Foto: Francisco Osorio I flickr I CC BY 2.0

Zika-Virus: Regierungen warnen Frauen davor, schwanger zu werden – aber gehören dazu nicht immer zwei?

Das Zika-Virus kann Babys im Mutterleib schädigen, mehrere Regierungen Südamerikas geben Frauen nun Ratschläge, wie sie das vermeiden können – und ignorieren, dass es vielen Frauen unmöglich sein wird, diese zu befolgen.

 

Gefährlich nur für ungeborenes Leben

Nun lesen wir seit Wochen die
beunruhigenden Nachrichten über das Zika-Virus, das sich weiterhin
rasant vor allem in Südamerika und der Karibik ausbreitet.

Wer sich mit dem Virus ansteckt – es wird vor allem durch Aedes-Mücken übertragen – spürt in der Regel nur milde Krankheitszeichen: Fieber, Kopf- und Gelenkschmerzen, Ausschlag, Bindehautentzündung, nach einer Woche ist die
Sache in der Regel ausgestanden, Todesfälle durch das Virus sind
nicht bekannt. Experten schätzen, dass nur jeder fünfte Infizierte
überhaupt Symptome bemerkt.

Gefährlich ist das Virus für
Schwangere, die es auf ihre ungeborenen Kinder übertragen können.
Der endgültige Nachweis dafür steht bis heute aus, aber es gilt als sicher, dass das Zika-Virus für den ungewöhnlich hohen Anstieg von Mikrozephalie-Fällen bei Neugeborenen in den betroffenen Regionen verantwortlich ist. Die Kinder
werden mit zu kleinen Kopf und Gehirn geboren, was zu geistigen Behinderungen und auch einer gestörten körperlichen Entwicklung der Kinder führt.

Angst vor Missbildungen ungeborener Kinder

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den Gesundheitsnotstand
ausgerufen, die Regierungen von Brasilien,
Kolumbien, Ecuador und El Salvador empfehlen der weiblichen Bevölkerung offiziell, nicht schwanger zu werden aus Angst vor Missbildungen
der ungeborenen Kinder.

Die Time-Autorin Charlotte Alter empfindet die Empfehlungen der Regierungen für
Frauen, nicht schwanger zu werden, als Farce: In fast allen Ländern
seien Abtreibungen verboten, und weder in Sachen Verhütung noch
Sexualaufklärung werde der Bedarf auch nur ansatzweise gedeckt. Eine Schwangerschaft zu verhindern, sei also sehr viel leichter gesagt
als getan – ganz davon abgesehen, dass sexualisierte Gewalt in den betroffenen Regionen ein großes Problem ist und es Frauen geben wird, die trotz aller „guten Vorsätze“ nicht werden verhindern können, gegen ihren Willen geschwängert zu werden.

Der Stand der Dinge: In Zentral- und Südamerika gibt es insgesamt nur drei
Länder – Uruguay, Guayana und
Französisch-Guayana
– in denen Abtreibungen grundsätzlich legal sind. In allen anderen
Ländern sind Abtreibungen nur dann legal, wenn es sich um eine Schwangerschaft nach Inzest oder Vergewaltigung handelt oder wenn die Gesundheit der Frauen durch die Schwangerschaft in Gefahr ist. 
Nur Mexiko, Kolumbien und Panama erlauben Frauen einen Abbruch wegen
einer schweren Missbildung des ungeborenen Kindes.

Die Verantwortung wird auf Frauen abgewälzt

Menschenrechtsorganisationen kritisieren die staatlichen Empfehlungen: Es sei schlicht unfair, die Verantwortung für eine
derart große Aufgabe für das öffentliche Gesundheitssystem
auf die Frauen abzuwälzen; diese fänden gesellschaftliche Voraussetzungen und
Gesetze vor, die es ihnen schlicht unmöglich machen, dieser
Verantwortung gerecht zu werden.

Eine Expertin, die bei Amnesty
International den Bereich Identität und Diskriminierung leitet, wird
zitiert: „Frauen werden aufgefordert, eine Entscheidung zu treffen,
die mit Blick auf gesundheitliche Aspekte logisch klingt, aber sie
haben keine wirkliche Wahl – Frauen werden in eine ausweglose
Situation gebracht: Sie allein sollen die Verantwortung tragen, indem sie nicht schwanger
werden, dabei hat mehr als die Hälfte der Frauen das überhaupt nicht selbst in der Hand.“

Nach
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO werden in den
betroffenen Ländern fast ein Fünftel aller Babys von Teenagern zur
Welt gebracht
, und Amnesty International schätzt, dass mehr als die
Hälfte aller Schwangerschaften ungeplant zustande kommt.

Es
klingt also wahlweise wie blanker Hohn oder naiv und
verantwortungslos, Frauen, die weder Zugang zu Sexualaufklärung,
Verhütung noch zu legalem Schwangerschaftsabbruch haben, zu empfehlen, nicht schwanger zu werden.

Zum Sex gehören immer noch mindestens zwei

Zusätzlich
irritiert etwas, das nicht jedem unbedingt auffällt, der nicht direkt darauf
gestoßen wird, so sehr haben wir uns an diese Schieflage gewöhnt: Wo und wie werden eigentlich Männer in die Verantwortung genommen? Frauen werden
nicht einfach schwanger, da braucht es in der Regel immer noch zwei. Warum aber wird Männern nicht von offizieller Seite empfohlen, von Sex Abstand zu nehmen, der der Fortpflanzung dienen
soll, sprich: Warum
wird Männern nicht von offizieller Seite empfohlen, ein Kondom zu benutzen? „Der kulturelle Reflex, Frauen dafür verantwortlich zu machen, männlichen Sexualdrang und die damit vorhandene Möglichkeit der
Fortpflanzung unter Kontrolle zu halten, ist so tief verwurzelt, dass
es wie ein Witz klänge, würden Regierungen Männern empfehlen, zwei Jahre lang enthaltsam zu leben, bis keine Gefahr mehr durch das Zika-Virus besteht. Die Schieflage fällt niemandem mehr auf“, schreibt Paula Young Lee für das Dame Magazine

Und man kann ihren Zynismus verstehen, mit dem sie fortfährt: Die Appelle der Regierungen klängen so, als würden Frauen von ganz allein schwanger werden, dabei sei seit Marias unbefleckter Empfängnis
kein weiterer Fall von solch einer übernatürlichen Schwangerschaft bekannt geworden.
„Warum wird Schwangerschaft dann aber trotzdem immer noch und
ständig als ein körperlicher Akt beschrieben, mit dem nur Frauen zu
tun haben?

Jenseits dessen, was jetzt akut getan werden müsse, um die Gesundheit ungeborener Kinder zu schützen, sei die Herausforderung auf lange Sicht, sich mit den Realitäten von Sex und Fortpflanzung im 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen, und dafür zu sorgen, dass sich die moralische Agenda wegbewege von der Kontrolle der Frauen hin zum Bestreben, menschliches Leid zu mindern.

Zumindest hat das Zika-Virus dazu geführt, dass eine neue Debatte über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Südamerika in Gang gekommen ist. Der stellvertretende Gesundheitsminister von El Salvador etwa gab zu, man
müsse anfangen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und die strengen Regelungen seines von der katholischen Kirche geprägten Landes womöglich überdenken. Abtreibungsbefürworter sehen in der aktuellen Debatte eine riesige Chance für eine Reform der strikten Abtreibungsgesetze der betroffenen Länder.


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