Foto: Maria Vida

Wie ich einfach reingehauen habe

Warum ich nach der Ausbildung ins Ausland gegangen bin, anstatt mich in die Arbeitswelt zu stürzen

 

Fertig mit der Ausbildung- und was jetzt?

Winter in Berlin. Ich habe gerade meine Ausbildung abgeschlossen und stehe jetzt vor dem großen Fragezeichen, das meine Zukunft darstellt.

Die drei Jahre an der Schauspielschule sind rückblickend viel zu schnell vergangen und jetzt heißt es: Ab ins kalte Wasser. Nur dass mein Wasser 20°C hat und am Strand von Fuerteventura liegt.

Eigentlich müsste ich mich jetzt bewerben; mich nach freien Stellen am Theater umsehen und eine Agentur suchen.

Stattdessen plagen mich Selbstzweifel und ich befürchte, mit meiner Berufswahl einen Riesenfehler begangen zu haben.

Dass ein Künstlerberuf keine Sicherheit bietet, war mir eigentlich im Vorhinein klar, aber jetzt bekomme ich kalte Füße.

Seit meinen Abschlussprüfungen stecke ich in einer Krise, aus der ich alleine nicht mehr herauskomme. 

Es ist Winter, es ist kalt und dunkel und ich bin nur noch deprimiert. Seit Wochen kann ich nicht mehr richtig schlafen und wache jeden Morgen mit dem Gefühl auf, erdrückt zu werden.

Meine Zukunftsängste nagen so sehr an mir, dass ich dadurch meine Freude am Spielen verliere. Und ich habe das Gefühl, mich verloren zu haben: Ich bin nicht mehr der offene, fröhliche, quirlige Mensch von früher. Meine Neugierde und mein Tatendrang sind erloschen und ich kann nur noch denken: Wie soll ich das alles schaffen? Was ist, wenn ich keinen Job finde und kein eingegliedertes, arbeitendes, steuerzahlendes Mitglied unserer Gesellschaft werde?

Ich will noch nicht erwachsen werden

Zu diesem Zeitpunkt bin ich fest davon überzeugt, dass ich mein Selbstvertrauen und meine Lebensfreude niemals wiederfinden werde. 

Weihnachten und Silvester verbringe ich mit meiner besten Freundin und Mitbewohnerin im Warmen: In einem Surfcamp auf der kanarischen Insel Fuerteventura.

Wir sind drei Wochen da und gehen jeden Tag surfen. Hier treffe ich eine Menge toller Menschen, die entspannt in den Tag hinein leben, was daran liegt, dass sie entweder am Strand arbeiten oder im Urlaub oder auf Langzeitreise sind.

Hier fühle ich mich zum ersten Mal wieder richtig frei. Ich klemme mir jeden Tag mein Surfbrett unter dem Arm und gehe runter zum Meer. Und endlich kann ich wieder schlafen. Viele der Leute hier befinden sich in einer ähnlichen Situation wie ich. Sie stehen am Anfang ihres Lebens und wissen nicht genau, was sie eigentlich machen wollen. Und niemand verurteilt mich. Hier fühle ich mich nicht andauernd genötigt, mich zu rechtfertigen und mich immer wieder mit der Frage konfrontieren zu müssen, wie es denn jetzt nach meiner Ausbildung mit mir weiter geht. 

Meine Träume vom Reisen habe ich nie umgesetzt. Immer, wenn mir jemand von seinen Erfahrungen im Ausland erzählt hat, hing ich an seinen oder ihren Lippen und mich packte die Sehnsucht. Aber meine Pläne für die Länder, die ich alle noch sehen will, habe ich trotzdem nie verwirklicht. Ich habe mir immer gesagt “Irgendwann mache ich das”.

Wenn man immer auf den richtigen Zeitpunkt wartet, um etwas zu tun, passiert es nie

Zurück in Deutschland schlägt der Winter uns wieder mit der Faust ins Gesicht. Aber es hat sich etwas verändert: Ich habe jetzt wieder ein Ziel. Ich will reisen. Und ich will es jetzt tun. 

Der Zeitpunkt ist perfekt, ich bin nichts und niemandem verpflichtet. Ich musste rauskommen aus meinem Alltag, um das zu verstehen. Um wirklich zu begreifen, dass ich frei bin und tun kann, was ich will.

Also suche ich mir einen Untermieter, schließe eine Auslandskrankenversicherung ab und buche einen Flug: Wieder nach Fuerteventura. Ich werde dort für vier Monate in einer Surfschule arbeiten und jeden Tag das machen, was ich gerade wirklich will und was mir gut tut: Surfen. 

Dass ich noch vor ein paar Wochen so niedergeschlagen und einsam war und dachte, dass es mir nie wieder gut gehen würde, ist nur noch eine blasse Erinnerung.

Wenn ich von der Insel zurückkehre, will ich an die anderen Orte auf der Welt, die ich immer schon mal sehen wollte. Nach Indien, Bali und Alaska.

Warte nicht auf den richtigen Zeitpunkt. Wenn dein Herz sich danach sehnt, in die Welt hinauszugehen, tu es jetzt. Das Berufsleben kann warten, davon haben wir später noch genug im Leben.

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