Wissenschaft erforscht Sexarbeit

Wissenschaft kann genauso verklemmt wie die Gesellschaft sein, wenn es um tabuisierte Themen geht. Zum Beispiel Sexarbeit.

 

Die Wissenschaft lebt davon, dass sie neutral und unvoreingenommen ihre Studien macht. Theoretisch. Aber wo Geld, Interessen und überhaupt Menschen im Spiel sind, geht so etwas natürlich nur bedingt. In der Naturwissenschaft würde es theoretisch leichter gehen, aber auch dort hat das große Geld längst vieles korrumpiert. Noch schwieriger ist es in den Sozialwissenschaften. Dort ist bei weitem nicht so viel Geld im Spiel, aber dafür Ideologie und Voreingenommenheit. In der Ökonomie sieht man das am besten. Aber ni8cht nur dort.

Natalie Hammond und Sarah Kingston haben in einem lesenswerten Aufsatz in der wissenschaftlichen Zeitschrift Sexualities berichtet, wie sie für ihre wissenschaftlichen Arbeiten über Sexarbeit gemobbt werden. Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen und ihren Kunden breitet sich offenbar schon auf diejenigen aus, die darüber wissenschaftlich forschen. Nicht ehrenwert sei das Forschungsthema, „an unworthy job“, sie werden mit Fragen konfrontiert wie „what kind of a woman’ does such research?“ Nicht nur über die Sexarbeiterinnen herrschen absurde Vorstellungen. Sie wurden ständig gewarnt, wie gefährlich das sei – denn die Freiern seien gefährliche und gewalttätige Männer, die man nicht einfach so interviewen kann: „The ‘deviant’ male client is portrayed as predator who needs to be guarded against, external to the community of ‘normal’ men – an outsider who is untrustworthy and dangerous”. Welch ein Unsinn.

Bald stellten sie fest, dass sie anfingen, dieselben „stigma management strategies“ zu praktizieren wie diejenigen, über die sie forschen. Oft genug wurden an der Uni blöde Witze über sie gemacht – „this is Natalie, she has a degree in sex“.

Some people disbelieved that we studied prostitution, and were so shocked by our declaration that they initially seemed stunned, asking us to repeat the statement or questioning whether we were telling the truth. We witnessed and became the focus of laughter, jokes and ridicule, with many people finding it ‘funny’ that we, as women were studying prostitution.

Nicht nur andere Forscher, sondern auch die Befragten fragten immer wieder nach der Motivation der beiden Forscherinnen, warum sie so ein Thema erforschen. Waren sie selbst einmal Sexarbeiterinnen, oder wurden sie als Kinder misshandelt, oder sind sie vielleicht verkappte Sexarbeiterinnen auf Kundensuche?

Ein weiteres Hindernis ist die Universitätsbürokratie, die anscheinend Angst um ihren Ruf hat, wenn solche Dinge erforscht werden. Viele Studien werden gar nicht genehmigt, sondern von den  Institutional Review Boards (IRBs)gestoppt. Hammond und Kingston schlussfolgern: “IRBs operate as bureaucracies of sexuality simultaneously constraining sexual knowledge while reinforcing sexual stigma.”

Man braucht wohl eine starke Persönlichkeit, um in diesem Themengebiet zu forschen. Hammond und Kingston drücken es zurückhaltend so aus:

“The reflexive insights of other sexuality researchers reveal the professional difficulties facing those whose work explores issues surrounding sex and sexuality including being viewed as an illegitimate, thrilling or taboo topic, as a joke, or as unworthy study, all of which can result in loss of professional status, present barriers to career progression and leave researchers vulnerable to inappropriate remarks, personal abuse and being regarded as ‘not very bright and sexually available’.“

Gratulation an Natalie Hammond und Sarah Kingston für ihren Mut, das offen auszusprechen. Sie wollen auch weiterhin an diesen Themen dran bleiben, auch alle diese Reaktionen sind wissenschaftlich interessant:

The experience of stigma ran throughout both our experiences. Not only did we observe and face stigma in the research context, we similarly encountered stigma in our personal social lives. This is important as it reveals something crucial about sex work, (and perhaps other research on sexuality), that those who study this topic may face similar discrimination as sex workers and their clients. Our experiences of having the credibility and worthiness of our work about the sex industry challenged led us to empathize with the experiences of sex workers and their associates…..Despite the stigma we feel we have faced, it has in no way deterred us from researching this area. We both continue to enjoy researching sex work and sexuality more broadly, and accept that sometimes people’s reactions to us and our research are not always as we hope or expect. Despite these experiences, we fully recognize that these reactions are data in themselves and tell us a great deal about the social context in which we conduct our research. The experiences we have gained have led us to reflect upon the nature of the topic and helped us to understand the stigma often discussed in academic texts and identified by sex workers themselves.

Wissenschaftler erforschen so gut wie alles. Aber warum sie mit dem Thema Sexarbeit genauso verkrampft umgehen wie der Rest der Gesellschaft…ich verstehe es einfach nicht.

Anzeige