fangen an, darnach zu leben. Um endlich auch einmal etwas vom großen Kuchen ab zu bekommen, zu den BESTEN zu gehören.

Ausgenutzt werden – ein dunkles Gefühl

Man hört zu weilen, dass Menschen, die sich ausgenutzt fühlen, ja selbst Schuld an Allem sind. „Warum hörst Du Dir das auch alles an?“. „Warum verschenkst Du Deine Sachen, Du bekommst doch nix dafür?“ „Warum kümmerst Du Dich immer um alle, wer kümmert sich um Dich?“.

Vor diesen Fragen ging es diesen Menschen eigentlich ganz gut, denn für sie ist das Geben eine ganz normale Sache. Nach diesen Fragen sind sie mitten drin im Dschungel des BESTEN-Wunschdenkens. Sie denken „Stimmt, was war ich blöd“. Und handeln: „Das mache ich nie wieder!“.

(Aus-)Nutzen und Geben

Aus-ge-nutzt bedeutet ja: Jemand nutzt uns – unsere Gefühle, unser Wissen, unsere materiellen Errungenschaften, unsere Gutmütigkeit. Aber dahinter steht auch: Wir lassen uns nutzen. Das sogar – bis zu einem bestimmten Punkt – gerne, weil wir eben so sind.  Das Gefühl des Ausgenutztwerdens entsteht ja
erst, wenn die Forderungen Anderer unseren Willen und Wunsch zu geben
übersteigt. Wann dieser Punkt erreicht wird ist so individuell wie wir Menschen
selbst. Der Eine fühlt sich schon ausgenutzt, wenn er seinen Kollegen im
eigenen Auto zur Bahn fährt. Der nächste fühlt sich ausgenutzt, wenn er nach
jahrelanger pflegerischer Tätigkeit unter wildesten Umständen mitten im
afrikanischen Hinterland ohne großartige Entlohnung vom Arbeitgeber ohne ein Wort entlassen wird.

Was ist zu tun?

Menschen, die andere ausnutzen und jede Gelegenheit dazu riechen wie ein Schwein die Trüffel wird es immer geben und sie vermehren sich gefühlt wie
verrückt. Das lässt sich wohl nicht ändern. Nicht selten kommen sie selbst von
der „anderen“ Seite und haben sich bewusst entschieden, „das nicht mehr so mit sich machen zu lassen“. 

Wie wäre es mit dem goldenen Mittelweg? Geben: Ja,
Nehmen: Ja, aber in einer individuell für sich akzeptablen Balance.

Fragen, die helfen

Diese Balance zu erreichen ist nie endgültig. Sie muss mit jedem neuen sozialen Kontakt hart erarbeitet werden – sei es im Beruf oder im Privatleben.

Stellen Sie sich selbst folgende Fragen:

  1. Welche Dinge und Eigenschaften habe ich, kann ich, um die mich andere eventuell beneiden und davon – wie auch immer – profitieren möchten? Hierzu zählen auch für Sie „selbstverständliche“ Dinge wie: eine gut funktionierende Partnerschaft, eine nett eingerichtete Wohnung, eine Leidenschaft, eine handwerkliche Begabung…
  2. Welche Dinge und Eigenschaften habe ich, kann ich und habe kein Problem damit, andere daran teilhaben zu lassen?
  3. Welche Dinge und Eigenschaften habe ich, kann ich und habe ein Problem damit, andere daran teilhaben zu lassen?
  4. Wie kann ich die Grenzen dazwischen rechtzeitig erkennen und steuern?
  5. Kann ich Menschen gut einschätzen oder brauche ich dabei Unterstützung von Anderen, die es besser können?

Stellen Sie sich folgende Fragen, wenn Sie neue Menschen kennen lernen:

  1. Welches Ziel verfolgt dieser Mensch mit der Kontaktaufnahme? Was erwartet dieser Mensch von mir? Eine ehrliche Freundschaft, eine gute kollegiale Zusammenarbeit? Eine Zweckgemeinschaft? (Wobei eine aufrichtige Zweckgemeinschaft durchaus positiv sein kann).
  2. Welche Eigenschaften bei anderen Menschen führen mich dazu, Ihnen (zu schnell) zu vertrauen?
  3. Welche Eigenschaften bei anderen Menschen führen mich dazu, Ihnen (zu schnell) etwas zu geben?
  4. Was bin ich grundsätzlich bereit  zu geben, was nicht?
  5. Was bin ich bereit zu erzählen, was nicht?
  6. Woran lasse ich diesen Menschen teilhaben?  An meinen Netzwerken, meinem Geld, meiner Zufriedenheit oder belasse ich es lieber nur bei Gesprächen über das Wetter?
  7. Was muss dieser Mensch mitbringen, damit er mein Vertrauen verdient?

Stellen Sie sich folgende Fragen, wenn Sie sich ausgenutzt fühlen:

  1. Habe ich gerne gegeben, war es meine eigene Entscheidung?
  2. Habe ich dadurch auch Vorteile erlangt?
  3. Fühle ich mich ausgenutzt, weil ich keine Dankbarkeit (Gegenleistung) erfahre oder weil ich mich jetzt schlechter fühle als vorher?
  4. Gibt es für mich ein Recht auf Dankbarkeit, Gegenleistung, auf Wiedergutmachung?
  5. Woher nehme ich dieses Recht?
  6. Würde ich nächstes Mal wieder so handeln?
  7. Wurde mir Unzufriedenheit mit meinem Handeln injiziert oder
    fühle ich sie unabhängig von der Beeinflussung Anderer? Wenn ja, wer hat mich
    beeinflusst und mit welchem Ziel?
  8. Wie stark lasse ich mich durch „gutmeinende Mitmenschen“ in meiner sozialen Art und Handlungsweise beeinflussen und bestimmen?

Stellen Sie sich folgende Fragen, wenn Sie beschlossen haben, sich nicht mehr ausnutzen zu lassen:

  1. Welche Folgen hat dieser Beschluss für mich und meine Mitmenschen?
  2. Was gewinne ich, was verliere ich?
  3. Wenn statt „Ja“ das „Nein“ zu meinem Lieblingswort wird: Werde ich dadurch glücklicher, zufriedener als ich es jetzt bin?

Das Ego-Biest fällt nicht mit der Tür ins Haus

Zugegeben, sie sind nicht ganz ohne, diese Fragen. Woher erkenne ich, dass ein unglaublich freundlicher, überaus hilfsbereiter Mensch eigentlich nur
ständig von mir hören will, wie toll er ist aber sich einen Dreck darum schert
wie es mir geht? Woran erkenne ich, dass mein charmanter neuer Kollege nur das Beste, von mir möchte, nämlich meinen Stuhl? Woran kann ich wahre von
falscher Freundlichkeit unterscheiden um von weiteren Enttäuschungen verschont zu bleiben? Zunächst erst einmal: Gar nicht. Es gibt so charmante Künstler, den merkt man das Ego-Biest gar nicht an. Das kommt nach und nach angeschlichen. „Du,kannst Du mal meine Kinder mit abholen?“ „Du, kannst Du mal kurz auf Wuffi aufpassen?“ „Du, kannst Du mir mal kurz 10.000 Euro leihen?“. Helfen kann der Fragekatalog. Und wenn Sie 2a. nicht beantworten können, bleiben Sie erst einmal beim Gesprächsthema Wetter.

Silke Wöhrmann, Dipl.-Kfm.,

ist Personalentwicklerin und Personalpsychologin, Coach, Trainer und Berater sowie Lehrbeauftragte für Hamburger Universitäten. Sie ist Gründerin der APT Human Management und Autorin insbesondere im Bereich Personalmanagement -marketing. 

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