Foto: Rieke Anscheit

Regina Mehler: „Leadership ist keine Pflicht, sondern eine Fähigkeit“

Die frühere Marketingleiterin von Adobe spricht über ihren Umgang mit Stress und darüber, was Frauen tun sollten, wenn der Kollege sie zum Kaffeeholen schickt.

„Frauen dürfen stolz auf ihre Erfolge sein, und sollten sie nicht als selbstverständlich nehmen“

Bonn. Regina Mehler ist Mehrfachgründerin, darunter Unternehmensgründerin der Management- und Strategieberatung 1st Row sowie der Women Speaker Foundation, die weibliche Gesprächspartnerinnen vermittelt. Mehler verfügt über das Know-how aus mehr als 20 Jahren Berufserfahrung, überwiegend in Führungsrollen der IT-Branche: In Unternehmen wie Siebel, Software AG und Adobe war sie federführend für innovatives Marketing und Change Management verantwortlich. Sie ist außerdem im Beirat des europäischen Marketingnetzwerkes CMO Council und „Member of Board“ im Deutschen Gründerverband sowie Fachreferentin an der Universität St. Gallen.

Frau Mehler, was sind Ihre Stärken?

„Ich „mache“ leidenschaftlich gerne! Für meine Arbeit muss ich mich nicht motivieren, weil ich das, was ich tue, liebe. Ich kann andere mitreißen und begeistern, da ich von meinen Zielen überzeugt bin. Außerdem mische ich mich gerne ein und zeige Haltung. Oft höre ich auch von meinen Kolleg*innen und Partner*innen, dass ich sehr positiv und wertschätzend bin.“

Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

„Rolemodels für mich sind Männer oder Frauen, die Position beziehen, Menschen begeistern und Rückgrat beweisen – auch in herausfordernden Situationen. In einem früheren Job habe ich mir einen „grauhaarigen Mann“ in einer Senior-Position als Mentor gesucht, um mich auf meine Gegenüber im Unternehmen besser einstellen zu können und sie besser kennenzulernen.“

Bitte vervollständigen Sie: Ich unterstütze meine Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen in schwierigen Situationen, indem…

„… ich sehr genau zuhöre, die richtigen Fragen stelle und sie motiviere, neu und quer zu denken. Out-of-the-Box-Denken und Perspektivwechsel mit einem frischen Blick helfen dabei, Herausforderungen kreativ zu meistern.“

Angenommen, eine Freundin oder Mitarbeiterin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?

„Mein Rat ist, sich selbst zu fragen: Was sind meine Kernkompetenzen? Für welche Werte stehe ich? Was ist mein Leidenschaftsthema? Was sind meine Ziele und als wer will ich wahrgenommen werden? Was sind meine Erfolge? Was habe ich bereits erreicht? Das ist ein Prozess, der analysiert, strukturiert und dann die Prioritäten hervorbringt.“

Zum Beispiel?

„Jenseits schneller Bewertungen einer unübersichtlichen Gemengelage schaffe ich mir damit Klarheit.“

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…?

„Ich werde niemals Mitarbeiter*innen übergehen oder ihren Input ignorieren, ihnen gegenüber aus der Rolle fallen oder sie bewusst verletzen. Nennen Sie es typisch weiblich – aber das halte ich für enorm wichtig.“

Feedback ist für mich…?

„… extrem wertvoll: Es kann helfen, den eigenen Tunnelblick zu erweitern und den Blick, das „bigger picture“, wieder sichtbar zu machen.“

Über ihre Erfolge sollten Frauen…?

„… viel mehr sprechen und damit ihr Profil weiterentwickeln. Frauen dürfen stolz auf ihre Erfolge sein, und sollten sie nicht als selbstverständlich nehmen. Die eigenen Erfolge auch wirklich zu feiern, hilft dabei.“

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

„Man sollte sich der eigenen Leistungen und Stärken bewusst sein und gut vorbereitet in Gehaltsverhandlungen gehen. Ich brauche dafür absolute Klarheit über meine eigenen Ziele.“

Verbündete und Mentor*innen finde ich, indem…?

„… ich sehr interessante Menschen anspreche und frage – dabei sollte man den Mut haben, auch über mehrere Level in der Hierarchie zu springen. Man kann mich übrigens auch ansprechen, wenn man eine*n Mentor*in sucht – wir haben ja über 600 tolle Frauen bei der Women Speaker Foundation.“

In Konfliktsituationen bin ich…?

„… sehr ruhig. Ich versuche, meine Optionen zu strukturieren und mir sehr genau zu überlegen, was ich sage und tue. In Konfliktsituationen sind mir Respekt und Wertschätzung sehr wichtig. Damit habe ich meist Erfolg oder erziele gute Kompromisse.“

Pannen sind…?

“Fehler und Pannen sind wertvoll: Wir alle müssen immer schneller werden in unseren Entscheidungen und in unserer Kommunikation – Fehler zeigen uns klar, wo Potenzial für die Verbesserung unserer Strukturen und Prozesse liegt, um agil und kreativ zu sein. Pannen sind oft aber auch vermeidbar – einmal „das wird schon gehen“ gedacht, ist einmal zu viel!“

Wie gehen Sie mit Stress um?

„Stress hat auf mich eine ähnliche Wirkung wie Konflikte: Er ist ein Signal dafür, einen Schritt zurückzutreten, um das ganze Bild sehen zu können. Dann kann ich meine Prioritäten klären, um handlungsfähig zu bleiben und proaktiv Lösungen finden.“

Nein sagen sollten Frauen zu…?

„Eine Vorständin erzählte mir neulich, wie sie kurz vor einem Meeting von einem Kollegen, den sie noch nicht kannte, seine Tasse in die Hand gedrückt bekam mit der Bitte, ihm doch einen Kaffee zu bringen. Sie sagte: „Mach’ ich gern – wo krieg’ ich den denn her, ich will auch einen.“ Meiner Ansicht nach ist Charme meistens die richtige Antwort auf alltägliche Zumutungen, die Rang und Rolle ignorieren. Frauen und auch Männer sollten zu allem Nein sagen, was sie ihren Zielen nicht näherbringt. Wichtiger allerdings ist der Mut zum Ja sagen, zu allem, was uns mit unserer Expertise und unseren Erfolgen in die Sichtbarkeit bringt, auch wenn es erst wie eine riesige Herausforderung klingt.“

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?

„Das ist ein deutliches Signal dafür, aktiv zu werden und sich die eigene Situation genau anzuschauen: Kann ich etwas ändern? Zahlt das, was ich tue, noch auf meine Ziele ein? Und wenn ich bei dieser Analyse zu viele Neins kassiere, dann sollte ich mich umschauen – andere Unternehmen haben ja auch schöne Jobs.“

Anderen Chef*innen würde ich gerne sagen,…

„Leadership ist keine Pflicht, sondern eine Fähigkeit. Leader*innen müssen keine Expert*innen sein, aber sie müssen führen können. Dazu gehört die absolute Klarheit über sich selbst und dazu gehört Empathie: „Leadership is not about being in charge. Leadership is about taking care of those in your charge“, so bringt Simon Sinek das auf den Punkt.“

Ein schönes Schlusszitat. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Mehler.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible, die ihr euch jeden Donnerstag anhören könnt.

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