Wo man hinließt, es geht um Morgenrituale, Meditation und Achtsamkeit. „Was soll dieser Hype?”, fragt sich unsere Community-Autorin. Und gibt sich selbst die beste Antwort.
Meditieren? Was soll der Quatsch?!
Das jedenfalls habe ich mich im Januar diesen Jahres gefragt. Inzwischen bin ich über den Status „angefixt“ längst hinweg. Ich bin voll auf dieser Droge „Meditation“ und inzwischen sogar Dealer. Mit anderen Worten, ich war nach nur einem Monat regelmäßigen Meditierens so begeistert von den Veränderungen in mir, dass ich unbedingt noch viel mehr darüber lernen wollte und eine Ausbildung gemacht habe.
Aber, von Vorne: Wie ging es mir damit am Anfang wirklich und was hat sich tatsächlich verändert? Um ehrlich zu sein, waren die Anfänge gar nicht mal so geil. Ich habe es damit versucht, mich zehn Minuten ruhig hinzusetzen und – wie man überall so schön hört – den Geist „einfach“ still werden zu lassen. War auch wirklich total einfach – Nicht!
Außerdem wurde mir schwindelig. Als ich versucht habe, meinen Geist „anzuhalten“ hat sich plötzlich alles gedreht. Als ob die Welt und meine Gedanken das Prinzip noch nicht verstanden hätten. Das war gar nicht mal so angenehm.
Der erste Meditationsversuch, die erste Krise
Ich erinnere mich noch gut an diesen ersten richtigen Meditationsversuch. Wir wohnten zu der Zeit mitten in Berlin und dennoch war es in unserer Wohnung unfassbar still. Am Anfang hatte ich noch etwas geräuschliche Orientierung für den Geist und die Ohren, da unsere Hündin Lotta sich auf dem Sofa hin und her räkelte. Doch dann war die Stille so präsent, dass sie fast laut war und ich hatte das Gefühl, dass meine Ohren klingen. Ich hatte an diesem Morgen schon gearbeitet und war durchaus im Stress. Ich bin also Kopfmäßig auf Hochtouren gewesen.
Als ich dann plötzlich so in der Stille saß, fühlte es sich an, als würde sich mein Kopf, ja mein ganzer Körper, drehen. Meinen Gedankenfluss zu beobachten und ziehen zu lassen, klappte sehr gut und ich habe mich nicht an einem Thema festgehalten, sondern empfand gedanklich eine angenehme Ruhe. Dennoch fühlte ich mich so bewegt und schnell, dass mir regelrecht schwindelig wurde und ich war froh, das Sofa im Rücken zu haben. Als ich mich zwischenzeitlich zurück lehnte, ging es etwas besser mit dem Schwindel.
Dran geblieben und dazu gelernt
Im weiteren Fortgang habe ich mich dann intensiver mit dem Thema auseinander gesetzt und es mit geführten Meditationen versucht. Diese liefen gut und fühlten sich angenehm an. Dadurch, dass du fast durchgehend von einer sehr netten Stimme begleitet wirst, entsteht zu keinem Zeitpunkt ein Gefühl von Orientierungslosigkeit, wie ich es anfangs erlebt habe. Außerdem kann ich so doch sehr sicher sein, dass es nach zehn bis zwanzig Minuten wirklich vorbei ist.
Wichtig war und ist mir dabei, dass in geführten Meditationen die richtige Balance zwischen Anleitung und Stille gelassen wird. Ich liebe es, wenn ich gegen Ende der Meditation dem Geist einfach freien Lauf lassen darf. Faszinierender Weise sind dies die Momente in denen mein Geist am entspanntesten ist.
Meditieren richtig lernen
Heute weiß ich, dass es sanftere Methoden gibt, mit dem Meditieren anzufangen, als sich, wie ich damals, einfach hinzusetzen und radikal auf „off“ zu schalten. Im Übrigen ist es auch sehr hilfreich und für die nachhaltige Motivation förderlich, zu verstehen, was da eigentlich in unserem Kopf passiert, wenn wir auf Leerlauf schalten.
Oha, jetzt kommt die spirituelle Erleuchtung!
Mitnichten. Das Thema Meditation erfreut sich nun schon seit einiger Zeit auch im Business Kontext, in der Neurowissenschaft und insbesondere angesichts der zunehmenden Burnout Fälle einer gesteigerten Beliebtheit. Und das ganz ohne Hokuspokus. Der lässt sich natürlich nach Belieben integrieren und kann, je nach Ausartung und Veranlagung des Individuums, eine schöne Bereicherung für die Meditationserfahrung sein. Mir persönlich reicht es an „Hokuspokus“ ab und an mit einem Mantra zu meditieren, oder über spezifische Themen in die Meditation zu gehen.
Was geht ab im Hirn?
Dazu ein kurzer und vereinfachter Exkurs in die Hirnforschung. Ich bin ein riesiger Fan des deutschen Neurobiologen Gerald Hüther. Er hat ein brillantes Talent die komplexen Vorgängen in unserem Hirn, klar und leicht verständlich zu erklären. Nehmen wir das Beispiel „Stress“. Gerald Hüther erklärt in etwa so: Befinden wir uns in einer halbwegs gelassenen Verfassung und stehen vor einer Herausforderung, springt unser präfrontaler Kortex, der analytische Teil unseres Hirns, an und liefert uns logische Handlungsoptionen. Nun könnte aber dieser Herausforderung schon die eine oder andere Kleinkrise vorausgegangen sein, Zeitdruck könnte eine Rolle spielen, dazu Erwartungsdruck von Familie, Freunden, Vorgesetzten. Schweißausbrüche treten auf und der präfrontale Kortex tritt vorübergehend ab. Die Vertretung übernimmt das lymbische System und allen voran die Amygdala.
Was sagt die Wissenschaft zu den Auswirkungen von Meditation?
Vielfältige Studien haben inzwischen belegt, dass eine regelmäßige Meditationspraxis unter anderem die Amygdala verkleinert. Die WAS bitte?? Die Amygdala spielt als Teil des limbischen Systems vor allem bei der Entstehung und körperlichen Reaktion von Angst eine Rolle. Sie fungiert als „emotionaler Verstärker“. Dadurch, dass die Amygdala kleiner wird, reagieren wir in Stress-Situationen gelassen, wir behalten den Zugriff auf unseren präfrontalen Kortex und sind eher zu reflektiertem Handeln fähig. Wir sind nun wieder in der Lage frei zu entscheiden, ob wir Impulsen nachgeben oder nicht.
Der Säbelzahntiger
Natürlich haben diese Abläufe im Hirn durchaus ihren Sinn. Wenn wir von einem Säbelzahntiger angegriffen werden, bleibt in der Regel keine Zeit, ausführliche Analysen über die richtige Reaktion anzustellen. Deswegen wird der präfrontale Kortex aus dem Ablauf ausgeschlossen und das limbische oder sensorische System arbeitet direkt mit dem motorischen System zusammen und wir springen zum Beispiel zur Seite, wenn ein Auto auf uns zurast oder wir zucken weg, wenn wir uns die Hand verbrennen. Wäre ja schön schmerzhaft, wenn wir über solche Handlungen lange nachdenken müssten.
Das Ding ist nur, wir werden heutzutage nur noch selten von Säbelzahntigern angegriffen und unter anderer Lebensgefahr stehen wir auch nicht permanent. Stresssituationen per se gibt es jedoch heute mindestens genauso viele wie damals. Eher mehr. Nur, dass heute in diesen Situationen von uns, entgegen der oben beschriebenen Reflexe, erwartet wird, einen kühlen Kopf zu bewahren anstatt Hals über Kopf die Flucht zu ergreifen, zum Angriff anzusetzen, oder in Schockstarre zu verfallen. Hinzu kommt, dass die Amygdala und unser gesamter Organismus nicht darauf ausgelegt sind, permanent im Alarmmodus zu laufen.
Die Sache mit der Neuroplastizität
Das erschreckende an der Geschichte: Wir wissen heute, dass das Hirn neuroplastisch ist, sich also permanent entwickeln kann. Allerdings nur so, wie wir es benutzen. Laufen dieselben unangenehmen Reaktionen und Verhaltensmuster mit einer gewissen Regelmäßigkeit ab, so verankern sich diese „schlechten“ Gewohnheiten zu festen Gewohnheiten.
Das gute an der Geschichte: Wir wissen heute, dass das Hirn neuroplastisch ist und sich also permanent entwickeln kann. Trainieren wir also Ruhe zu bewahren und unterstützen unser Gehirn dabei mit Meditation und gezielten Mentaltechniken, so lassen sich ganz wunderbar auch die erstrebenswerten Reaktionen zu festen Gewohnheiten entwickeln.
Und so im Real Life? Was hat sich da bei mir getan?
Gelassenheit: Für diesen Artikel habe ich das Meditationstagebuch gelesen, das ich im Januar angelegt hatte. Dort steht an einer Stelle: „Ich gebe zu, dass ich ein emotionaler und sehr impulsiver Mensch bin.“ Ich war sehr überrascht das zu lesen, denn impulsiv wäre heute so ziemlich das letzte Wort, das ich, neun Monate später, nutzen würde, um mich zu beschreiben. Und einer Befragung zufolge, die ich neulich im Freundeskreis durchgeführt habe, war innere Gelassenheit und Ruhe die meist genannte Eigenschaft. Ok, emotional im Sinne vom Empfinden und Ausdrücken von tiefen Gefühlen bin ich immer noch. Das hat sich nicht geändert. Das soll auch gerne so bleiben. Geändert hat sich mein Umgang mit Emotionen. Es passiert inzwischen zuverlässig, dass ich bemerke, wenn eine starke, negative Emotion hochkocht. Mein Geist hat gelernt, zu beobachten und wertungsfrei festzustellen, was gerade in mir passiert.
Dieses Bemerken von Emotionen erlaubt es mir, kurz inne zu halten. Ab und zu tue ich genau das und folge dann trotzdem dem Ärger, der Trauer oder dem Frust. Sehr viel öfter halte ich aber heutzutage inne und stelle fest, dass es unnötig und destruktiv wäre, jetzt einfach los zu pöbeln. Ja ok, manchmal tue ich das immer noch. Aber dann wenigstens bewusst.
Im Moment sein
Eine weitere kleine, aber sehr bedeutende Veränderung ist, dass ich viel öfter, als vorher wirklich im Moment bin. Während des morgendlichen Spaziergangs mit Lotta vergesse ich öfters mal, überhaupt auf das Handy zu sehen. Gerade meine Tiere spiegeln mir diese Veränderung sehr deutlich. Wenn ich etwas mit meiner früher ziemlich nervösen Stute mache, bemerke ich immer wieder, wie sehr sie sich inzwischen an mich anlehnt und bei mir die Ruhe und Sicherheit findet, die auch ihr erlaubt, gelassener zu sein. Wenn ich mit Menschen spreche, bemerke ich immer öfter, wie es denen gerade geht, während sie mit mir sprechen. Ich höre zu, um zu hören und nicht um zu antworten.
Stressresistenz
Ich habe nach wie vor internationale Projekte, in denen ich eine hohe Verantwortung trage und die größeren Risiken und Schwankungen ausgesetzt sind. Es kam in der Vergangenheit schon mal vor, dass ich bei nicht-eingehaltenen Vereinbarungen oder bei Fehlern aufgeladene Emails rausgehauen oder unschöne Anrufe getätigt habe. Inzwischen finde ich andere Worte, um auf Missstände hinzuweisen und Konsequenzen zu fordern.
Beziehungen
Die schönste und wichtigste Veränderung findet, meinem Gefühl nach, in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen statt. Insbesondere Menschen gegenüber, denen ich mich schon sehr lange und sehr tief verbunden fühle, hat sich meine Haltung verändert. Ich bemerke das sehr stark in der Beziehung zwischen mir und meinem Mann, aber auch in anderen Beziehungen. Zum Beispiel in der zu meiner Oma, die keine Gelegenheit auslässt, mich und alle anderen zu kritisieren. Unbedachte oder sogar gewollte Äußerungen dieser, mir sehr nahe stehenden Personen haben sofort meine roten Alarmknöpfe getriggert und ich bin gerne mal aus der Haut gefahren. Jetzt gerade fällt mir auf, dass ich mich nicht erinnern kann, wann mir das das letzte Mal passiert ist. Eine eben erfolgte Befragung meines Mannes, der bei diesem Thema ein Elefantengedächtnis hat, ergibt: er weiß es auch nicht mehr, wann! Wir hatten in letzter Zeit viele sehr bewegende Gespräche, die früher aufgrund der Brisanz eskaliert wären. Unsere Beziehung ist dadurch noch einmal um einiges schöner geworden!
Was bedeutet nun Meditieren? Und kann das jeder?
Meditieren per se bedeutet „nur“ absolut im Moment zu sein. Ich zum Beispiel meditiere „gerne“ gefühlt stundenlang, wenn ich auf der Koppel der Pferde absammle. Weitere vermutlich auch etwas schönere Situationen, die du direkt mal ausprobieren könntest, wären: Duschen, Zähneputzen oder Abwaschen.
Einfache Möglichkeiten das mit dem Meditieren mal auszuprobieren
Generell sind Handlungsabläufe gut geeignet, die dir sehr vertraut sind und über die du nicht mehr nachdenken musst. Probiere morgen früh einfach mal beim Duschen ganz bewusst das Wasser auf der Haut zu spüren, das Duschgel in der Hand, das Rauschen des Wassers zu hören und dein Shampoo zu riechen. Du wirst wahrscheinlich ziemlich schnell feststellen, dass deine Gedanken abdriften, zu dem unnötigen Streit mit dem Partner gestern Abend, zu den 1.000 Dingen, die du heute machen musst, dazu, was in aller Welt du gleich anziehen wirst, dahin, dass du schon wieder viel zu spät bist und so weiter und so fort. Keine Sorge! Das ist normal und geht uns allen so. Übung macht auch hier den Meister. Wenn du überhaupt bemerkst, dass du abgedriftet bist, kein Grund zum Ärgern. Klopf dir lieber lobend auf die Schulter. Viele bemerken nämlich nicht einmal, dass sie abgedriftet sind.
Und jetzt?
Natürlich falle ich immer noch ab und zu in kleinere Tiefs und erlebe „alles“ als zu viel oder stressig. Seit ich meditiere, passiert dies jedoch zum einen nur noch sehr, sehr selten und zum anderen sind diese Tiefs eher kleine schmuddelige Pfützen, in die ich ab und zu mal reintapse, aber keine tiefen, stinkenden Schlammbäder mehr, in denen ich mich wochenlang suhle und immer wieder ausrutsche auf dem Weg ins Trockene. Schlammpackungen, die Spaß machen, hole ich mir lieber beim Sport.
Wenn wir lernen, uns selbst zu beobachten, bekommen wir ein Gefühl für die Macht, die wir über unser Leben erlangen, wenn wir in die Selbstverantwortung gehen. Ich bin heute nicht perfekt oder fehlerfrei, aber ich sehe Komplikationen und scheinbare Limitierungen sehr viel klarer. Und vor allen Dingen sehe ich Lösungswege, anstelle von Problemen.
Meditation kennt keine Grenzen
Natürlich sollte ich bei aller Begeisterung sagen, dass Meditation allein kein Allheilmittel ist. Mein Weg bis hierher verlief auch über viele intensive Stunden und Coachings zu den Themen Zielerreichung und Selbstreflektion. Was Meditation jedoch auf jeden Fall tut, ist in dir ein Gefühl für die Grenzenlosigkeit deiner Möglichkeiten zu schaffen. Dadurch weckst du automatisch den Hunger nach mehr.
Und deswegen meditieren jetzt plötzlich alle. Weil es einfach so mega gut tut! Wenn ihr Fragen, Anregungen oder Gedanken zu dem Thema habt, freue ich mich über eure Kommentare und Nachrichten!
PS: Keine Sorge, auch bei regelmäßiger Meditation werden eure Amygdala und das motorische System weiterhin perfekt zusammenarbeiten und euch beispielsweise davor bewahren, von einem Auto angefahren zu werden. Es könnte jedoch passieren, dass ihr bei der nächsten Begegnung mit einem Säbelzahntiger (in Gestalt eures Chefs) tatsächlich gelassen bleibt und endlich die Antwort geben könnt, die ihr euch schon so oft zurecht gelegt habt.
Dieser Artikel ist zuerst auf Friederikes Blog erschienen. Wir freuen uns ihn auch hier veröffentlichen zu können.
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