Sie sind laut und sie haben was zu sagen. Jennifer Rostock ist ist eine der erfolgreichsten deutschen Rockbands unserer Zeit.
„Wenn Jennifer ein Typ wäre, würde sich keiner über bestimmte Dinge aufregen, die sie macht”
Jennifer Rostock gibt es bereits seit neun Jahren und die Band hat sich in der deutschsprachigen Musikszene fest etabliert. Die Leadsängerin Jennifer Weist fällt durch ihren Style und ihre Tattoos auf, eckt deshalb aber auch immer wieder an. Die Lieder sind meist voller Energie, die Texte immer mit einer Message. Mit dem neuen Album „Genau in diesem Ton” veröffentlicht die Band bereits ihr fünftes Album. Mit uns haben drei Mitglieder der Band über Frauenpower, Sexismus und was ihr neues Album damit zu tun hat, gesprochen.
Euer Album heißt „Genau in diesem Ton” – Wenn ihr diesen Ton in drei Wörtern beschreiben müsstet, wie wären die?
Joe: „Das sind jetzt zwar nicht nur einzelne Worte, aber: leichte Füße, geballte Fäuste und offenes Herz.”
Wenn ein Song von eurem neuen Album, zur gleichen Zeit in allen Radiosendern der Welt laufen könnte, welchen Song würdet ihr aussuchen und warum genau der?
Jennifer: „Das ist bei jedem von uns, glaube ich, unterschiedlich und auch stimmungsabhängig. Ich nehme auf jeden Fall ,Hengstin‘, weil es ein sehr persönlicher Song für mich ist und ich mich total mit den Lyrics identifizieren kann. Frauenpower und so.”
Joe: „Den wollte ich nehmen…”
Christoph: „Jetzt grade bin ich in der Stimmung für ,Silikon gegen Sexismus‘. Hat aber auch schon ein paar Mal geschwankt, im Laufe des Tages. Den mag ich halt. Ach nee, ich schwenke nochmal um auf ,Wir sind alle nicht von hier‘, das ist eine Aussage, die könnte die ganze Welt auf einmal vertragen.”
Kat Frankie hat die Moderation beim „Müssen alle mit Festival” abgesagt, weil gar keine weiblichen Musikerinnen dabei waren. Was sagt ihr dazu? Könnt ihr das nachvollziehen?
Jennifer: „Ja, das kann ich total nachvollziehen.”
Joe: „Das haben wir ja auch thematisiert in ,Hengstin‘. Dieses Ungleichgewicht ist ja sogar in der Musikbranche Gang und Gäbe. Man sollte eigentlich denken, dass da irgendwie alles klar und ausgeglichen ist. Aber selbst da ist es nicht so. Ob es jetzt die Festivalbühne ist, wo extrem wenig Frauen an Instrumenten oder am Mikrophon stehen oder auch in den Chefetagen der Plattenfirmen, also auf der Businessseite, wo die meisten Positionen von Männern besetzt werden. Vor allem die höheren Positionen. Da sind kaum Frauen am Start, was total schade ist.”
Christoph: „Was auch komisch ist, weil die Musik auch an der Spitze der Meinungsbildung als progressiv definiert wird und trotzdem ist es ja so, dass man trotzdem noch dieses Rollenklischee hat. Da steht dann der Musiker oder die Band auf der Bühne und dann wird nur so ein Fangirl kreischend mit rein geschnitten.”
Jennifer: „Ja, noch ne geile Alte mit Motorrad am Start und fertig ist es. Es hat sich auch in den letzten Jahren total gewandelt. Als wir vor zehn Jahren angefangen haben, da gab es hauptsächlich Bands, in denen Frauen am Gesang waren. Zwar haben die kein Instrument gespielt, aber das ist grundsätzlich alles so wahnsinnig wenig geworden und ich frage mich: Warum ist das gerade jetzt so wenig geworden? Man hat das Gefühl, dass einfach nichts mehr nachkommt.”
Christoph: „Ich glaube, dass das damals ein schnelllebiger Trend war: Frauen am Gesang.”
Joe: „Ja, Silbermond, Juli, Wir sind Helden und so weiter. Nach ein paar Jahren hatte da vielleicht keiner mehr Bock drauf und die Radios haben dann auch auf Deutschrap umgeschwenkt.”
Jennifer: „Ich war auch mal bei einer Organisation Schirmherrin, die Mädchen unterstützt hat, wieder mehr in die Musik zu gehen. Da haben mir ganz viele erzählt, wie krass das ist, dass sie schon jahrelang in Schülerbands spielen und wenn sie dann aber zu einem Konzert kommen, dann sagen die Techniker: ,Oh, weißt du denn, wie man eine Gitarre stimmt?‘ Da fängt es ja dann schon an. Die denken sich dann: ,Hä? Seit ich sieben bin, spiele ich Gitarre und dann gehe ich auf eine Bühne und muss ich mich von so einem Typen, runtermachen lassen.‘”
Jennifer, hättest du es genauso gemacht, wie Kat Frankie?
Jennifer: „Es kommt immer auf die Situation an. Ich habe das auch mal thematisiert, als wir letztes Jahr auf einem Hip-Hop-Festival gespielt haben, auf dem, außer mir, auch nur eine einzige Frau als Backgroundsängerin dabei war. Da habe ich es auf der Bühne gesagt. Aber, ich kann das total nachvollziehen und ich glaube, mir selbst wäre im ersten Moment gar nicht eingefallen, nachzusehen, wie viele Frauen überhaupt mit dabei sind. Ich finde es gut, dass sie abgesagt hat. Die können die sich ruhig mal im Vorfeld ein bisschen Gedanken machen, wen sie auf die Bühne holen.”
Christoph: „Das ist ja wie in den Clubs, da gibt’s auch kaum DJanes. Ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein dafür auch erst mal geschärft werden muss. Zum Beispiel bei dieser Aktion, bei der jemand auf den Festivalplakaten alle Bands rausgestrichen hat, die nur aus Männern bestanden. Das sah dann total traurig aus. Grundsätzlich ist das Bewusstsein vielleicht da, es müsste nur etwas passieren.”
Findet ihr, dass es ein Problem ist, dass sich zu wenige Frauen überhaupt trauen in die Musikbranche einzusteigen, weil es zu wenige Vorbilder gibt? Oder woran kann das liegen?
Jennifer: „Ja, glaube ich schon. Das ist auch das, was die Mädels mir immer erzählt haben. Diese Organisation hatte damals auch Schwierigkeiten, überhaupt Frauen zu finden, die dort dozieren wollen. Die dahin kommen und sagen: ,Ey, ich bin jetzt schon jahrelang in der Pop-Branche, ihr könnt mich ruhig alles fragen.‘ Aber ich weiß dafür auch keine Lösung, außer, dass man das fördern sollte und dass es mehr dieser Organisationen bräuchte, um den Mädels zu sagen: ,Traut euch ans Instrument, egal was die anderen sagen.‘”
Christoph: „Vielleicht sollte man das mal so machen, wie es die Radiosender mal gemacht haben. Aber, anstatt einer Deutschquote, tatsächlich eine Frauenquote einführen.”
Jennifer: „Aber wollen Frauen überhaupt, dass sie nur spielen dürfen, weil es eine Frauenquote gibt?”
Joe: „Das ist ja auch nur ein kleiner Teil von einem großen Problem. Da ist die Frage, in welchen Rollen Frauen und Mädchen aufwachsen. Mit welchen Vorurteilen und Klischees sie zu kämpfen haben, was von ihnen erwartet wird und was nicht erwartet wird. Das ist letztendlich nur ein Teil, von der ganzen Diskussion. Da gibt es ganz viele Dinge, die sich ändern müssen. Man kann, glaube ich, nicht in einem Satz sagen: ,Genau das muss sich ändern und dann wird alles gut.‘ Auf jeden Fall muss das Bewusstsein geschärft werden. Das wäre der erste Schritt.”
Hattest du selbst mal Erfahrungen mit Diskriminierung oder Sexismus gemacht? Wenn ja, welche?
Joe: „Ja, das passiert ständig. Wenn man nur mal kurz darüber nachdenkt, was wäre, wenn Jennifer ein Typ wäre. Da würde sich keiner über bestimmte Dinge aufregen, die sie macht. Oder würde sagen: ,Die braucht ja nur mal wieder nen richtigen Schwanz‘, oder sowas.”
Christoph: „Es fängt ja bei ganz banalen Sachen an. Wenn du auf einem Festival ein Konzert spielst und dann auf einmal, alle besoffenen Typen anfangen zu rufen: ,Ausziehen, ausziehen!‘”
Jennifer: „Ja, das machen die bei Männern nicht. Das stimmt schon.”
Joe: „Oder, wenn immer wieder darüber diskutiert wird, wie viel Jennifer anhat oder wie viel sie nicht anhat oder was sie darf und was nicht. Wäre sie ein Typ und würde in der Unterhose dastehen, würde man denken: ,Ja ok, da ist ein Mann in Unterhose.‘ Aber, bei einer Frau, ist es nicht so. Da denken viele direkt: ,Oh Gott, die ist in UNTERHOSE auf der Bühne!‘ oder ,oh mein Gott, man sieht ihre Nippel.‘”
Ein Tipp, an alle Frauen dieser Welt?
Jennifer: „Sich von falschen Idealen und der Idealvorstellung einer Frau zu verabschieden. Sich vor allem nicht davon beeinflussen zu lassen, wie man aufgewachsen ist oder was einem gesagt wurde. Nicht darauf hören, wenn man gesagt bekommt, was man im Leben alles machen muss. Dass man Karrierefrau sein muss, dann auch noch gleichzeitig Kinder kriegen muss, man muss aber auch noch geil aussehen und die top Figur haben, muss die Sexbombe sein und dann musst du auch noch kochen, musst dein Kind verpflegen, und so weiter. Sich von diesen ganzen Sachen einfach zu verabschieden und zu überlegen, was man wirklich will, wo man hin will und das dann auch machen, eine Macherin sein, eine Hengstin. Sich nicht hinter irgendetwas zu verstecken, sondern selbstbewusst durchs Leben gehen.”
Wenn ihr eine Sache auf der Welt sofort ändern könntet, welche wäre das?
Jennifer: „Boah, nur eine Sache? Es ist aber auch total schwierig, sich da zu entscheiden.”
Joe: „Wenn man jetzt Weltfrieden sagt, dann klingt das ja immer so ein bisschen naiv, aber letztendlich wäre es das ja. Wenn man das irgendwie ändern könnte, dass Konflikte immer mit Gewalt gelöst werden, das wäre schon ne feine Sache.”
Christoph: „Man müsste irgendwie, alle einmal gleichzeitig in den Weltraum schießen, um sie von oben draufgucken zu lassen, damit sie merken, dass wir alle auf einem kleinen Brocken, zusammen, rumschweben. Das würde das Bewusstsein schärfen, dass wir alle besser miteinander umgehen müssen.”
Eure Top drei Bands mit Girlpower?
– Juliette and the licks
– Florence and the Machine
– War on Women
Jennifer: „Es gibt ja super viele gute Bands mit Frauen. Leider nicht so viele in
Deutschland. Man muss da immer so weit ausholen, um Beispiele zu finden. Das
ist schade. In Deutschland, fällt mir nicht so richtig was ein.”
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