Foto: Thomas Brault

Praktikum? Was für ein unterbezahlter Schwachsinn

In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über den Sinn von Praktika.

Ein Praktikum ist doch sinnlos!

Auch wenn Praktika für den Lebenslauf scheinbar obligatorisch geworden sind, fragen sich viele, warum sie überhaupt ein Praktikum machen sollten. Während des Studiums ist schließlich oft wenig Zeit und hinterher hat man bereits eine gute Ausbildung in der Tasche und könnte doch direkt als vollwertiger Mitarbeiter loslegen.

Das sind erst einmal Argumente, die verdammt gut sind. Und doch gibt es einiges, das für ein Praktikum spricht. Zumindest, wenn ich auf meine eigenen Erfahrungen zurückblicke. Und da meine Praktika in der Zeit vor dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde stattfanden, gab es dafür einen Lohn von Null bis maximal 400 Euro. Warum ich sie trotzdem nicht missen möchte? Vielleicht weil ich so leidensfähig, reich oder strebsam ohne Rücksicht auf Verluste bin? Nein, nicht ganz.

Was soll ich mit meinem Leben anfangen?

Nach dem Abitur wusste ich vor allem, was ich nicht kann und maß meinen Talenten, die ja durchaus vorhanden waren, leider zu wenig Gewicht bei, als dass ich mir dadurch ein realistisches Bild meiner beruflichen Zukunft hätte malen können. Während also viele meiner Freunde zu reisen begannen, wollte ich herausfinden, was ich um Gottes willen mit meinem Leben anstellen sollte.

So landete ich auf dem Weg, Kostümbildnerin zu werden, fast am Theater, bog dann doch noch einmal kurz vorher ab und wurde Praktikantin in der Moderedaktion eines Frauenmagazins. Für mich damals ein Traum, an den ich mich ohne einen Zufall, der mich dort quasi hineinschubste, nicht herangewagt hätte. Statt Texte zu schreiben, verbrachte ich hier meine Tage jedoch zunächst in der stickigen Requisite, bei sehr schlecht gelaunten Requisiteurinnen. Aber schnell begann ich, die wenige Zeit in der Redaktion damit zu verbringen, Fragen zu stellen. Zu fragen, wie jeder aus dem Team dieses für mich nun gesetzte Ziel – im Journalismus durchzustarten – eigentlich erreicht hatte.

Dabei lernte ich, wie viele Wege es dorthin gibt und dass er nicht über eine teure Privatschule oder einen der wenigen Plätze an einer Journalistenschule führen muss. Zudem lernte man mich kennen, ich blieb immer mehr am Platz, durfte irgendwann regelmäßig schreiben und schließlich meine eigenen Seiten produzieren ­– obwohl das für Praktikanten in dem großen Verlag eigentlich nicht vorgesehen war. Und genau das war auch die Initialzündung für alles, was für mich noch folgen sollte.

Klasse statt Masse

Ich machte weitere Stationen bei kleinen und großen Medien und auch in Berufsfeldern, die dem Journalismus fern sind. Dabei musste ich meine Praktikadichte aber in Grenzen halten, denn alleine auf das Sammeln von vielen großen Namen zu  setzen, hätte meine finanzielle Situation gar nicht zugelassen. So war es wichtig, sich zu überlegen, was einen weiterbringt, wo man unbedingt mal hinter die Kulissen schauen wollte – und am wichtigsten: Die Zeit dort wirklich zu nutzen.

Das ist sicher manchmal leicht gesagt, denn natürlich ging es auch mir so, dass nicht aus jedem Praktikum ein Job entstand und ich nicht jeden Abend sinn- und stolzerfüllt nach Hause kam. Auch auf meinen To-do-Listen standen diese klischeehaften Aufgaben wie Post, Post, Post, Kaffeekochen, Mittagessen für alle besorgen und dann selbst keine Mittagspause haben.

Aber wer sich da reinsteigert und das ablehnt, der hat vielleicht Recht, verbaut sich aber selbst im Zweifel den Spaß und die Chance auf spannende Aufgaben. Dann lässt die Motivation nach und man sitzt seine Zeit nur noch ab. Dabei gilt: Manchmal können diese dämlichen Aufgaben „part of the deal“ sein, aber das dürfen sie nur dann, wenn drumherum viel ist, aus dem man etwas ziehen kann. Wenn nicht, heißt es ganz klar: So schnell wie möglich weg da.

Netzwerke, Mentoring, Erfahrung

Was aber mit einem Blick zurück über allem steht, ist wohl meine Dankbarkeit für all die Menschen, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe. Darunter einige Frauen, die mich nachhaltig und auf unterschiedlichste Weise geprägt haben. Und ohne die ich heute nicht die wäre, die ich bin. Die mir gezeigt haben, was auch mit Kind und Kegel alles möglich ist, wohin man kommen kann, wenn man denn möchte. Und die meinen Blick auch auf die gläserne Decke gerichtet haben, die ich vorher nur vom Hörensagen kannte. Ganz einfach, weil ich nicht mal im Ansatz so weit war, irgendwo durchbrechen zu können. Es waren allesamt Frauen, die mir einen vielfältigen Blick über den Tellerrand ermöglichten.

Auch wenn ich keines der viel gelobten, klassischen Mentorings erhalten habe, so habe ich das eben quasi hinterrücks bekommen. Durch Zuhören, Zusehen, Nachfragen, Nachahmen, Neuentwickeln, Ausprobieren, Laufen und Fallen – und dadurch, dann eine Hand gereicht zu bekommen, die mir beim Aufstehen hilft.

Außerdem ist ein Netzwerk entstanden, von dem ich während meiner gesamten beruflichen Laufbahn profitiert habe. Ebenso wie von meinen gewonnenen Einsichten in grundsätzliche Strukturen der Arbeitswelt, dass ich zwischen Situationen und Gesprächspartnern klar differenzieren oder neben meiner Intuition auch einen Erfahrungswert in meine Entscheidungen miteinbeziehen kann. Programme wie Excel, Photoshop oder InDesign kann man in einer Trockenübung lernen. Erfahrungen aber kann man nur dort draußen sammeln.

Das Praktikum als Optimum

Ich will und kann Praktika nicht als Optimum für einen gelungenen Start in das Berufsleben pauschalisieren und sicherlich hatte ich auch viel Glück mit meinen Erfahrungen. Aber Glück alleine macht es nicht. Es geht darum, die Chancen, die sich bieten, bestmöglich zu nutzen. Sich selber Chancen zu schaffen und dann voll reinzugehen. Und genauso auch darum, vorzeitig abzubrechen, wenn eine längere Station keinen Sinn mehr macht.

Die Zeit nach der Schule bis Mitte oder Ende 20 ist so kostbar. Sie ist die Zeit, in der das Sich-Ausprobieren zu den wichtigsten Aufgaben eines jeden zählt. In der man suchen und finden kann, in der man sich selbst kennenlernt und die Welt, die sich außerhalb des Mikrokosmos Schule oder Universität abspielt. Das ist auch im Job nicht immer lustig und nicht immer schön, es ist aber das Leben.

Letztlich ist es doch so: Arbeitserfahrung zu sammeln, ist genauso wertvoll für jene, die schon genau wissen, wo sie hinwollen, wie für die, die noch keine Ahnung haben. Und sie sind wichtig für die Selbstbewussten, die sich endlich im realen Leben beweisen, wie für die Schüchternen, die mit jedem Mal mutiger werden, wenn sie an die Tore klopfen, die sie passieren wollen.

Es geht ums Ausprobieren. Das geht nicht nur im Praktikum, sondern auch durch Neben – oder Ferienjobs, bei Projekten mit Freunden, dem Starten eines Blogs oder einem Engagement im Verein und und und. Niemand muss und niemand sollte ein Praktikum um des Praktikums willen machen, denn das ist die pure Zeitverschwendung. Und genau die Situation, in der auch ich sagen würde: Was für ein unterbezahlter Schwachsinn!

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