„Ihre Tochter hat Schizophrenie.“ – diese vier Worte veränderten für Janine Berg-Peer alles. Als die 73-jährige Berlinerin vor 21 Jahren die Diagnose des Psychiaters hörte, glaubte sie, ihr Leben und das ihres Kindes sei vorbei.
Schizophrenie: eine Diagnose, die alles verändert
„Bitte lass das nicht wahr sein! Warum ausgerechnet mein Mädchen? Wie soll es nun weitergehen?“ – Janine Berg-Peer war auf all das nicht gefasst. Die Alleinerziehende fragte sich, ob sie Anzeichen für die Schizophrenie hätte erkennen können. Aber wie? Ihre Tochter lebte damals in einem Internat in England. Eines Tages kam ein Anruf von der Schule, sie solle die 17-Jährige abholen, ihre Tochter stehe unter Drogen und habe Wahnvorstellungen. Der Psychiater stellte dann die wirkliche Ursache fest.
„Wenn es einen geliebten Menschen trifft, dauert es oft lange, bis sich Angehörige die Wahrheit eingestehen“, sagt Birgit Dorninger-Bergner, Psychologin in der Wiener Beratungsstelle des Vereins „HPE – Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter“. Vorurteile, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen von psychisch Erkrankten und deren Angehörigen verstärkten das Problem noch. „Psychische Instabilität wird von der Gesellschaft wenig toleriert“, sagt auch Martha Affenzeller, Vorsitzende von HPE Oberösterreich und selbst Angehörige. Dabei ist laut „pro mente austria“ rund ein Drittel der Österreicher*innen mit psychischen Krankheiten konfrontiert, entweder direkt als Betroffene oder indirekt als Angehörige.
Die Krankheit beeinflusst die gesamte Familie
„40 Prozent der Angehörigen, die sich an uns wenden, kennen noch keine Diagnose“, sagt Dorninger-Bergner. Die sei aber wichtig, um die Betroffenen nicht nur behandeln zu können, sondern auch um zu lernen, mit ihnen umzugehen. „Eltern, allen voran Mütter, werfen sich vor, die Krankheit ihres Kindes durch falsche Erziehung verursacht zu haben“, sagt Janine Berg-Peer. Aber auch die Umwelt reagiert mit Schuldzuweisungen. Als Berg-Peer einem Arbeitskollegen von ihrer Tochter erzählte, entgegnete dieser, Berg-Peer sei ja auch „wirklich eine sehr dominante Frau“. Die Belastung von Eltern durch die psychische Erkrankung ihres Kindes sei hoch. Sie sorgten sich um die Selbstständigkeit ihrer Kinder und darum, wie lange sie sie im Alter würden betreuen können, sagt Berg-Peer. Oft würden sich Eltern die Schuld sogar gegenseitig zuschieben. Nicht selten komme es dann zu einer Trennung.
Wenn in der Familie jemand psychisch erkrankt, sind alle beteiligt: Eltern, Geschwister, Partner oder Partnerin, Kinder. „Schwer zu ertragen sind widersprüchliche Gefühle“, sagt Dorninger-Bergner. Schuldgefühle führten zu Scham, Hoffnung werde von Verzweiflung und Angst abgelöst. Und zur Trauer geselle sich oft die Wut, woraufhin Angehörige wieder beim schlechten Gewissen landeten.
Wie geht man als Angehörige mit den eigenen Gefühlen um?
Ist es erlaubt, auf einen psychisch erkrankten Menschen wütend zu sein? „Natürlich! Gefühle tauchen einfach auf“, sagt Psychotherapeutin Christa Renoldner. „Sie sind Teil des Verarbeitungsprozesses“, bestätigt auch Dorninger-Bergner. Dieser sei mit einem Trauerprozess vergleichbar, bei dem es ähnliche Phasen gebe. „Wenn ein Mensch stirbt, ist klar, dass er nicht mehr da sein wird. Bei einer psychischen Erkrankung ist das kniffliger. Der Mensch ist zwar noch da, aber nicht mehr in der vertrauten Weise. Vorstellungen und Wünsche, die Angehörige für das Leben des*der Erkrankten und auch ihr eigenes Leben hatten, müssen aufgegeben werden“, so die Psychologin.
Wichtig sei es, alle Empfindungen wahrzunehmen, sie zu benennen und die eigenen Gefühle zuzulassen. „Ich war oft wütend auf meine Tochter. Obwohl ich alles für sie getan habe, war ihr Verhalten oft rücksichtslos und aggressiv“, erzählt Janine Berg-Peer. Es sei nicht einfach, eine liebevolle und stabile Stütze zu sein, wenn kränkende Bemerkungen wehtun. Eine sorgenfreie Beziehung mit seiner psychisch erkrankten Tochter wünscht sich auch Wolfgang Lechner*. Mit ihren Wutausbrüchen, Kränkungen und Kontaktabbrüchen kann der Oberösterreicher nicht umgehen. Vielleicht auch deshalb, weil bisher keine eindeutige Diagnose gestellt werden konnte. Der Gesundheitszustand verschlimmere sich, anstatt sich zu bessern. Auch die Ehe des 60-Jährigen leide bereits unter der Situation. „Oft möchte ich einfach nur davonlaufen.“
„Deshalb ist der Austausch mit anderen Angehörigen so wichtig“, betont Dorninger-Bergner. Selbsthilfegruppen entlasteten, weil jeder Hilfesuchende dort erfahre: „Ich bin nicht alleine!“
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